Das Format unserer Taten

Wir anderen, wir Leute von der Straße, sind ganz sicher, dass wir Gott so sehr lieben können, wie er Lust hat, von uns geliebt zu werden.

Wir glauben, dass die Liebe keine glanzvolle, dafür aber eine aufzehrende Angelegenheit ist; wir denken, dass wir, wenn wir für Gott ganz kleine Dinge tun, ihn ebenso lieben können wie mit großen Aktionen. Im Übrigen halten wir uns für schlecht informiert, was das Format unserer Taten angeht. Wir wissen bloß zweierlei: zum einen, dass alles, was wir tun, nur klein sein kann; zum anderen, dass alles, was Gott tut, groß ist. Das beruhigt uns angesichts dessen, was zu tun ist.

Weil wir die Liebe für eine hinreichende Beschäftigung halten, haben wir uns nicht die Mühe gemacht, unsere Taten nach Beten und Handeln auseinanderzusortieren.

Madeleine Delbrel, Deine Augen in unseren Augen. Die Mystik der Leute von der Straße, 97.

 

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Ich bin dann mal suchen

Heute Abend beginnen die Straßenexerzitien in München. Andreas Ebert ist unser Gastgeber und Hausherr für unsere Pilgergruppe im spirituellen Zentrum St. Martin, wir waren dieses Jahr schon zusammen auf Iona und nun gibt es ein Wiedersehen.

Und dann freue ich mich sehr, Christian Herwartz persönlich kennenzulernen, nachdem ich sein Buch „Auf nackten Sohlen“ schon immens spannend fand.

Die Großstadt als „Wüste“ – Ort der Einsamkeit und der Begegnung – der Erfahrung will ich in den nächsten 7 Tagen nachgehen. Vielleicht poste ich im November den einen oder anderen Bericht aus der Woche. Bis dahin wird es hier stiller als normal.

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Crazy Love (3): Wieder warten

(Wer es noch nicht gelesen hat: Teil 1 und Teil 2)

Wie geht es weiter? Vielleicht so:

Sie zieht zurück in die gemeinsame Wohnung und richtet sie, so gut es geht, wieder her. Und dann wartet sie auf seine Rückkehr. Immer wieder schickt er Nachrichten. Das hält ihre Hoffnung am Leben, aber es ist eine angespannte Hoffnung. Wenn er sie wirklich so liebt, wie er schreibt, warum dauert das denn alles so lange?

Und dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, steht er plötzlich vor der Tür. Sie hat Mühe, ihn zu erkennen nach der langen Zeit, und weil er so ärmlich gekleidet daherkommt. Die Wohnung steht immer noch unter Beobachtung. Immer wieder geht er weg, um sich mit Leuten zu treffen, und dann kommt er wieder zurück. Sie würde ihn am liebsten nicht mehr gehen lassen, aber sie weiß, dass sie das nicht verlangen kann.

Wie befürchtet kommt schließlich der Tag, als die Polizei die Wohnung durchsucht und ihn mitnimmt. Er wird im Schnellverfahren verhaftet und kurz darauf kommt die Nachricht von seinem Tod. Insider munkeln, er sei an den Folgen von Folter gestorben. Das Begräbnis findet in aller Stille statt. Nur ihre besten Freundinnen sind dabei.

Geheimdienst und Innenministerium sind zufrieden, dass die Gefahr vorbei ist. Nun können sie sich anderen Dingen zuwenden.

Aber dann gibt es ein paar merkwürdige Besuche und neue Botschaften. Das Gerücht geht um, dass er lebt und die Revolution wieder in vollem Gange ist. In aller Stille besucht er sie und verschwindet ebenso plötzlich, wie er gekommen war. Aber lange genug, dass sie glauben kann, das war keine Halluzination. Allmählich gehen bei ihr die seltsamsten Menschen aus und ein. Fremde werden zu Freunden, Zyniker und Resignierte wagen wieder, auf die große Wende zu hoffen.

