Credo (A.D. 2015)

Den Impuls für den folgenden Text hat mein Freund Andreas Ebert mir am vergangenen Samstag in einem Münchner Biergarten gegeben. Er ist nicht mehr als ein Zwischenstand. Ich habe auf jede Art der Absicherung gegen Missverständnisse verzichtet, weil auch das zu einem Bekenntnis gehört. Ich habe auch auf theologische Standardformeln so weit wie möglich verzichtet, weil sie meist ins Reich der Gewohnheit deuten.

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Ich glaube, dass im Ursprung alles gut ist und dass es das am Ende auch wieder sein wird. In der Zwischenzeit ist es, wie wir alle wissen, ziemlich kompliziert.

Ich glaube, dass diese Welt der Quanten und Quasare nicht von Ungefähr denkende und fühlende Wesen beherbergt, dass sie geistreich, kommunikativ und schöpferisch ist: Lebende Verbindungen, aus denen heraus Überraschendes geschieht – wie gute Poesie, zwischen deren Zeilen sich mehr andeutet, als ich erfasse.

Ich glaube, dass wir Denkende und Fühlende das Potenzial haben, über uns hinauszuwachsen, oder das Gute, das wir uns wünschen, zu sabotieren. Und dass wir beides tun. Doch mitten in dieser Geschichte des zaghaften Lernens und krachenden Scheiterns begegnen manche einer Stimme, die herausruft: Aus der Stadt in die Steppe, aus dem Frondienst in die Freiheit, von den Hecken und Zäunen an den gedeckten Tisch zu Wein, Musik und Tanz.

Ich glaube, dass dieser Ruf allen gilt und sich einzigartig ausspricht im Leben Jesu von Nazareth, der diese Botschaft nicht nur bringt, sondern ist. Weil er bei den Abseitigen erscheint und ihnen eine Stimme gibt, mit seiner Zuwendung soziale, mentale und physische Wunden heilt, die Nutznießer der alten Ordnung aufschreckt, eine Gerechtigkeit an den Tag legt, die noch ihre Feinde umarmt, und Menschen in eine herrschaftsfreie Ordnung einweiht, wird er des Verrats und der Verführung angeklagt und im Namen der Staatsräson zur Abschreckung von Nachahmern am Kreuz brutalstmöglich vernichtet.

Ich glaube, dass der Autor der kosmischen Poesie, die wir „Welt“ und „Geschichte“ nennen, die Gerechtigkeit vor den Mächtigen gerettet und damit ein neues Kapitel aufgeschlagen hat. Sein Ruf der Liebe dringt durch das Leid, durch Hass und Gleichgültigkeit bis hinein in den absoluten Abgrund des Grabes. Das Neue beginnt dort – mit einer Person, die durch verschlossene Türen geht. Und es setzt sich fort in einer Gemeinschaft von Ausbrechern, die (gewiss oft zögernd und zweifelnd, dann aber auch wieder zielstrebig und mutig) soziale, kulturelle und ethnische Schranken überwinden.

Ich glaube, der Geist des Lebens befreit dazu, dass wir zu unserem verwundeten Menschsein stehen, mit uns selbst und anderen versöhnt leben, zerstörerischen Kräften in uns selbst und um uns her trotzen, und gelassen in die Zukunft schauen.

Ich glaube, dieses alltägliche Wunder ist der Vorbote einer großen Verwandlung.

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Dreimal nein

Steine, Staub, Sand und Dornen,
Flirrende Hitze und nagende Kälte,
Totenstille, dann hallen Geräusche –
Bröckeln, Flattern, Säuseln und Knirschen.

Ins Wasser und wieder heraus
und dann gehen, suchen, und warten, was sich zeigt.
Vierzig Tage, die sich wie Jahre anfühlen,
Und kein Busch, der brennt und spricht.

Um so mehr brennt das Herz,
der glühende Hauch hat es angefacht.
Hunger schwillt an und ebbt ab
– Leere in mir und umher.

Stille – darin eine Stimme
Berge von Stein werden Brot
und füllen die Leere im Bauch
– doch vollgestopft sein macht träge.

Stumm bliebe da das Wort
aus Busch und Berg und Himmel.
Ich suchte die Leere, um davon zu zehren,
denn sein Nachhall ist leise…

TipTop, schnarrt die andre,
das bist du dir schuldig
dein Einstieg ist oben
durch Boardroom und Penthouse

Da unten herrscht Druck
und für den musst du sorgen
Vergiss Empathie, Mann,
denn Schwäche ist teuer.

