Wie die ersten Christen friedlich die Welt „eroberten“ (2)

Es geht weiter mit der Frage nach dem Wachstum der alten Kirche: Warum schlossen sich Menschen dieser neuen Glaubensgemeinschaft an? Zum Thema Konversion merkt Rodney Stark gleich vorabin seiner sehr pragmatischen Sicht an: „Konversion zu neuen, abweichenden religiösen Gruppen geschieht, wenn … Menschen zu Mitgliedern dieser Gruppe stärkere Bindungen haben oder entwickeln als zu Nichtmitgliedern.“ (S. 18) Wir kennen das als „you belong before you believe“. Erst im Rückblick, so Stark, begründen Konvertiten ihren Schritt dann theologisch und dogmatisch, also von den Glaubensinhalten her.

Für eine Glaubensgemeinschaft ist daher die entscheidende Frage, ob sie ein offenes Netzwerk bleiben kann, das den Kontakt in andere Beziehungsnetze hält, oder ob sie sich teilweise bzw. völlig abschottet. Auch wenn es das Wort damals noch nicht gab – das ist eine genuin missionale Fragestellung und ein schönes Beispiel, dass etwa Milieuverengung kein unausweichliches Schicksal ist.

Stark stellt in Frage, ob es sich beim jungen Christentum um eine proletarische Bewegung gehandelt haben kann: Gerade Arme und weniger Gebildete verhalten sich nämlich religiös eher konservativ, während in der Mittel- und Oberschicht einer Gesellschaft sich Skepsis gegenüber den Traditionen schneller ausbreitet; die Bereitschaft, sich neuen „Kulten“ anzuschließen, ist dort besonders hoch. Stark geht davon aus, dass Paulus in der urbanen Mittelschicht und oberen Mittelschicht besonders erfolgreich war, selbst deren „Abhängige“ waren wirtschaftlich besser gestellt als die Landbevölkerung und die Sklaven der Grundherren.

Das brachte auch mittelbaren politischen Einfluss mit sich: Polykarp von Smyrna war in Sorge, der (offenbar beträchtliche) Einfluss seiner Glaubensgeschwister in Rom könne ihm sein Martyrium noch vermasseln. Generell waren die Christenverfolgungen in Rom weniger brutal und konsequent als die Niederschlagung von Unruhen in der Unterschicht.

Vor allem ein Netzwerk war entscheidend für die Ausbreitung des Christentums, nämlich das Diasporajudentum. Mit Johannes Weiß (Das Urchristentum, 1914) geht Stark davon aus, dass das junge Christentum während der gesamten ersten vier Jahrhunderte den Kontakt zum Diasporajudentum (ca. 4-5 von insgesamt 60 Millionen Menschen im Imperium Romanum) nicht verlor und dass Diasporajuden vor allem nach Bar Kochba zum Christentum übertraten, weil es ihnen einerseits die Möglichkeit einräumte, wesentliche Traditionen weiter zu pflegen und zugleich eine bessere Integration in die multireligiöse und multikulturelle Gesellschaft ermöglichte, das Ende des „barbarischen“ Stigma, das vor allem dem militanten palästinischen Judentum anhaftete.

Moderne Analogien dazu wären das Reformjudentum im 19. Jahrhundert, das (ähnlich wie das hellenistische Judentum um Philo) viele ethnisch-kulturelle Schranken aufzuheben bemüht war, oder die Pfingstbewegung im globalen Süden, die es Menschen ermöglicht, Elemente und Erfahrungen traditioneller Kulturen in ein Christentum zu integrieren, das ihnen den Anschluss an die moderne Welt verheißt.

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