Beim Nachdenken über Daniels inspirierende Predigt heute zu Matthäus 18,15-17 fiel ein, dass ich neulich irgendwo gelesen hatte, es sei ein Papyrusschnipsel mit einer textkritischen Variante aufgetaucht. Meiner Erinnerung nach lautete das im Urtext dann so (oder so ähnlich?):
Wenn dein Bruder sich einer Verfehlung schuldig macht, dann lass dir auf keinen Fall etwas anmerken und sprich es nicht an. Nicht direkt jedenfalls, denn er könnte sich ja entschuldigen oder das Missverständnis zwischen euch beiden aufklären. Am Ende hat er sich sogar richtig verhalten, aber du hast es nicht kapiert. Du könntest erstens nicht mehr sauer sein und zweitens müsstest du dir selbst auch noch unangenehme Fragen stellen.
Wenn er jegliches prophetisches Gespür vermissen lässt und nicht von selbst und zerknirscht auf dich zugekommen ist, dann zieh andere zu Rate. Aber bitte nicht irgendwen! Achte darauf, dass die Person dich versteht. Das wird erstens dann der Fall sein, wenn sie – egal warum! – auch noch ein Hühnchen zu rupfen hat mit deinem Konfliktpartner oder ihn noch nie leiden konnte, zweitens hilft es, wenn sie den Anlass des Streites nicht mitbekommen hat und ihn daher ausschließlich aus deiner Warte sieht. Beschreibe das beanstandete Verhalten möglichst so, dass deutlich wird: Er war schon immer so und wird auch so bleiben. Entdeckt ähnliche Verhaltensmuster dieser Person in möglichst vielen anderen Zusammenhängen. Auch das Unscheinbare zählt! Nehmt euch ausreichend Zeit um Euch auszumalen, wohin das noch alles führt.
Wenn er trotz deines eifrigen Getuschels immer noch nicht ahnt, dass er der Grund für deine ständige Leidensmiene ist, und in Sack und Asche vor dir auftaucht, finde einen guten Anlass, den Konflikt öffentlich zu machen. Am besten sollte einer deiner verständnisvollen Freunde dein Leid schildern, und weil das ein selbstloser Akt ist, darf man beim Anprangern untragbaren, gemeinschaftsschädigenden Verhaltens auch keinesfalls etwas beschönigen. Vergesst nicht, diskret (also ohne Nennung von Namen und konkreten Details) darauf hinzuweisen, dass auch viele (Definition: n>1) andere Leute ein Problem haben mit diesem Menschen. Wenn dein Gegner von den Vorwürfen total überrascht ist, werte das als Bestätigung dafür, dass er herzlos und unsensibel ist. Wenn es ihn verletzt, sieh es als Beweis dafür an, dass er nur seinen eigenen Schmerz sieht, aber nicht deinen. Wenn er scheinbar fassungslos schweigt, geh zur Sicherheit mal davon aus, dass er schon die nächste Untat plant.
Mach dir bei allem bewusst, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder hast du in allem Recht, oder dein Gegner. Dann suche so lange, bis du irgendeinen Aspekt eures Streites findest, den du ganz sicher richtig einschätzt (oder, alternativ, irgendein Missverständnis des Gegners). Nun hast du den Beweis, dass du hundertprozentig richtig liegst. Bedenke, welch hohes Gut die Wahrheit ist. Du darfst keinen Millimeter von deiner Position abrücken, wenn du dich nicht schuldig machen willst vor Gott – und du tust dem anderen einen wirklichen Dienst, wenn du ihn mit seinen Lügen und Verdrehungen konfrontierst.
Wenn du diesen Rat beherzigst, wird die Gemeinde immer genug Anlass haben, sich mit sich selbst zu befassen. Eine blühende Landschaft von aktiven Freundeskreisen und Parteien wird entstehen und niemand käme vor lauter Langeweile auf die Idee, sich um fremde Menschen zu kümmern. Und hier liegt das eigentliche Ziel: Nur wenn kein Fremder in die Gemeinde kommt, können wir ganz sicher sein, dass sie moralisch und geistlich rein bleibt. Und darauf kommt es Gott schließlich an. Oder?