Aber unten am Wasser
am Tiefpunkt der Erde
da war ich wie alle… geliebt…
doch hör’ ich schon wieder:

Und droht dir ein Sturz
nimm den goldenen Fallschirm
spring mutig ins Leere
was soll schon passieren?

Du wirst zur Legende
sie fliegen auf Drama
die Schwachheit der vielen
braucht dich unzerstörbar.

Wer bin ich? Wer will ich sein?
Nun, das ganz bestimmt nicht:
„Nein, nein und nochmal nein“
platzt es aus mir heraus.
„Hörst du das?“ –
Aber die Antwort bleibt aus.
Die Stille wird freundlich.
Als ginge lächelnd ein Engel vorüber.

 

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Für sich selbst sorgen

Für sich selbst zu sorgen ist nie etwas Selbstsüchtiges – es ist schlicht gutes Haushalten mit dem einzigen Geschenk, das ich habe, dessentwegen ich auf der Welt bin, um es mit anderen zu teilen. Jedes Mal, wenn wir auf unser wahres Selbst hören und ihm die Fürsorge angedeihen lassen, deren es bedarf, tun wir das nicht nur für uns selbst, sondern auch für die vielen anderen, deren Leben wir berühren.

Parker Palmer

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Die Freiheit des Zweifels

Ein Jahr vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, des letzten und verheerendsten Religionskrieges auf dem europäischen Kontinent, schrieb der Kroate Marko Gospodnetić, besser bekannt als Markantun de Dominis, damals Erzbischof von Split den Satz „Omnesque mutuam amplecteremur unitatem in necessariis, in non necessariis libertatem, in omnibus caritatem.“

Der zur griffigen Formel Satz ist als „In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas“ in die Kirchengeschichte eingegangen: „Im Notwendigen herrsche Einmütigkeit, im Zweifelhaften Freiheit, in allem aber Nächstenliebe“. Sein jesuitischer Autor legte das Bischofsamt im Streit nieder, lehrte zwischendurch in Oxford und Cambridge, bis er nach seiner Rückkehr von der Insel von der Inquisition verhaftet und bis zu seinem Lebensende in der Engelsburg eingesperrt wurde. Seine Bücher wurden nach seinem Tod 1624 verbrannt.

Das Schicksal ihres weisen Autors zeigt schon, dass eine solche Haltung keineswegs immer populär war. Vielmehr hat es zu allen Zeiten die Versuchung gegeben, die notwendige Einheit zu erzwingen und die Liebe dabei zu vergessen, beziehungsweise den Zwang als eine besonders „toughe“ Form der Liebe auszugeben. Wie der dreigliedrige Spruch auch schön zeigt, ist der Ausschluss jeglichen Zweifels (oder psychologisch ausgedrückt: aller Ambivalenz) dabei oft das entscheidende Motiv: Es hat in möglichst allen Bereichen maximale Eindeutigkeit zu herrschen. Also im Zweifel lieber doch keine Freiheit.

Doubt by Beshef, on Flickr
Doubt“ (CC BY 2.0) by Beshef

Funktionieren konnte als dies nur da, wo christliche Kirchen und Gemeinschaften entweder über äußere oder innere Druckmittel verfügten, mit denen sie ihre „Schäfchen“ bei der Stange halten konnten. Heute gelingt das nur noch über psychische Manipulation: Indem man Feindbilder errichtet, Ängste und Vorurteile schürt, das Vertrauen der Menschen in das eigene Urteil schwächt und aus dieser Wagenburg-Mentalität heraus blinde Loyalität beschwört.

Folglich sehen wir heute eben jene ambivalente Entwicklung: homogene Gruppen mit einem sehr „klaren“ Profil (dazu zählen neben chronisch und zwanghaft Ambivalenz-aversen Fundamentalismen unter anderem auch manche Gründungen in der aufregenden Pionierphase) wirken oft ungemein anziehend auf Menschen in einer verwirrend widersprüchlichen, komplexen Welt. Dietrich Bonhoeffer warnte einmal in einem etwas anderen Zusammenhang: „Es ist nun aber die Gefahr in aller starken Liebe, dass man über ihr – ich möchte sagen: die Polyphonie des Lebens verliert.“

