Wer Ohren hat, zu hören

Dass Jesus im Zusammenhang mit seinen Gleichnissen davon spricht, dass seine Verkündigung gar nicht darauf angelegt ist, universal verständlich zu sein, sondern dass das Un- und Missverständnis beabsichtigt ist, kann einen schon ziemich irritieren. Vor allem naürlich dann, wenn man voraussetzt, dass Jesu Botschaft sich primär darum dreht, Menschen den Weg zum Seelenheil zu eröffnen. In Matthäus 13,13 steht: „Darum rede ich in Gleichnissen zu ihnen, dass sie sehend nicht sehen und hörend nicht hören und nicht verstehen.“

 

Setzt man hingegen voraus, dass Jesu Predigt vom Reich Gottes auf eine (freilich gewaltlose) Veränderung der Machtverhältnisse in Palästina zielte und damit eine viel umfassendere Vorstellung von „Heil“ im Blick hatte, dann wird dieser merkwürdige Satz auf einmal plausibel. Der Politikwissenschaftler James C. Scott von der Yale University hat sich über Jahrzehnte mit Protestbewegungen im ländlichen Raum beschäftigt. Scott spricht von einer „Politik der Tarnung und Anonymität, die unter den Augen der Öffentlichkeit stattfindet, aber auf einen Doppeldeutigkeit angelegt ist, die die Identität ihrer Akteure schützt. Gerüchte, Tratsch, Volksmärchen, Witze, Lieder, Rituale, Chiffren und Euphemismen“. Jesu Gleichnisse und Rätselworte passen perfekt in dieses Muster: Unter den Augen der Mächtigen spricht er über eine andere soziale Ordnung als die herrschende; und das in einer Form, die sich weitererzählen und verbreiten ließ, aber für die man nicht (oder nicht ohne Weiteres) verhaftet werden konnte.

Share