Thomas Merton und die politische Schönheit

Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit veröffentlicht unter dem Titel Die zielentleerte Zeit Teile des Vorworts für sein heute erscheinendes Buch „Wenn nicht wir, wer dann?“. Unter anderem schreibt er dort im Tagesspiegel:

Unsere Zeit wäre geradezu prädestiniert, Menschen mit herausragenden moralischen Qualitäten hervorzubringen, Politikerinnen und Politiker, die ihr Handeln daran orientieren, was politisch, historisch und moralisch „schön“ ist. Schaut man sich die Nachrichten an, wäre nichts dringender als Menschen, die Probleme ernsthaft anpackten. In Deutschland hätten wir die Mittel und die Sicherheit, uns ohne Gefährdung unseres Lebens für die Menschheit einzusetzen.

Aber viele ziehen es vor, abzuwarten oder sich herauszuhalten. Das ist nicht neu: Thomas Merton hat vor einem halben Jahrhundert einen „Brief an einen unbeteiligten Dritten“ geschrieben. Und weil er nicht auf die Oberfläche der Dinge, sondern auf deren Grund sieht, sind seine Worte heute nicht weniger aktuell als zur Zeit den kalten Krieges, während viele andere Autoren schon nach ein paar Jahren seltsam irrelevant klingen. Sein Aufruf geht in dieselbe Richtung:

Der unbeteiligte Dritte ist der Intellektuelle, der beobachtet und abwartet. Wir sind die unbeteiligten Dritten, während sie (die Mächtigen) unablässig dabei sind, die Welt nach ihren Zwecken und Plänen umzugestalten. Opfer dieser Politik sind die anderen, die sich nicht wehren können. Damit ist das Dreieck komplett. Die Frage lautet, ob man sich durch Distanz die Unschuld bewahren kann (unbeteiligter Dritter heißt im Original innocent bystander). Man könnte wohl, wenn man unverschuldet hilflos wäre, sagt Merton, aber in dem Moment, wo die Hilflosigkeit eine selbstverschuldete wäre, ist es auch schon vorbei mit der Unschuld. Abzuwarten kann legitim sein, wenn man genau weiß, worauf man wartet. Dann kann Nichtstun passiver Widerstand sein. In allen anderen Fällen wäre Passivität nur das Warten auf den eigenen Untergang.

Worauf also warten wir, wofür stehen wir, und wissen wir, was wir wollen, fragt Merton. Unsere Untätigkeit ist schuldhaft und unsere Schuldgefühle erleichtern es ihnen, den Machthungrigen und Skrupellosen, uns zu benutzen. Um noch einmal Ruch zu zitieren: „Die Frage der Menschenrechte ist eine Frage des Einsatzes der eigenen Rechte zum Schutz der Entrechteten. Sonst haben wir diese Rechte nicht verdient.“ Merton folgert:

Es ist also äußerst wichtig, dass wir nicht der Verzweiflung nachgeben, uns nicht ins „Unvermeidlichen“ fügen und uns mit „ihnen“ identifizieren. Wir sind verpflichtet, uns zu weigern, anzunehmen, dass ihr Weg „alternativlos“ ist. Und ebenso wichtig ist es für uns, nicht allzu exklusiv von „den anderen“ abzurücken, die auf uns angewiesen sind, und auf die auch wir angewiesen sind.

All „ihre“ Tarnungen, Imagewechsel und Bestechungsversuche dienen nur dazu, uns davon zu überzeugen, dass „sie“ es sind, auf die wir gewartet haben. Wenn wir überhaupt noch warten und die gepflegte Resignation nicht als bequemen Ausweg wählen. Wie Ruch spricht auch Merton hier von einer großen Leere:

Denn sehen Sie, unsere Leere ist nicht unschuldig, nicht einfach neutral, nicht „nichts“. Unser Selbsthass ist alles andere als Zerknirschung. Es ist das schreckliche spirituelle Vakuum, in das Boshaftigkeit sich wie ein Blitz einschleusen kann, um eine universale Explosion von Hass und Zerstörung auszulösen. Diese Explosion wird durch unsere Leere ermöglicht.