Folglich fliehen viele spätestens dann aus der Enge, die anfangs so viel Geborgenheit vermittelte, wenn sie die „Klarheit“ in einen Konflikt stürzt, der nicht mehr aufzulösen ist. Auch hier spielen der Umgang mit Ambivalenzen (eben der „Polyphonie des Lebens“) eine Rolle. Das Scheitern einer Ehe zum Beispiel ist immer schlimm, aber wenn ein Pfarrer den Eindruck erweckt, „richtigen“ Christen könne so etwas ja nicht passieren, ist es eine doppelte Katastrophe für die Betroffenen. Es stellt die Echtheit des eigenen Glaubens und die Beziehungen zur Gemeinde automatisch mit in Frage und schneidet Menschen von der Hilfe ab, die sie dringend brauchen.

Der weise Parker Palmer hat die Alternative so beschrieben:

Authentische Spiritualität will uns öffnen für die Wahrheit – was auch immer die Wahrheit ist, wohin auch immer die Wahrheit uns führt. Eine solche Spiritualität diktiert nicht, wohin wir gehen müssen, sondern vertraut darauf, dass jeder Weg, den wir mit Integrität gehen, uns zur einem Ort der Erkenntnis führt. Eine solche Spiritualität macht uns Mut, Vielfalt und Konflikt zu begrüßen, Ambivalenz auszuhalten und das Paradoxe anzunehmen.

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Meine Liebe – deine Liebe

Mehr denn je bin ich davon überzeugt: Die Liebe ist der Daseinsgrund und das oberste Gesetz der Gemeinschaft. Aber bei uns wie bei anderen habe ich erlebt, dass man der Liebe recht übel mitgespielt hat – und das im Namen der Liebe!

Weder das Bemühen, von sich selbst abzusehen, noch die Ermahnung, doch an die übernatürliche Dimension zu denken, scheinen zu genügen, um solche Flurschäden zu verhindern. Alle, die gegenseitig aufeinander losgingen, waren davon überzeugt, dass man „Gott über alles lieben müsse und seinen Nächsten wie sich selbst“ – aber jede hatte ihre eigene Auffassung und ihre eigene Version dieser Liebe.

Madeleine Delbrêl, Deine Augen in unseren Augen. Die Mystik der Leute von der Straße, 139.

 

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Theologie mit Hirnschaden?

Ab und zu ist mir im zu Ende gehenden Jahr ein irritierendes Phänomen begegnet. Ich habe ja nun wirklich nichts gegen das Denken, aber manchmal verblüfft es mich schon, wie manche ihre theologischen Urteile gerade deshalb für besonders objektiv und sachlich halten, weil sie konkrete Personen und Lebensschicksale dabei offenbar schroff ausblenden können. Richard Beck hat das in einem seiner Posts ganz treffend auf den Punkt gebracht:

Orthodoxe Alexithymie („Gefühlsblindheit“) entsteht, wenn die intellektuellen Facetten christlicher Theologie um des korrekten und rechten Glaubens willen vom Gefühl, der Empathie und der Verbundenheit entkoppelt werden. Rechtgläubige Alexithymiker sind wie Patienten mit einem Hirnschaden am ventromedialen Präfrontalkortex. Ihre Gedankengänge können ausgeklügelt und in sich stimmig sein, aber sie sind losgelöst vom menschlicher Emotion. Und ohne dass christusförmige Einfühlsamkeit die Kette der Berechnungen leitet, landen wir bei der theologischen Entsprechung dazu, uns lieber am dogmatischen Finger zu kratzen als die Zerstörung der ganzen Welt zu verhindern. Logisch und lehrmäßig lassen sich solche Präferenzen rechtfertigen. Sie sind nicht „wider die Vernunft“. Aber sie sind unmenschlich und monströs. Emotion fehlt, nicht der Verstand.

… Zu ihrer Rechtfertigung werden rechtgläubige Alexithymiker die Sichtweise der Griechen hervorheben: Der Verstand muss die Leidenschaften zähmen. Wir können Gottes Willen nicht erkennen, wenn wir zulassen, dass Gefühle ins Spiel kommen. Gefühle sind Versuchungen. Daher müssen wir unserer Gefühle dem Verstand unterwerfen. Der Verstand führt dich zu Gott. Also lass die Gefühle beiseite. Wenn eine theologische Argumentationskette anfängt, dich zu erschrecken, dann musst du diese Gefühle unterdrücken.

