In den letzten Monaten fand ich beim evangelikalen Medienmagazin Pro den einen oder anderen lesenswerten Kommentar und dachte schon, ob die Redaktion ihre stramm konservative Linie nun aufgibt? Doch mit diesem Versuch, den Verteidigungsminister gegen angebliche Medienhetze in Schutz zu nehmen, rückte sich das Bild wieder zurecht: Alles bleibt, wie es immer war.
Zur Erinnerung: zu Guttenberg war in der Öffentlichkeit fast (und das war das Neue) unisono für seinen Afghanistan-Trip kritisiert worden, auf dem ihn seine Frau und Johannes B. Kerner begleiteten. Letzterer ist (abgesehen von dem Mini-Eklat um Eva Herman in seiner Sendung) ja nicht gerade als kritischer Fragensteller bekannt, sondern als jemand, der seinen Plaudergästen weit entgegenkommt, Und Kerner ist kein politischer Journalist, sondern er macht Unterhaltung im Privatfernsehen. Dass so etwas in Amerika üblich ist, preist „Pro“ nun als Fortschritt an: Der Krieg sei dort als Normalität akzeptiert, man gehe pragmatisch damit um.
Wir hingegen, behauptet „Pro“, haben ein gespaltenes Verhältnis zum Krieg in Afghanistan, davon zeugen die angeblich „benebelten Reaktionen“ der Presse. Vor allem sei man gleichgültig gegenüber dem Schicksal der Soldaten, und es sei Guttenbergs Verdienst, diese Gleichgültigkeit überwunden zu haben.
Da frage ich mich, in welchem Land der Kommentator Moritz Brecker eigentlich lebt. Von „Gleichgültigkeit“ kann keine Rede sein. Natürlich gibt es eine gewisse Zurückhaltung, vielleicht auch Sprachlosigkeit, aber die rührt doch daher, dass wir feststellen, aus purer Gefälligkeit gegenüber den Amerikanern vor neun Jahren mit in ein Land einmarschiert zu sein, das sich keineswegs so leicht „befrieden“ lässt, wie man damals dachte. Und jetzt, so scheint es vielen, sitzen wir mit auf dem Pulverfass und können weder vor noch zurück. Eine stabile Regierung in Kabul ist nicht in Sicht. Ein Abzug unverrichteter Dinge wäre ebenfalls eine Katastrophe. Was bitteschön sollen wir da noch sagen? Die Familien der toten Soldaten haben sicher Anteilnahme verdient, und die Truppen vor Ort unseren Respekt, aber wer kann denn heute noch den Sinn solcher Opfer stimmig erklären? Völlig Zu Recht schreibt die Zeit dazu:
Aber erklärt werden soll nichts, sondern beworben mit der üblichen Masche, die Kerners und auch Guttenbergs Markenzeichen ist, nämlich kübelweise Emotion, Herz und Betroffenheit. Zweifellos sind die Erzählungen der Soldaten furchterregend. Anstatt zu fragen, warum so etwas überhaupt erlitten werden muss, wendet Kerner das Leid der Truppen in einen Appell an die Bevölkerung, falls diese nicht schon vor dem Fernseher eingeschlafen ist.
Vielleicht wäre mehr Schweigen angesichts der nagenden Zweifel und bitteren Ratlosigkeit derzeit tatsächlich angemessener. Und vielleicht sollte Guttenberg (und in seinem ergebenen Gefolge auch „Pro“ als eifriger Verteidigungsministerverteidiger) das schon mal einüben.
Du bringst die Situation schön auf den Punkt. Momentan können die Deutschen in Afghanistan weder vor noch zurück. Und meines Erachtens ist die Konsequenz daraus nicht, dass man sich am Trip des Verteidigungsministers stört, unabhängig davon, ob sein Verhalten nun weise war oder nicht. Man müsste viel eher dafür sorgen, dass die Allierten vor Ort wieder Handlungsoptionen haben. Dazu muss man einige unpopuläre Schritte gehen. Aber nur wenn man den Mut hat, korrupte Politiker wie z.B. Karzai, abzusetzen, kann man wieder von Demokratie reden ohne sich lächerlich zu machen.
Die Opfer unserer Soldaten müssen einem Ziel dienen, sonst ist wirklich alles umsonst.
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„Die Familien der toten Soldaten haben sicher Anteilnahme verdient, und die Truppen vor Ort unseren Respekt, aber wer kann denn heute noch den Sinn solcher Opfer stimmig erklären?“
Gerade weil man den Sinn nicht erklären und schon gar nicht schlüssig erklären kann, ist die menschliche Geste umso wichtiger. Ich finde es völlig in Ordnung, dass Herr Guttenberg persönlich seine Weihnachtsgrüße überbringt und ich kann es sogar noch verstehen, dass seine Frau in begleitet. Es mag etwas antiquiert klingen, aber mir kam als erstes der Gedanke in den Sinn, dass die „adeligen Herrschaften“ noch Reste einer alten Tradition pflegen: Man kümmert sich um seine Schutzbefohlenen persönlich.
Dass damit auch ein Imagegewinn verbunden ist oder sein könnte – geschenkt. Noch mehr Guttenaberg geht ja kaum!
Schlimm finde ich allerdings, dass Herr Kerner seine Quote auf diese Weise aufbessern möchte. Mir fallen auf der Stelle einige Leute ein, die ich für deutlich geeigneter halte, den Menschen in Deutschland die Soldaten im fernen Land näher zu bringen, samt ihren Befürchtungen, Ängsten, Hoffnungen.
Pro gehört ja nun nicht unbedingt zu den Massenmedien und bedient einen sehr speziellen Leserkreis, der vermutlich mit dieser Stellungnahme hochzufrieden ist….
Vielleicht ist dieser Eintrag
http://www.evangelisch.de/themen/religion/die-angst-feiert-mit-heiligabend-bei-soldaten-familien29443
ja zu gefühlsbetont und auch nicht „objektiv“ genug, aber er verdeutlicht, dass „Afghanistan“ für die Betroffenen eine extrem belastende Situation ist – gerade in der emotional so „heißen“ Phase vor Weihnachten.
@rika: Kerner und die TV-Show sind der Knackpunkt der Kritik, nicht Guttenbergs Frau, wobei die nach der RTL2-Geschichte halt in dieselbe Rille rutscht – so ist das wohl, wenn man mit sowas anfängt.
mir graut vor einer Gesellschaft, die „pragmatisch mit Krieg umgeht“.