Manche von ihnen sind ihm irgendwo begegnet und finden nun zu ihr. Andere kommen ins Haus und haben das Gefühl, dass er unsichtbar da ist – irgendwie „Dazwischen“, wenn sie am Tisch sitzen und erzählen, wenn sie sich erinnern und von der Zukunft träumen, wenn sie immer wieder seine Sprüche zitieren

Zwischen all diesen Menschen.

Zwischen Traurigkeit und Vorfreude.

Zwischen all den kleinen Anfängen und den großen Herausforderungen.

Diese Liebesgeschichte ist noch nicht zu Ende. Aber wenn das, was aussah, wie das absolute, totale Ende, nicht das Ende war, dann ist das Ende so, wie es dieser Brief beschrieben hatte: Eher fallen die Berge und Hügel in sich zusammen, als dass er sie vergisst oder verlässt.

Wo kommen wir vor in dieser Geschichte?

Einmal persönlich: Die meisten erleben bei sich selbst wechselhafte Gefühle und gemischte Motive, nicht nur im Blick auf andere Menschen, sondern auch auf Gott. Und wir erleben Zeiten der Funkstille, des Wartens und Zweifelns, der unerfüllten Sehnsucht, in denen sich scheinbar gar nichts tut.

Es berührt uns aber auch gemeinschaftlich: All die „verlassenen“, von anderen (und womöglich auch sich selbst) abgeschriebenen Kirchen und Gemeinden, denen kaum noch jemand etwas zutraut und von denen niemand etwas erwartet, die als Konkursmasse gelten.

Leben im Exil und im Warten heißt, dass wir ganz ehrlich werden können im Blick auf uns selbst. Und dann erreicht uns – nicht immer so schnell, wie wir uns das vielleicht wünschen – neue Hoffnung, dass wir nicht allein und gottverlassen sind, auch wenn alle Umstände genau das zu sagen scheinen. In Jesus ist Gott selbst ein von allen Verlassener geworden, damit sich niemand mehr verlassen fühlen muss. Und selbst wenn wir uns so fühlen, dann war das nicht das letzte Wort und dann ist das nicht das Ende.

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Kirche ist nichts für Romantiker

Ganz nüchtern lasen wir heute im Epheserbrief davon, dass man einander in der Kirche (wie auch in der Familie) manchmal halt einfach ertragen muss. Das ist eine schlichte und doch tiefe Lebensweisheit. Vielleicht hat sie etwas mit dem Älterwerden zu tun, bestimmt aber mit einer gewissen Reife.

Unreifere Beziehungskonzepte kennen nur den Modus der Euphorie oder der Krise, scheint mir. Ist die Euphorie weg, hält man das schon für den Anfang vom Ende (und wenn man das glaubt, ist es auch oft so). Wenn aber das Verfliegen der Euphorie schon die Krise ist, dann ist die Versuchung hoch (zumal wenn alle anderen ähnlich ängstlich sind), dieses Abflauen möglichst lange zu kaschieren oder zu leugnen. Oft so lange, bis der Frust am Ende so abgrundtief ist, dass man gleich alles hinschmeißt.

Aber wir sind einfach nicht so gestrickt, dass wir ständig auf der höchsten Erregungsstufe laufen können. Von daher ist es befreiend, wenn man sich eingesteht, dass wahre und echte Liebe manchmal auch „nur“ bedeutet, sich und den anderen auszuhalten (N.B.: ersteres kann noch schwerer sein. Der große Philosoph Brian Adams dichtete vor Ewigkeiten schon: If you wanna leave me, can I come, too? ).

Das „Ertragen“ ist also kein Zerfallsprodukt der Liebe (das verbitterte Aushalten schon eher), sondern es ist eine ganz authentische Äußerung wahrer Liebe.

Zwischen Euphorie und Panik, Intimität und Irritation liegt ein weites, fruchtbares Land.