Gestern hat Papst Franziskus seiner Kurie die Leviten gelesen und dabei 15 Krankheiten aufgezählt. Unter Punkt 3 redet er von „Abstumpfung“. Das ist vielleicht nicht ganz dasselbe wie Alexithymie, aber es kommt nahe hin. Umgekehrt spricht der Engel zu den Hirten von Gottes Wohlgefallen. Der betrifft sicher nicht die allgemeinen Zustände auf Erden, aber seine grundsätzliche Einstellung Menschen gegenüber und ganz besonders gegenüber Menschen mit Brüchen in der Biografie. Wohlgefallen ist kein moralisches Urteil, sondern Gottes Form von Empathie. Eine Empathie, das muss man gegenüber der Perversion von Weihnachtsliedern durch Pegida-Anhänger betonen, die gerade nicht nur dem gilt, der kulturell und ethnisch als „Gleicher“ wahrgenommen wird.

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Wenn geistreich sein nicht mehr reicht…

Madeleine Delbrêl lebt in der Spannung zwischen Kirche und Gesellschaft, die (nicht nur) damals von beiden Seiten bedroht war. Die Kirche zog sich in sich selbst zurück vor einer immer gleichgültigeren Welt, die von ihr nichts mehr erwartete. Man muss das wissen, um die folgenden Sätze nicht misszuverstehen.

Einzig in der Kirche und durch sie ist das Evangelium Geist und Leben. Außerhalb ist es nur noch geistreich, nicht mehr Heiliger Geist.

Die Evangelisierung der Welt, ihr Heil ist die eigentliche Berufung der Kirche. Sie ist unaufhörlich auf die Welt hin ausgespannt, strebt zu ihr hin wie die Flamme zum Stroh. Aber diese Spannung wäre eine Überforderung für jemanden, der nichts weiter als er oder sie selbst sein wollte.

Je kirchenloser die Welt ist, in die man hineingeht, desto mehr muss man Kirche sein. In ihr liegt die Mission – durch uns muss sie hindurchgehen.

(Deine Augen in unseren Augen, 214.)

Das wäre durchaus eine Kirche, von der auch heute viele träumen: Eine Gemeinschaft von Menschen, in der sich das Evangelium verkörpert und deren Identität nicht in der strikten Abschottung besteht, sondern die sich fordern, dehnen und verändern lässt, die in ihrem Hineingehen in die Welt auch über sich selbst hinauswächst.

Reduziert man das Evangelium auf eine körperlose Idee, und versucht man aus dieser Idee Kapital zu schlagen für andere Zwecke (Bildung, Wellness, bürgerliche Moral etc.), dann ist es nur noch geistreich. Nicht wertlos, aber weit unter Wert verkauft.

 

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Das Beten der Aktivisten (1)

Aktivisten wollen die Welt verändern und deshalb, so zumindest das Klischee, stehen sie mit dem Gebet auf Kriegsfuß. Zu ungewiss die Resultate, zu anstrengend das Innehalten und Loslassen, zu irritierend die Wendung hin zu Gott und damit immer auch ein Stück weg von den Brandherden dieser Welt. Keine Zeit, die Hände zu falten. Das haben wir alle schon mal so oder so ähnlich gehört.

Doch jeder ernsthafte Aktivismus ist aus zwei Richtungen bedroht: Durch Erschöpfung und Resignation einerseits, wenn einem die Probleme über den Kopf wachsen und selbst jede gelungene Aktion nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein ist, andererseits durch Selbstgerechtigkeit, die stur und rücksichtslos macht. In selbstgerechten Köpfen entstehen Feindbilder – dann sind eben Banker und Manager die neuen „Zöllner und Sünder“, die kollektive Entrüstung auf sich ziehen – und aus Feindbildern wächst erst der Zorn und dann womöglich noch der Hass. Wink warnt:

Wir könnten einfach im Bann einer neuen, kollektiven Leidenschaft gefangen sein und dadurch versäumen, die Möglichkeiten zu entdecken, zu denen Gott hier und jetzt drängt. Ohne Schutz durch das Gebet ist unser Aktivismus der Gefahr unterworfen, zu einem selbstgerechten „guten Werk“ zu werden. (152)

