Benzinmädchenrechnungen

Ich musste tanken und landete bei der Filiale einer britisch-niederländischen Firma. Dort wurde der Sprit für 1,54.9 angeboten und die freundliche Kassiererin fragte mich, ob ich die Umweltprojekte des Ölmultis unterstützen und dafür 1,1 Cent Aufpreis zahlen würde.

Ich war kurz sprachlos und entgegnete dann, dass ich mich ungern an Greenwashing beteilige. Die Angestellte war damit nicht einverstanden und drückte mir einen Flyer in die Hand – das seien ganz wunderbare Projekte. Mit den 1,1 Cent, so ist da zu lesen, würde das CO2 ausgeglichen, das ich bei der Weiterfahrt mit dem gekauften Kraftstoff emittiere. In Peru und Indonesien wird dafür Wald geschützt oder aufgeforstet.

Nun wurde Shell bekanntlich im Mai von einem Gericht in Den Haag verpflichtet, seine Emissionen massiv zu senken. Also der Konzern, nicht seine Kund:innen. Die 1,1 Cent könnte, ja müsste der Energieriese doch locker selbst drauflegen anstatt dafür die Kundschaft anzubetteln. Damit wird außerdem das Thema Freiwilligkeit, meistens ja eine gute Sache, ad absurdum geführt.

Photo by Marc Rentschler on Unsplash

Zweitens sind die Kompensationsprojekte hoch umstritten und verfehlen oft die angekündigte Wirkung. Sie dienen häufig als Rechtfertigung, überholte und schädliche Geschäftsmodelle weiterzuführen und den Status Quo zu erhalten. Den können wir uns allerdings nicht mehr leisten. Bernd Ulrich bilanzierte jüngst in der Zeit die groteske Augenwischerei im Bundestagswahlkampf: „Überall wurden in diesem Sommer klimapolitische Maßnahmen mit dem verglichen, was man schon hat, und nicht mit dem, was man bekommt, wenn man sie unterlässt.“

Drittens liegen nämlich die wahren Folgekosten fossiler Brennstoffe deutlich höher als in den meisten Modellen veranschlagt. Ein Liter Benzin entspricht in etwa 2,37 kg CO2. Wenn das mit 1,1 Cent kompensiert wird, sind das pro Tonne 4,64 €. Die tatsächlichen Kosten der Treibhausemissionen, wirtschaftliche Schäden in den kommenden Jahren (so lange das Abgas in der Luft ist) eingerechnet, werden aktuell auf 3.000 € pro Tonne geschätzt, das ist mehr als 600mal so viel.

Shell möchte mich also für dumm verkaufen. Es ist ja auch zu verlockend, sich so billig ein reines Gewissen zu verschaffen. Ich werde das Auto also wann immer möglich stehen lassen. Und dann bei den selteneren Fahrten eben dort tanken, wo ich mich wenigstens nicht auch noch über solche plump-dreisten Manöver ärgern muss.

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Verletztes Land

Ich bin seit dem Umzug vor gut einem Monat eifrig dabei, die neue Umgebung zu erkunden. Am Waldweg von Fischbach nach Altdorf liegt etwas versteckt ein Steinkreuz aus dem 15. Jahrhundert. Eine Tafel informiert über das Alter und bietet zwei unterschiedliche Mordgeschichten als Erklärung dafür an, warum hier ein Sühnekreuz steht.

Früher hätte ich eher den Verdacht gehegt, dass hier Aberglaube im Spiel ist und Menschen ein Kreuz aufstellen, um den Fluch der bösen Tat abzuwenden und göttlichen Zorn zu besänftigen. Alles Dinge, die immer wieder mit dem Begriff „Sühne“ in Verbindung gebracht werden.

Ein Kreuz ist kein „Schlussstrich“

Diesmal dachte ich mir, vielleicht waren das gar keine so schlichten Gemüter damals. Vielleicht hatten die Menschen ein Gespür dafür, dass eine Gewalttat sich in die Landschaft einschreibt oder daran haftet. Dass nicht nur Menschenseelen, sondern auch Orte durch symbolische Handlungen geheilt werden können und müssen. Und dass die Erinnerung an die Opfer eine dauerhafte sein muss – keine Spur also von Schlussstrich-Debatten, die wir im Blick auf das Dritte Reich (dessen Ruinen hier in Nürnberg sichtbarer sind als in den meisten anderen Städten) immer wieder führen, obwohl das nicht einmal hundert Jahre zurückliegt.

Nur was betrauert werden kann, wird auch geschützt

Und dann natürlich die Frage, wo solche Kreuze heute überall stehen sollten. An den europäischen Außengrenzen, wie das Zentrum für politische Schönheit vor Jahren schon vorgeschlagen hat? Auf dem Weg zum Busbahnhof in der Innenstadt kam ich vorgestern an zwei Ghostbikes vorbei – spätmoderne Nachfahren der Sühnekreuze des Mittelalters. Eingeständnisse von Schuld, Orte der Trauer und des Gedenkens an die Opfer.

Seit 600 Jahren steht das Steinkreuz nun im Reichswald. Der Ort fühlt sich nicht mehr verwundet an. Die Aufforderung, Leid und Verwundung in unserer Nähe nicht zu ignorieren, damit wir nicht Gefahr laufen, es ständig zu reproduzieren, die nehme ich nach Hause mit. Heilung dauert. Es gibt Schäden – auch ökologische – die lassen sich nicht in ein, zwei Generationen oder Jahrhunderten restlos beheben. Wenn wir das – diese Permanenz der an einem bestimmten Ort verübten Gewalt – sichtbarer machen könnten, wäre es vielleicht ein höchst willkommener und angesagter Schutz für uns alle. Leid ließe sich schlechter bagatellisieren, oder um es mit Judith Butler zu sagen: Nur was betrauert werden kann, wird auch geschützt.

Nein, mit Aberglauben hat das nichts zu tun…

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