Trügerische Romantik

Manchmal macht es mir Sorge, wie inflationär wir mit dem Begriff Freundschaft umgehen. Vor allem die Tendenz, ihn zum Charakteristikum für Beziehungen in Gemeinden zu machen (und zum Medium für das Evangelium…). Mit der Konsequenz, dass wir Erwartungen von Nähe und Sympathie wecken, die wie einfach nicht einlösen können. Das führt zu Frust und Streit, oder zu einer unechten Harmonie und gezwungenen Intimität.

Geholfen hat mir am Wochenende die Entdeckung, dass Jesus seine Jünger nur ein einziges Mal als Freunde bezeichnet, nämlich in Johannes 15. Da fällt der Begriff mehrfach. In den synoptischen Evangelien kommt “Freunde” als Bezeichnung Jesu für seine Jünger nicht vor, und in den anderen Kapiteln bei Johannes auch nicht. Aber in wie vielen Büchern und Predigten ist mir das begegnet, dass hier angeblich eine Gruppe von Freunden unterwegs war! Vielleicht waren sie ja am Ende dann Freunde, nach drei Jahren. Aber so romantisch, wie wir uns das wünschen, war es eben vermutlich nicht.

Aber es ist doch auch befreiend, wenn mir nicht jeder schrecklich sympathisch sein muss, nur weil wir in der gleichen Gemeinde sind oder beide Christen. Und ich mir auch nicht den Druck machen muss, das zu schaffen, sondern wir erst einmal lernen, einander zu ertragen und mit Würde und Achtung zu behandeln in einer gesunden Distanz, ohne uns gleich Vorwürfe dafür zu machen, dass wir einander nicht um den Hals fallen bei jeder Gelegenheit. Wer weiß – vielleicht wachsen auf dieser Grundlage am Ende sogar die besseren Freundschaften?

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