Wer also weder seinen Mut noch seine Menschlichkeit im Kampf für Gerechtigkeit und im Einsatz für eine bessere Welt nicht verlieren will, für den ist das Gebet kein Beiwerk von zweifelhaften Nutzen mehr, sagt Walter Wink in Verwandlung der Mächte. Die beliebte Frage, ob Beten eine Flucht vor dem Handeln sein könnte, stellt Wink nicht, seine Perspektive ist nicht die des Rückzugs in einen heilen, frommen Binnenraum. Diese Auflösung der Grenze zwischen Tun und Beten habe ich kürzlich auch bei Madeleine Delbrêl gefunden, die schrieb: „Weil wir die Liebe für eine hinreichende Beschäftigung halten, haben wir uns nicht die Mühe gemacht, unsere Taten nach Beten und Handeln auseinanderzusortieren.“ Zugleich ist das Gebet für beide, Wink und Delbrêl, auch mehr als ein Ort der Selbstreflexion. Es verändert nicht nur den Beter in seiner Innerlichkeit, während die Welt um ihn herum ungerührt ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt.

In Engaging The Powers verweist Wink in diesem Zusammenhang auf Rudolf Bultmann, der im Blick auf den „Gebetsglauben“ Jesu festgestellt hatte:

… man kann nicht zweifeln, dass, wenn Jesus zum Bittgebet mahnt, dann die Bitte im eigentlichen Sinn gemeint ist, d.h. im Gebet soll sich nicht die Ergebung in Gottes unabänderlichen Willen vollziehen, sondern das Gebet soll Gott bewegen, etwas zu tun, was er sonst nicht tun würde.

Nicht die Selbstbegrenzung des deistischen Gottes der Aufklärungstheologie oder die göttliche „Apatheia“ der antiken Philosophen prägen das Weltverhältnis des Glaubens, vielmehr begegnen wir hier jener Vorstellung von Allmacht und Souveränität, die nicht nach einem neutralen Standpunkt sucht, um von dort aus alpgemeingültige Aussagen zu machen, sondern den unablässigen Klagen der Psalmisten und dem Feilschen der Gerechten Israels einnimmt, die Gott unablässig ins Gewissen reden, ihn bei seiner Ehre und seinen Heilszusagen packen und ihn so ins Weltgeschehen verwickeln.

Um noch einmal Madeleine Delbrêl zu zitieren, die das Verbot der Arbeiterpriester der Mission de France unter Pius XII als schweren Rückschlag beklagte und in dem Zusammenhang fragte: „Aber Gott will, dass wir ihn aufdringlich darum bitten, sein Wort zu halten. Haben wir diesen Druck auf Gott ausgeübt, haben wir ihn hinreichend ausgeübt?“

Walter Faerber hat das Weltbild, auf das Wink sich bezieht, in diesem Post schön dargestellt und ihm mit dem keltischen Knoten noch ein schönes Symbol hinzugefügt. Wink folgert aus dem unentwirrbaren Ineinander göttlicher und menschlicher Initiative, sichtbarer und unsichtbarer Einwirkungen:

Fürbitte ist der spirituelle Widerstand gegen das, was ist, im Namen dessen, was Gott verheißen hat. Fürbitte imaginiert eine alternative Zukunft, anders als die, welche vom Schicksal durch das Zusammenwirken gegenwärtiger Kräfte bestimmt zu sein scheint. Das Gebet lässt die Luft einer kommenden Zeit in die erstickende Atmosphäre der Gegenwart hereinwehen. (154)

Ich will das im nächsten Post noch etwas näher ausführen. Hier vielleicht noch der Hinweis, der uns bei Con:Fusion 2014 noch ganz wichtig war, dass Wink – durchaus im Einklang mit den biblischen Texten – nie von einer direkten, unvermittelten Intervention Gottes in der Welt spricht. Immer ist ein menschlicher Agent im Spiel – von Adam über Abraham und Mose, die Richter und Propheten bis hin zum Messias, seiner jungen Mutter und schließlich der messianischen Gemeinschaft unter den Augen der Mächte der Welt.

Und so wie Menschen Gott durch ihr Gebet in die Leiden und Kämpfe seiner und ihrer Welt verwickeln, so verwickelt Gott die Menschen durch seinen Geist in die Anliegen seines Reiches, seiner „herrschaftsfreien Ordnung“ (domination-free order), wie Wink so oft sagt, eben jener „alternativen Zukunft“. Wenn wir Gott also, wie Madeleine Delbrêl schrieb, unter Druck setzen, dann deshalb, weil der Funke dieser Sehnsucht uns erfasst hat und sie sich im Umgang mit Gott und den Worten Jesu ständig neu entzündet.

