Am vergangenen Wochenende war ich wieder unterwegs und habe mit einer sehr netten Gruppe unter kundiger Anleitung die Liturgie des evangelischen Gottesdienstes studiert und wenigstens in Ansätzen geübt. Zum Abschluss besuchten wir gemeinsam einen Gemeindegottesdienst, der von Pfarrer, Kantorin und Lektor zwar nicht nach der reinen Lehre der Liturgik, aber doch sehr ansprechend gestaltet worden war.
Wieder unter uns wurden im Nachgespräch die unorthodoxen Teile konstatiert und alles abschließend wohlwollend bewertet. Aber der Punkt, der mich am meisten verwundert und umgetrieben hatte, war offenbar keinem aufgestoßen (und, das muss fairerweise dazu gesagt werden, auch gar nicht Thema des Wochenendes): Unsere – altersmäßig gemischte – Gruppe hatte den Altersschnitt der Gottesdienstgemeinde nämlich mal eben so halbiert und die Zahl der Versammelten glatt verdoppelt.
Meine Frage war die ganze Stunde über die, ob hier (und nicht nur hier) die „Kerngemeinde“ mit ihren Bedürfnissen, Gewohnheiten und Erwartungen nicht auch eine kulturelle Barriere darstellt für andere. So schön es ist, die Qualität des vorhandenen Angebots hoch zu halten oder zu verbessern – müssen wir nicht noch viel dringender über neue und alternative Wege reden? Auch wenn freilich klar ist, dass nicht jede Innovation eine Verbesserung ist und nicht jedes Experiment gelingt?
Natürlich fiel mir der Kontrast auch deswegen so stark auf, weil das bei ELIA erfreulich anders ist. Doch das könnte ja in 10 Jahren schon ganz anders aussehen. Jetzt pharisäerhaft Gott zu danken, dass ich nicht bin wie dieser, bzw. meine Gemeinde nicht wie diese, wäre verfehlt. Ich muss mich vielmehr selber ständig fragen, woran ich mich alles schon gewöhnt habe: Wo werden meine Realitäten unter der Hand so zur „Normalität“, dass ich gar nichts anderes mehr denken kann oder von Gott erwarte?
Können sich Gemeinden ändern, und wie bleiben „alte“ Gemeinden jung und flexibel? Ich freue mich schon auf das Wochenende mit Alan Roxburgh vom 12.-14. März zu genau dieser Fragestellung: Welche konkreten Schritte können wir heute gehen, um nicht doch früher oder später zu verknöchern?
hmm das frage ich mich auch, am besten ist es sich gar keiner Denomination anzuschließen, dann kann man auch nicht gefahr laufen dass man eingefahren nur noch in eine Richtung denkt. habe heute auch auf meinem Blog über das Thema Gemeinde geschrieben, weil es mich sehr beschäftigt und beunruhigt, mir kommt es immer mehr vor, wie ein großes wirtschaftsunternehmen, jeder will was verdienen an den Christen, mit allem will man Geld machen, Lobüreis CDs u.s.w. mit bekommt das immer weniger und stößt mir immer mehr sehr bitter auf.
Sich aus allem rauszuhalten ist leider auch keine Garantie. Man erliegt dann halt nur den persönlichen Täuschungen, nicht den gemeinschaftlichen. Die haben allerdings immerhin den Vorteil, dass man nicht komplett in der eigenen Subjektivität versinkt. Ich fürchte, diese Strategie macht es nur noch schlimmer. Vermutlich wird eher ein Schuh daraus, sich bewusst irgendwo festzumachen, da richtig verwurzelt zu sein, und ebenso bewusst immer wieder von anderen zu lernen, so dass keine Scheuklappen entstehen und der Horizont offen bleibt.
Hallo Peter, ja da hast du auch wieder recht, wie mans macht kanns falsch sein.
Einen gesegneten Tag und weiter hin freude am Schnee, es schneit nämlich schon wieder. Ich habe Halsschmerzen, bleibe heute den ganzen Tag zu Hause
LG Liane
@ Peter: Das Problem eines scheinbar „eingefahrenen“ Gottesdienstes wird m.E. nicht oder nur zum kleinen Teil im Gottesdienst selbst gelöst. Für mich stellt sich primär die Frage: wie wird von den Verantwortlichen die persöniche Vernetzung mit den Menschen vor Ort gelebt? Milieuverengung ist aus meiner Sicht nicht zuerst eine Frage des liturgischen Stils, sondern der alltäglichen Lebenspraxis derjenigen, die die Gemeinde prägen.
Liturgisch gesehen derselbe Gottesdienst wirkt ganz anders, wenn er in einer anderen Personenkonstellation stattfindet (wer sonntäglich an verschiedenen Orten „denselben“ Gottesdienst hält, kann davon berichten). Ich würde die Lösung nicht vor allem in versch. „Gottesdienstprogrammen“ suchen, sondern in der Art, wie eine Beziehungskultur aus dem inneren Kreis der Kerngemeinde zu distanzierteren Menschen gepflegt wird.