Alle Zuwendung, die wir von „ihnen“ erfahren, dient dazu, unser Schweigen und Wegsehen zu erkaufen. In dem Maß, wie wir die Entwicklung für unausweichlich halten, werden wir es kaum noch vermeiden können, zu Handlangern zu werden, denen ihre Unschuld nichts mehr wert ist. Aber was dann? Merton antwortet:

Es liegt nicht an mir, dieselbe Art klarer, mitreißender Aktionsprogramme anzubieten, die „ihre“ große Versuchung und Täuschung ist. Die eigentliche Schwierigkeit unserer Lage rührt von der Tatsache her, dass jedes definitive Programm nun eine Täuschung ist, jeder präzise Plan eine Falle, jede einfache Lösung intellektueller Selbstmord. […] Es gibt eine gewisse Unschuld darin, keine Lösung zu haben. Es gibt eine gewisse Unschuld in einer Art Verzweiflung: aber nur, wenn wir in der Verzweiflung die Erlösung finden. Ich meine das Verzweifeln an dieser Welt und was in ihr ist. Das Verzweifeln an Menschen und ihren Plänen, um auf die unmögliche Antwort zu hoffen, die jenseits unserer irdischen Widersprüche liegt, und die doch in unsere Welt hineinplatzen kann und sie lösen kann – sofern es noch jemand gibt, der trotz aller Verzweiflung hofft.

In der Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern ist die einzig unschuldige Person das Kind, das laut ausspricht, dass der aufgeblasene Kaiser nichts an hat. Hier sieht Merton unsere Aufgabe – allen Drohungen und Widerständen zum Trotz den Größenwahn, die Nichtigkeit, die Leere, die Grausamkeit und die Absurdität klar zu benennen. Ob das zum Erfolg führt (also einen Sinneswandel der Mächtigen bewirkt) oder zu verschärften Repressionen, bleibt offen. An das Wort und die Kunst, an die Unmöglichkeit einfacher Antworten und die Unentbehrlichkeit des Nachdenkens und Sich-Besinnens glaubt auch Ruch, sie sind das Gegenmittel gegen die Prosa des Geldes, des Marktes und der Profite, denn sie halten die Ahnung von Schönheit (die hat als Epiphanie immer etwas Transzendentes, scheint mir) wach und wirken damit (theologisch gesprochen) prophetisch:

Es gilt, Ideen wachzurütteln. In demokratischen Systemen ist das Politische ein Kampf der Worte. Denken wir an Parlamentsdebatten, Ansprachen und Wahlkämpfe. Wenn Politik aber ein Kampf der Worte ist, dann ist sie letztlich das Geschäft der Poesie und Schönheit. Von nichts ist die politische Gegenwart heute weiter entfernt.

Ich geh’ mir jetzt das Buch von Ruch kaufen. Jemand interessiert an einem Lesezirkel?

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2 Antworten auf „Thomas Merton und die politische Schönheit“

  1. Ich steure in den Zirkel noch das Buch von Christian Felber, Gemeinwohlökonomie bei… http://www.amazon.de/Die-Gemeinwohl-Ökonomie-Überarb-Neuauflage-Download/dp/3552062912/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1448318957&sr=1-1&keywords=christian+felber+gemeinwohlökonomie

    Es geht hier um eine Ausrichtung der Ökonomie am Nutzen für alle… Dann wird das Geld nicht zum Gegenpol des schönen Wortes… Sondern Wort und Tat und Werte und Schönheit finden wieder zusammen. Ich glaube, dass die Aufspaltung der Wirklichkeit mit unserem ergebenem Widerstandslosem Geist gegenüber dem Wirtschaftssystem zusammen hängt. Es geht nach Felber auch anders… Sehr anregend.

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