In unserer Gruppe brachte es am Samstag jemand auf den (ziemlich herausfordernden…) Punkt:

Gott hat es so angestellt, dass das Gute nur gewinnt, wenn wir mitmachen.

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Der Sinn des Betens

Die Träger der kommenden Veränderungen unterwerfen sich in der Regel einer Lebensweise, die andere vielleicht als Schinderei bezeichnen würden. Sie tun dies nicht, um sich zu kasteien oder sich etwa bei Gott beliebt zu machen. Sie tun einfach das Nötige, um spirituell lebendig zu bleiben, so wie sie essen und trinken, um körperlich lebendig zu bleiben. […]

Menschen, die beten, tun dies nicht, weil sie an bestimmte intellektuelle Thesen über den Wert des Gebets glauben, sondern weil der Kampf, menschlich zu bleiben im Angesicht übermenschlicher Mächte, es verlangt.

Walter Wink, Verwandlung der Mächte, 151.

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Zeitstaub

Legt man sich die Latte im geistlichen Leben zu hoch, dann ist damit gar nichts gewonnen. Madeleine Delbrêl plädiert für den entgegengesetzten Ansatz, und sie hat einen schönen Begriff dafür:

Manche setzen es sich in den Kopf, es genau wie die Ordensleute machen zu wollen; das führt aber dazu, überhaupt nichts zu tun, denn so etwas ist für uns Leute vom Volk praktisch unmöglich.

in das beschäftigtste, umtriebigste Leben dringen aber doch, wie feiner Staub, leere Zeitteilchen ein […] Wenn wir behaupten, Beten sei unmöglich, so müssen wir uns auf die Suche nach diesem Zeitstaub machen und ihn so, wie er ist, verwerten.

aus Deine Augen in unseren Augen: Die Mystik der Leute von der Straße, 103.

 

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Nicht:Ich:keiten

In einer Welt aufgeblasener Nichtigkeiten
erstaunt Deine Nicht:Ich:Keit.

Wo Ichlinge groß sein wollen,
wirst Du ganz klein.
Wo jeder der erste sein will,
liebäugelst Du mit den Letzten.

Wo die Ungeduld drängelt,
hast Du Zeit zum Spielen.
Wo jeder Gehör finden muss,
spendest Du Stille.

Wo wir uns beweisen,
lässt Du Dich in Zweifel ziehen.
Wo Säbel rasseln und Stiefel poltern,
kommst Du barfuss daher.

In dieser Nicht:Ich:Keit
bist Du unnachahmlich,
einzigartig Du selbst –
versöhnst mich mit meiner Nicht:Ich:Keit,
nimmt mir die Angst
vor dem Sturz ins Nichts.

Schwerelos macht mich das,
so entgleitet mir
in deiner Umarmung
meine Ungehaltenheit.

Ich in dir,
Du in mir.
Nicht:Ich mehr,
aber gehalten.

Amen.

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Mitleidenschaft

Gott lässt sich um unseretwillen „in Mitleidenschaft ziehen“, so oder so ähnlich sagte es Andreas Ebert letzte Woche bei den Straßenexerzitien. Ich musste eine ganze Weile über diese Redewendung nachdenken. Manchmal hört man ja auch geläufige Phrasen urplötzlich ganz neu – und entdeckt, wie passend sie sein können:

Wenn etwas (ein Waldweg, der DAX, ein Kniegelenk) in Mitleidenschaft gezogen wird, dann hinterlässt das Spuren, erkennbare Wundmale, auch wenn das eigentliche Ziel der Gewalteinwirkung (des Fahrzeugs, der Gewinnwarnung, der Belastung) ein anderes war. Aktuell heißt das in der drögen Diktion des US-Militärs „Kollateralschaden“, wenn jemand unverschuldet „unter die Räder“ kommt, weil er einer nahenden Gefahr nicht rechtzeitig ausweicht.

Wenn es Gottes Wesen ist (und nicht nur ein dummer Zufall der Geschichte), dass er sich in Mitleidenschaft ziehen lässt, weil er sich in absehbare und vermeidbare Gefahr begibt, dann stellt sich die Frage, inwieweit auch wir uns dem Leid um uns her aussetzen, ob es also angeht, wenn wir jede Möglichkeit nutzen, ihm (dem Leid – Gott – Gott im Leidenden) aus dem Weg zu gehen. Es geht nicht darum, ins Leiden verliebt zu sein. Aber vielleicht ein bisschen in den, der nicht jedes Leid scheut auf seinem Weg zum Mitmenschen.