@Werner: Da gebe ich Dir weitgehend Recht, dennoch halte ich die kulturellen Formen für deutlich „verbreiterbar“. Manche Leute schalten innerlich einfach ab, wenn sie Lutherdeutsch hören, und selbst die Kerngemeinde kann i.d.R. nicht erklären, warum sie mit „und mit deinem Geist“ antwortet…
Leider, leider, leider werde ich Alan Roxbourgh aus terminlichen Gründen nicht life erleben können, weder bei Euch in Erlangen, noch in Marburg! Aber ich hoffe auf Podcasts…
Das Thema Weiterentwicklung des Gemeindegottesdienstes beschäftigt mich seit Jahren!
Ein Experiment sehe ich mitlerweile aus eigener Erfahrung als gescheitert an: Einen Misch-Masch aus dem „Üblichen“ und ein paar „modernen“ Elementen. Neue Zielgruppen haben wir damit jedenfalls nicht erreicht, wohl aber die Kerngemeinde genervt. Es macht wenig Sinn, den älteren Herrschaften dieser Gruppe z.B. moderne Worship-Songs abzuverlangen, die sie eigentlich nicht singen wollen.
Es wäre eigentlich nötig, zusätzlich, parallel zum Gewohnten eine neue Gottesdienstkultur einzuüben. Und dabei z.B. auch über den Termin neu nachzudenken. Für die mittlere Generation ist der Sonntag oft der einzige Tag in der Woche, an dem man ausschlafen kann. Dass wir uns auch Sonntags morgens ranhalten müssen und mit Blick auf die Uhr frühstücken, ist schon auch lästig. Ein Termin irgendwann am Sonntag abend läge da vielleicht günstiger. Das Problem bei dem „zweiten Gottesdienstprogramm“, das es ja schon vielerorts zumindest gelegentlich gibt, sehe ich in dem großen Aufwand, mit dem es oft verkünpft ist. Vielleicht sollten wir „zweite Programme“ entwicklen, die zwar kulturell relevant sind, trotzdem aber in der Vorbereitung nicht (viel) mehr Mühe machen, als ein „normaler“ agendarischer Gottesdienst.
Ich tüftle zurzeit auch an einer Idee, Hausandachten für ältere Gemeindemitglieder anzubieten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zum Gottesdienst kommen können. Vielleicht könnte es gelingen, dazu auch die Familie oder die Nachbarn miteinzuladen, bzw. einladen zu lassen.
Beim Emergent Forum hat Haso ja dazu ermutigt, zu experimentieren – und das würde ja bedeuteten, auch in Sachen Gottesdienst immer mal wieder etwas neues auszuprobieren, hier mal ein Detail zu verändern und dann dort mal, immer mit einer guten Beobachtung und Analyse verbunden. Gut ist natürlich, wenn man dann die Erfahrungen aus den eigenen Experimenten mit anderen teilt.
In diesem Sinne: Danke für Deinen Blogeintrag!
@ Peter: Über die liturgische bzw. geistliche / theologische „Fachsprache“ ließe sich vieles sagen … Z.B. ein Vergleich: Ein Arzt, der mich bei einer Untersuchung über mein gesundheitliches Problem aufklärt und mir dabei auch zeigt, dass er sich auskennt und mein Problem differenziert einzuordnen weiß, fühle ich mich gut aufgehoben. Der darf auch ruhig Fach-Chinesisch mit mir sprechen, solange er mich nicht vollständig abhängt …
Eine Übersetzungswut ist genauso fehl am Platze wie eine liturgische Hochsprache ohne „Erdung“ .
@ Werner: Ich denke, man sollte mit der Liturgie verfahren wie mit der Bibel. Da gibt es eine schöne Bandbreite an durchdachten und verantwortbaren Übersetzungen. Manche davon sind sogar schön…
… z.B. Luther 😉
Bandbreite ist gut.
Deshalb sollte es weiterhin verschiedene Gemeinden nebeneinander geben, und jede Gemeinde sollte m.E. eine Beheimatung in einer „Hauptliturgie“ haben. Wachstum des Einzelnen im Christsein braucht auch eine gewisse Kontinuität in den Gestaltungsformen seiner Gemeinde …
Die Frage ist, ob der wertvolle geistliche Gehalt liturgischer Traditionen (wenn auch in veränderter Gestalt) durch Neuschöpfung wirklich aufbewahrt wird. Ich kenne nur wenige wirklich neue Versuche in Richtung Innovation, die mir persönlich ziemlich flach vorkommen.
„weiterhin nebeneinander…“ – ich finde, an vielen Orten gibt es die erforderliche Bandbreite noch längst nicht und trotz des Anspruchs „Volkskirche“ zu sein, wird in der Regel auch gar nicht aktiv auf eine sinnvolle Differenzierung hingewirkt
Die innerkirchliche Differenzierung drückt sich derzeit tatsächlich nur wenig in verschiedenen Gemeindeformen aus. Auf dem liturgischen Feld sieht es da m.E. schon etwas bewegter aus.
Der Reformprozess „Kirche der Freiheit“ bzw. „Kirche im Aufbruch“ versucht, Akzente in dieser Richtung zu setzen. Es gibt also offiziell viel weniger Gegendruck gegen Innovation als noch vor 20 Jahren. Trotzdem bewegt sich in der Fläche nicht viel, selbst aus kirchenleitender Perspektive zu wenig. Das müsste auch den „Innovations-Freunden“ zu denken geben, meine ich.