Ich bekam vor einer Weile den Rundbrief einer christlichen Familie, die seit einigen Jahren in einem missionarischen Projekt arbeitet. Keine ganz einfache Situation, aber sich schlagen sich tapfer. Inzwischen sind die Kinder in der Schule und eines davon sollte im Unterricht Harry Potter lesen. Worauf hin die Eltern aus religiösen Gründen ihr Veto bei der Lehrerin einlegten. Die Schule gab nach, aber es gab doch erhebliches öffentliches Aufsehen. Sie standen als Fundamentalisten in der Kritik.
Dieser Vorwurf trifft sie nun nicht ganz zu Unrecht – man muss Harry Potter wirklich nicht so verstehen, das Genre Fantasy nicht für bare Münze nehmen. Damit will ich nicht alles schön reden, die Bücher haben auch ihre Schwächen, und obwohl sie dicker werden, wird die Story (leider) kaum noch besser. Doch das liegt für mein Empfinden an anderen Dingen als der “Magie”. Wir hatten dieselbe Sache in Grün mit der “kleinen Hexe” vor ein paar Jahren in unserer Gegend. Aber das ist eben ein typisches Merkmal fundamentalistischer Denkstrukturen, dass sie nur “wahr” und “falsch” denken können, und dass für Lyrik, Metaphern und Phantasie kein Raum ist.
Was nun nicht heißen soll, dass diese Christen auf einer Linie mit religiösen Gotteskriegern liegen und eine fromme Diktatur planen. Das sind sie ganz sicher nicht. Und gerade deswegen ist aber alles, was nach Zensur riecht, so ein unglückliches Signal.
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Das Ärgerliche daran finde ich, dass dann auch andere sich dauernd mit solchen Themen auseinandersetzen müssen, sich irgendwie dazu verhalten müssen, obwohl es wahrlich wichtigere Dinge gibt. So zwingen manche Fraktionen der Christenheit den anderen ihre Themen auf.
Bin ja ganz der Meinung, was das Wagenburgverhalten auf christlicher Seite angeht – aber was mich auch zunehmend annervt, ist dieses ständige unsägliche Fundamentalisten-Gewäsch. Jeder zweitklassige Landtagspolitiker darf sich inzwischen auf eine Schlagzeile und zustimmendes Kopfnicken freuen, wenn er den Zeigefinger hebt und mit sorgenvoller Stimme mahnt: „Wehrt den Fundamentalisten, gerade irgendwo auch in den eigenen Reihen!“
Was mich daran stört, ist nicht unbedingt dass Evangelikale dabei Kritik abkriegen (die haben sie sich manchmal redlich verdient), sondern dieses Halbgebildet-Gönnerhafte, was da rüberkommt. Hat das wirklich noch was mit ernstgemeintem öffentliche Diskurs zu tun, oder ist das nur billige Selbstprofilierung im Windschatten von 9/11?
Das größte Problem am „Fundamentalismus“, wie du es nennst, sehe ich weniger in der Reaktion der Öffentlichkeit auf dieses Verhalten, sondern vielmehr in der Abgrenzung zu anderen Christen, die vielleicht nicht so bzw. anders fundamentalistisch sind. Klar ist es blöd, wenn für Phantasie etc. kaum noch Raum ist, aber dahinter verstehen manche eben auch, dass sie sich nicht mit dieser Welt gleichsetzen wollen. Aber wenn Christen sich grundsätzlich von allem Charismatikern, Katholiken oder anderen mit „vergifteten“ Lehren fernhalten, treten sie Jesu Gebet, dass wir eins sein sollen, und die Liebe mit Füßen. Man mag sich gegen Harry Potter und andere Einflüsse der Welt versuchen zu wehren. Aber kann man ernsthaft denken, dass nur die eigene Art den Glauben zu leben richtig ist und damit alle anderen Christen quasi als dem Teufel ausgeliefert verstehen?
Ich finde es OK, wenn Kinder H-Potter oder kl. Hexe lesen. Ich finde es OK, wenn eine Gemeinschaft auf andere Rücksicht nimmt, die mit bestimmten Dinge Probleme haben. Ich finde es nicht OK, dass der Vorgang so aufgebauscht wird. Schlimm finde ich, dass in der Kritik nicht die Interessen der Kinder vertreten werden, sondern auf deren Rücken um die Wählergunst gestritten wird. Oder die Presse meint eine Art „Kreuzzug“ führen zu müssen.
Eine einzelne Entscheidung wird so aufgebauscht, als wäre nicht lediglich eine Klasse betroffen, sondern ein Jahrgang oder eine ganze Schule. Sogar vom Spiegel wird das falsch dargestellt. Das zeigt einfach nur, dass es nicht um das Wohl oder die Erziehung der Kinder dieser Klasse geht. Aus einem mir unklaren Grund wurde eine rücksichtsvolle (und deswegen für mich in gewissen Sinn auch vernünftige) Entscheidung einer Lehrerin in einem vermutlich ganz normalen Gymnasium in einem mittelgroßen Ort Deutschlands ins Licht der Weltpresse gezerrt. Wenn jemand „Fundi-Bashing“ machen möchte, gibt es da keine „größeren“ Anlässe?
Wenn beispielsweise eine Abgeordnete gegen Ende des Schuljahres fordert:
tut sie den Schülern keinen Gefallen. Hier wird eine unsinnige Forderung („Schüler müssen jetzt entgegen dem Lehrplan noch eine weitere Lektüre lesen“) durch Selbstverständlichkeiten, denen jeder zustimmen wird, gestützt. Gibt es echt genug Leute, die auf so eine Argumentation reinfallen?
Das schreibt der Schulleiter dazu.
D’accord. Mit ging es nur drum, dass solche Reaktionen von Medien und Politikern ja keine Überraschung sind und wir gut überlegen müssen, mit welchen Themen wir in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden möchten. Oder wie ein Freund neulich sagte: „Du musst wissen, auf welchem Hügel du bereit bist zu sterben.“