Sicher soll und darf eine Gemeinde sich nicht allein um sich selbst drehen… „gehet hin“ und offene Tore für den Gast… sollte die Devise sein.
Doch muß die Gemeinde ein „sauberes“ Fundament haben… es sollte doch keine bekannte Sünde den heiligen Geist dämpfen. Und wenn Gäste erkennen das etliche der bereits in der Welt bedauerten Zustände auch hier sind… wie traurig.
Der Artikel ist ein guter Anlaß über sich nachzudenken… Herr schenke mir den Blick auf Deinen Willen.
Sei mir nicht böse. Bei den durchaus bedenkenswerten Aspekten deines Beitrag ist dieser dennoch ein Faustschalg ins Gesicht all derer, die echte und ernstzunehmende Beziehungskonflikte durchzustehen haben.
Das Bild, dass du hier nun gerade von den Betroffenen malst ist wenigstens so einseitig, unfair und verletzend, wie das, was du hier vorwirfst.
Sich gegenseitig Vergehungen / Sünde bekennen zu können und Konflikte auszuräumen bedarf eines gewissen Nähe als auch eines Rahmens, in dem das geschehen kann. Wird in diesem Rahmen (hier Gemeinde) derart einseitige Forderungen gestellt, erstickt das die meisten ehrlichen Konfliktlösungen. Denn ein Konflikt, der als solcher nicht dargestellt und gelebt werden darf, kann ergo auch nicht gelöst werden.
Konfliktlösung ist immer eine Sache, in die wenigstens zwei Personen einbezogen sind. Ganz sicher liegt das nicht nur an dem Verhalten nur einem der Beteiligten.
Btw.: Ist nach diesem Artikel von dir jede psychotherapeutische Arbeit eigentlich überflüssig?
@ Charly: ich staune etwas über Deine Empörung. Ich habe schlicht die Anweisungen aus Mt 18 mal ironisch (ok, das ist nicht jedermanns Fall…) auf den Kopf gestellt.
Dass deshalb ein Konflikt, wie Du für mich etwas sprunghaft folgerst, „nicht gelebt werden darf“ oder dass Ehrlichkeit nicht erwünscht ist, ist damit keinesfalls gemeint. Der geschützte Rahmen ist in Mt 18 ja klar gesteckt: das direkte Gespräch, ggf. mit Hilfe eines dritten oder mehrerer anderer – Therapeuten eingeschlossen.
In meinen Augen hast du hier deutlich überzogen. Ironie bedarf eines gesunden Rahmens um nicht einfach nur noch verletzend zu sein – und so empfinde ich deinen Artikel: verletzend. Sicher auch deshalb, weil meine Sicht als Lebensberater naturgemäß aus der Sicht der Betroffenen kommt. Dein Artikel trieft in meinen Augen davon, dass ein Konflikt nicht gelebt werden dürfe und schon mal garnicht mit Dritten besprochen werden sollte. Nicht jeder ist so ohne weiteres zu einem direkten Gespräch fähig. Und wenn doch ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch auf ein Gegenüber zu treffen, das das nicht kann. Selbst wenn die Beiden miteinender sprechen können, wer hilft ihnen aus den Kommunikations- oder Beziehungsfallen, in denen sie gut möglich stecken? Sie selbst sind blind dafür, sonst hätten sie in den meisten Fällen nicht ihren Konflikt.
Das offene Gespräch miteinender ist ein auf jeden Fall anzustrebendes Ziel. Nur bitte, so einfach ist dieses Ziel idR nicht zu erreichen. Warum meinst du wohl gibt es die Berufsbilder der Mediatoren, Berater und (Paar)Therapeuten, Seelsorger, etc.?
uups – ohne meinen Therapeuten sag ich jetzt lieber nichts mehr…
😉
Ja, es lebe der Konflikt … und der Mut, Schwieriges laut und an die richtige Adressse zu sagen, die Bereitschaft, geanu hinzuhören, die Kraft, Kritik anzunehmen und die Liebe, wieder zueinander zu finden. Ein paar Erfahrungen dazu habe ich vor knapp einem Jahr gepostet: http://susisubkutan.blogspot.com/2008/03/vom-glck-kritisiert-zu-werden.html