Vorbehaltlos lieben

Was hat Navid Kermani am Sonntag für eine bewegende Rede gehalten! Sie war ihres Anlasses – Kernanis Auszeichnung mit dem Friedenspreis der deutschen Buchhandels – in jeder Hinsicht würdig. Kermani befasste sich mit dem Frieden zwischen den Religionen und der Lage in Syrien. Und mittendrin sagte er diese bemerkenswerten Sätze:

Die Liebe zum Eigenen – zur eigenen Kultur wie zum eigenen Land und genauso zur eigenen Person – erweist sich in der Selbstkritik. Die Liebe zum anderen – zu einer anderen Person, einer anderen Kultur und selbst zu einer anderen Religion – kann viel schwärmerischer, sie kann vorbehaltlos sein. Richtig, die Liebe zum anderen setzt die Liebe zu sich selbst voraus. Aber verliebt, wie es Pater Paolo und Pater Jacques in den Islam sind, verliebt kann man nur in den anderen sein. Die Selbstliebe hingegen muss, damit sie nicht der Gefahr des Narzissmus, des Selbstlobs, der Selbstgefälligkeit unterliegt, eine hadernde, zweifelnde, stets fragende sein. Wie sehr gilt das für den Islam heute! Wer als Muslim nicht mit ihm hadert, nicht an ihm zweifelt, nicht ihn kritisch befragt, der liebt den Islam nicht.

Als Landesbischof Heinrich Bedford-Stohm vor ein paar Wochen ins Kuratorium eines islamischen Zentrums eintrat, da witterten einige christliche Hardliner schon Verrat an der eigenen Sache. In den letzten Wochen ist mir eine solche Haltung leider ganz oft begegnet, die am Eigenen nicht zweifelt und sich rhetorisch ständig im Angriffsmodus gegen das Andere befindet, dem alles Böse dieser Welt zugetraut wird. Ein fundamentalistischer Prediger aus meiner Region schrieb diese Woche auf Facebook: „Ein wirklich gläubiger Moslem kann und will sich nicht integrieren.“

Wer ständig die Extremisten auf der anderen Seite kritisiert und so tut, als wären diese das wahre Gesicht ihrer Religion, der gesellt sich zu den Scharfmachern im eigenen Lager, und weil das umgekehrt ebenso engagiert betrieben wird, fließt früher oder später Blut. Umgekehrt würde ein Schuh draus, aber das würde auch eine Art Bekehrung erfordern: Weg von einem Glauben, der in anderen Religionen nur das Böse am Werk sieht und den Irrtum pflegt, dass jede positive Aussage über sie ein Verrat am eigenen wäre.

Davon hat die Welt jetzt schon mehr als genug.

Um so mehr hat mich Kernanis Geschichte von Pater Jaques berührt. Der hatte sich strikt dagegen ausgesprochen, dass westliche Politiker nur orientalische Christen, nicht aber vor Krieg und Tod flüchtende Muslime bei sich aufnehmen wollen. Wie wäre es, wir würden uns an den Besten auf allen Seiten messen? An Navid Kermani und Heinrich Bedford-Strohm, den Mönchen von Mar Elian, den verfolgten Sufis und all denen, die den „Dialog der Barmherzigkeit“ pflegen, zu dem Kermani uns aufruft. Jesus und die Bibel geben uns mehr als genug Gründe, ihnen nachzueifern.

Share