Die Frau in der Nische

Manchmal lässt sich ein ganzes Kapitel Kirchengeschichte in einem Symbolbild beschreiben. So erging es mir, als ich kürzlich in der Kathedrale von Lichfield hinter dem Hochaltar stand. Er ist auf beiden Seiten von jeweils sechs Figuren eingerahmt. Wenn ich das richtig gesehen habe, sind das fast alles Männer.

Fast, weil ein Bildhauer (wohl erst im 19. Jahrhundert) die Heilige Perpetua hineingeschmuggelt hat. Sie ist auf meinem Foto ganz rechts zu sehen. Aus dem Kirchenschiff bzw. Chor heraus kann man sie allerdings nicht erkennen, weil sie von einem Pfeiler verdeckt wird – und weil sie dem Betrachter den Rücken zukehrt. Nur von hinten ist sie sichtbar.

Vorne also die Männer, die Frau ganz am Rand, in der Nische. Ein Anblick, der eigentlich alles sagt. Über die Zeit, aus der er stammt, und über ein beschämendes Erbe, das noch nachwirkt.

Und ich denke mir: Luthers berühmtes Diktum aus der Heidelberger Disputation, dass man Gott eigentlich nur von hinten richtig sieht, lässt sich auch auf diesen Hochaltar anwenden. Wer nur von vorn draufschaut, der hat die Kirche (für die die Statuen ja stehen) noch gar nicht richtig erkannt.

Ebenso gilt: Aus der Sicht dieser Frau sieht diese Kirche ganz anders aus als aus der Perspektive der männlichen Kollegen. Der weibliche Blick ist der hinter die Fassaden der Hierarchie. In diesem Fall zumindest, aber das dürfte eben längst nicht der einzige sein.

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