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Finding Our Way Again

Brian McLaren wendet sich nach „Everything Must Change“ (demnächst auf Deutsch!) und der Beschäftigung mit globalen Krisen dem Thema „geistliche Übungen“ zu. Es geht hier um die vielen kleinen, nachhaltigen Schritte zur persönlichen und gesellschaftlichen Veränderung. Wie immer bei Brian findet das alles allgemein verständlich (fast im Plauderton), immer angenehm zu lesen und frei von allem Druck statt. Er gibt Anregungen, aber er stellt keine Forderungen auf und verzichtet in dieser Einführung auch auf detaillierte Anleitungen. Ab und zu sorgen ein paar lyrische Beschreibungen und Aufzählungen dafür, dass die Materie nicht trocken daherkommt. Dem europäischen Leser macht er es diesmal leicht, weil er sich nicht groß (wie sonst so oft) kritisch mit den Schwächen des nordamerikanischen Evangelikalismus auseinandersetzt.

Der erste Teil dieses Buches ist dem Gedanken des „Weges“ gewidmet. Glaube und Religion wird nicht als System von Regeln und Glaubenssätzen aufgefasst, sondern als ein Weg. Man könnte auch sagen, Brian denkt prozesshaft statt statisch, und er schreibt werbend statt abgrenzend. Manch einer wird überrascht sein, dass in diesem Teil des Buches die drei abrahamitischen Religionen immer wieder in einem Atemzug genannt werden. Aber die Vorstellung, mit Juden und Muslimen einmal aus dieser Perspektive ins Gespräch zu kommen (statt über Terror, Kreuzzüge und Holocaust oder die jeweiligen theologischen Grenzziehungen zu debattieren), ist spannend.

Im zweiten Teil spielt Brian dann seine Stärken aus. Er beschreibt drei Formen spiritueller Disziplinen: Kontemplativ, gemeinschaftlich und missional. Das Gemeinschaftliche verbindet die via contemplativa mit der via activa, (auch wenn das lateinische Wort „communitiva“ mir dafür nicht so recht über die Lippen gehen will – warum nicht einfach „communis“?). Wegen der beiden Kapitel zur gemeinschaftlichen und missionalen Praxis alleine lohnt sich das Buch schon, sie sind eine Fundgrube voll guter Anregungen. Hier kommt auch eine wichtige Entscheidung ins Spiel, die ist ein Zitat wert:

Ich gehe davon aus, dass es bei der ganzen Sache nicht nur um mich geht. Ich gehe davon aus, dass die Gemeinschaft des Glaubens nicht für mich existiert. Ich gehe davon aus, dass es in meinen kontemplativen Übungen letztlich nicht um mich geht. Ich gehe davon aus, dass Reife als ein spirituelles menschliches Wesen nicht vollendet ist, wenn sie mich nicht hinaus sendet in die Gemeinschaft des Glaubens. Aber es geht auch nicht einfach um „uns“ – im Sinne unserer Gemeinde, Konfession oder Religion. Nein, ich gehe davon aus, dass die Gemeinschaft des Glaubens nicht vollendet ist, bis sie wiederum über sich selbst hinaus in die Welt hinein gesandt wird mit rettender Liebe. (S. 114f)

Der dritte Teil („Ancient“) widmet sich den Grundbegriffen der Mystik: Purgatio, Illuminatio und Unio. Sie werden in einem fiktiven Lehrgespräch mit einer Äbtissin entfaltet, aber in vielfältige aktuelle Bezüge gestellt. Und ganz am Schluss nimmt Brian den Lesern den Druck, eine lange Liste von zusätzlichen Aktivitäten im ohnehin schon vollgestopften Alltag unterzubringen, indem er nach keltischem Vorbild von „faithing our practises“ spricht, wo man alltägliche Verrichtungen mit einem konkreten geistlichen Impuls verbindet. Auf die sieben Folgebände dieser Reihe darf man gespannt sein.


„Finding Our Way Again: The Return of the Ancient Practices“ (Brian McLaren)

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