Die Berichte von den Straßenschlachten in London haben mich an unseren Urlaub vor zwei Jahren erinnert, das inzwischen letzte von vielen Malen, die ich in London war. Seither habe ich mich zwar nach den Freunden dort zurückgesehnt, nicht aber nach der Stadt. Ich mag’s im Zweifelsfall lieber „arm, aber sexy“ wie Berlin.
Ich fand die Tage dort anstrengend. Nicht wegen der Hektik, Enge und Lautstärke der Metropole, sondern wegen dem krassen Kontrast von Arm und Reich. Von Prunk und Verschwendung auf der einen Seite und Armut und Perspektivlosigkeit auf der anderen. Meine Grundstimmung, als ich meinen Sohn durch die Straßen von Kensington begleitete, wo er die Luxuskarossen bestaunte, war – das wurde mir erst heute so richtig klar – Wut und Zorn. Sie blieben knapp unter der Oberfläche des Bewusstseins, aber ich empfand den Spaziergang als anstrengend und unerfreulich.
Auf bbc.com habe ich heute einen britischen Polizeioffizier sagen hören, die Ausschreitungen hätten keinen Grund, es sei ihnen kein Unrecht vorausgegangen. Wie blind muss man eigentlich sein, um zu übersehen, dass diese stetig wachsende Kluft – wunderbar beschrieben in diesem Artikel der SZ – schon die ganze Zeit Unrecht war? Nun ist aus der Kluft ein veritabler Abgrund geworden.
Leider haben wir Deutschen den Engländern viel zu gewissenhaft nachgeeifert und hier dieselbe wachsende Kluft geschaffen. Was uns jetzt noch fehlt, ist die Clique der Superreichen in ihrem prunkvollen Kokons aus Stahl, Designerkram und Personenschützern, die allen anderen schamlos vor Augen führen, dass sie zu den Verlierern gehören. Ich erinnere mich noch an eine Werbung in der Tube, die stolz verkündete, in London sei jeder zwanzigste ein Millionär. Wie viele von den anderen 95% an und unter der Armutsgrenze leben, davon stand da nichts.
Wenn man sich schon vor zwei Jahren als Tourist mit dem Zorn, der da in der Luft lag, innerhalb einiger Tage „infizieren“ konnte, wie muss es sein, wenn man dort lebt und nicht weg kann? Die Gewaltausbrüche sind gewiss nicht zu rechtfertigen, aber eben auch keine Überraschung. Und wenn hier kein Politikwechsel kommt, erleben wir in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht ganz ähnliche Dinge.