Bloßes „Mitleid“ mit anderen kann auch einen herablassenden Charakter annehmen, zum faden Bedauern werden. Zum Glück steckt in „Mitleidenschaft“ aber auch noch die Leidenschaft. Leidenschaftlich Anteil zu nehmen ist kostspielig, es strapaziert uns ganz anders und es hinterlässt Spuren. Wir spüren in einer solchen Begegnung aber nicht nur die Defizite und den Schmerz anderer, sondern auch das, was sie antreibt und am Leben hält, ihre Leidenschaft eben.

Und dann kann es passieren, dass sich die Strapaze wandelt zum Geschenk. Dass, wie Christian Herwartz es vorletzte Woche sagte, aus der Dornenkrone ein brennender Dornbusch wird. Ein Ort der Gottesbegegnung und Verwandlung. Heiliger Boden, wo ihn niemand vermutet hätte.

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Lust auf etwas anderes

… ich glaube, du hast von den Leuten genug,

Die ständig davon reden, dir zu dienen – mit der Miene von Feldwebeln,

Dich zu kennen – mit dem Gehabe von Professoren,

Zu dir zu gelangen nach den Regeln des Sports

Und dich zu lieben, wie man sich in einem alten Haushalt liebt.

Eines Tages, als du ein wenig Lust auf etwas anderes hattest,

Hast du den Heiligen Franz erfunden

Und aus ihm einen Gaukler gemacht.

An uns ist es, uns von dir erfinden zu lassen,

Um fröhliche Leute zu sein, die ihr Leben mit dir tanzen.

Madeleine Delbrêl, Deine Augen in unseren Augen. Die Mystik der Leute von der Straße, 116.

 

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Wo wohnt Gott?

Auf meinen Wegen kreuz und quer durch München kam ich an vielen Kirchen vorbei – barocke, neoklassizistische, ein paar moderne und etliche undefinierbare. Nicht wenige Kirchenbauten in dieser Stadt kommen etwas monströs daher, als orientierten sie sich am monumentalen Stil ihrer Umgebung, etwa das markante Templer-Kloster in Giesing mit seinem 87 m hohen Zwiebelturm.

Vor allem aber wirken sie heute oft wie Kleider, die nicht mehr passen. Die Gemeinden sind geschrumpft, sie frösteln zwischen den kalten Wänden und füllen den üppigen Raum, der so viel von ihren Energien schluckt, nur noch selten. Diese musealen „Liegenschaften“ stehen herum wie die abgestreifte Haut eines Lebewesens, das nach der Häutung aber nicht größer, sondern kleiner wurde. Wie ein Abdruck des Gewichts, das die Kirche einmal besaß – oder vielleicht auch bloß anstrebte.

Ich fragte mich, ob auch solche Kirch-Türme aus der Angst heraus gebaut wurden, die Gemeinden könnten sich verlaufen und zerstreuen (wie beim Turmbau zu Babel in Genesis 11, nur dass in diesem Fall nicht der Bau scheitert, sondern der Versuch, ihn weiterhin zu bewohnen). Ist am Ende so manche Theologie des sakralen Raumes eher der Ausdruck einer gewissen Unfähigkeit, Gott in dieser chaotischen, unruhigen, widersprüchlichen, oft problematischen, aber auch so lebendigen, vielstimmigen und ständig Neues hervorbringenden Welt anzutreffen?

Fungiert die Art, wie Gemeinden (klar: nicht alle, aber doch so manche) die Geschichte ihrer Bauten gern erzählen, nicht hin und wieder als Versuch eines Gottesbeweises, der doch ebenso unbefriedigend bleiben muss wie seine metaphysischen und formallogischen Vorläufer?

Ich saß, während ich über diese Dinge nachdachte, auf einer Bank, die zwischen zwei Reihen alter Buchen stand. Es nieselte, aber die Bäume hielten mich trocken und der Himmel über mir war etwas grau, aber offen und voller Leben.

Ich kenne auch schöne und zweckmäßige Kirchenräume. Aber ich fürchte, wir halten sie auch dann noch gern für schön und zweckmäßig, wenn sie es schon längst nicht mehr sind. Ich plädiere auch nicht für die Abschaffung von Kirchengebäuden. Wohl aber dafür, den Blick für Gottes verborgene Anwesenheit an all den gewöhnlichen Orten zu schärfen, und Gott vor allem nicht anhand von Immobilien, sondern unter den Menschen nachzuspüren, nicht im Damals, sondern im Heute.

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Nackte Sohlen, brennendes Herz

Manche haben es ja mitbekommen, dass ich die letzte Woche auf den Straßen von München zugebracht habe. Es war eine sehr bewegende Zeit und in den abendlichen Austauschrunden in der Gruppe, die Christian Herwartz und Andreas Ebert wunderbar einfühlsam und anregend anleiteten, gab es viel zu erzählen – Nachdenkliches, Trauriges und überraschend viel Staunen und dankbare Freude.

Der Franke geht eigentlich ja grundsätzlich mit gemischten Gefühlen durch München, und so verlief auch der Einstieg am ersten Tag. Christian hatte uns die Anregung mitgegeben, darauf zu achten, was uns stört oder traurig macht. Denn hinter der Trauer und dem Ärger liegt die Sehnsucht, wie es sein könnte oder sollte. Auf dem Umweg über die “negativen“ – oder besser: unangenehmen – Gefühle kommen wir der Sehnsucht auf die Spur, die verborgen in uns liegt und die wir uns nicht ausgesucht haben.

Die ersten Dinge, die mir auffielen, waren etliche Schilder, die Leute an den Häusern im Glockenbachviertel aufgehängt hatten: Wo man nicht parken oder seinen Hund pinkeln lassen soll; oder dass, so die Crew einer Kneipe, auf dem Gehweg vor dem Haus „so ziemlich alles verboten“ und mit Bußgeldern für den Wirt belegt sei. Auf dem alten Südfriedhof war neben den Namen auch stets der gesellschaftliche Stand der Toten in Stein gemeißelt, selbst wenn es sich um das wunderliche Prädikat „Privatiersgattin“ handelte.

Überlebensgroß wurden die Inschriften dann in der Fußgängerzone: Ein mit Pralinen gefülltes Schaufenster verkündete, jeder Widerstand sei zwecklos und dass man vor dieser Versuchung nur kapitulieren könne. So funktioniert der Kapitalismus, das war die Stimme der „Wölfe“ aus der biblischen Aussendungsrede, weshalb wir den weisen Rat bekommen hatten, die Wölfe nicht zu füttern, indem wir Geld mitnehmen und ausgeben. Statt der Verbote war hier in der City die Forderung allgegenwärtig, jedem Appetit doch gefälligst umgehend freien Lauf zu lassen.

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Ich fühlte mich bedrängt von Ansprüchen und Appellen, mein Widerwille gegen diese Bevormundung wuchs, und die Gruppen von Jehovas Zeugen, die in der Innenstadt ihre Schilder mit frommen Parolen hochhielten, linderte ihn auch nicht gerade, ebensowenig wie aggressive und ungeduldige Kraftfahrer.

Wo ist man in dieser Stadt eigentlich unbedrängt? Ich lief auf Umwegen bis zur Münchner Freiheit, nur um dort in einer Seitenstraße die Zentrale von Scientology zu finden. Und dann entdeckte ich sie doch noch: Bei den Surfern auf dem Eisbach und den Schachspielern am Isarufer, wo Menschen über das Spiel zusammenfanden und darüber – wenigstens für den Moment – zu Gleichen wurden. Wer wollte, konnte stehenbleiben und sich – absichtslos und zweckfrei – in den Bann des Spiels ziehen lassen, ein Gesprächsthema mit den anderen finden, und sich irgendwann wieder abwenden und gehen.

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Und darin begegnete ich der Sehnsucht in mir selbst: Nach dem Freiraum des absichtslosen Spiels; nach der Gleichheit unter Menschen, die nichts anderes von einander wollen , als gemeinsam etwas für diesen Augenblick zu schaffen und zu genießen. Mein Gottesname für diese Woche lautete: Du, der alle Schönheit geschaffen hat und mir im Spiel begegnet, der mir gleich wird und mich an einen Ort führt, an dem ich aufleben kann. Dieses Gebet hat sich Tag für Tag in unterschiedlichen Formen wiederholt.

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