Schöpfung, Ehe und Fortpflanzung

Eigentlich hatte ich nicht vor, zu meinem Post von letzter Woche noch eine Fortsetzung zu schreiben, aber nachdem die Diskussion unerwartet lebhaft ausfiel, möchte ich noch einen Gedanken nachlegen. Und zwar dazu, wie wir mit den biblischen Schöpfungserzählungen sachgemäß umgehen können. Nennen wir es doch ein Experiment zur inklusiven Bibelauslegung.

Wir haben in Genesis 1 und 2 zwei sehr unterschiedliche Texte, die von derselben Sache handeln. Dass sie hintereinander stehen, hat zu dem Fehlschluss Anlass gegeben, die zweite Geschichte baue auf die erste auf und erzähle sie weiter, und in Folge dessen hat man (ähnlich wie das klassische Krippenspiel es mit den Geburtsgeschichten von Matthäus und Lukas macht) die einzelnen Aussagen wild vermischt. Zur Klarheit hat das nicht immer beigetragen.

Also, der Reihe nach: In Genesis 1 lesen wir (ich habe die Übersetzung von Martin Buber gewählt) von der Gattung Mensch und nicht von einzelnen Exemplaren:

Gott sprach: Machen wir den Menschen in unserem Bild nach unserem Gleichnis! Sie sollen schalten über das Fischvolk des Meeres, den Vogel des Himmels, das Getier, die Erde all, und alles Gerege, das auf Erden sich regt.

Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich, weiblich schuf er sie.

Gott segnete sie, Gott sprach zu ihnen: Fruchtet und mehrt euch und füllet die Erde und bemächtigt euch ihrer! schaltet über das Fischvolk des Meers, den Vogel des Himmels und alles Lebendige, das auf Erden sich regt!

Es ist mit keinem Wort gesagt, dass es im Anfang nur zwei Menschen gab, so wie es auch von den Tieren nicht vorausgesetzt ist, dass im Urzustand (ähnlich wie auf der Arche Noah) nur ein Männchen und ein Weibchen vorhanden war. Hätten wir die zweite Geschichte nicht immer schon im Ohr und im Hinterkopf, wären wir aufgrund dieses Textes vermutlich nie auf eine solche Idee gekommen. Die Menschen sollen sich vermehren, ebenso wie die Erde (die Begriffe sind fast identisch!) ihrerseits Tiere und Pflanzen hervorbringt. Über das, was wir unter Ehe verstehen, ist damit noch gar nichts ausgesagt, sogar die Begriffe „Mann“ und „Frau“ fehlen noch.

Interessanterweise fehlt der Gedanke der Fortpflanzung nun in der zweiten Schöpfungserzählung. Da ist dann von Mann und Frau die Rede: Hier ist (anders als in Kapitel 1) der Mann zunächst ganz allein (!) unter den Bäumen, dann erst schafft Gott die Tiere. Und hier deuten sich leise Elemente eines biblischen Eheverständnisses an, wenn am Ende einer langen Reihe inkompatibler Lebewesen die „Männin“ erscheint:

ER, Gott, sprach: Nicht gut ist, daß der Mensch allein sei, ich will ihm eine Hilfe machen, ihm Gegenpart.

ER, Gott, bildete aus dem Acker alles Lebendige des Feldes und allen Vogel des Himmels und brachte sie zum Menschen, zu sehn wie er ihnen rufe, und wie alles der Mensch einem rufe, als einem lebenden Wesen, das sei sein Name. Der Mensch rief mit Namen allem Herdentier und dem Vogel des Himmels und allem Wildlebenden des Feldes. Aber für einen Menschen erfand sich keine Hilfe, ihm Gegenpart.

ER senkte auf den Menschen Betäubung, daß er entschlief, und nahm von seinen Rippen eine und schloß Fleisch an ihre Stelle. ER, Gott, baute die Rippe, die er vom Menschen nahm, zu einem Weibe und brachte es zum Menschen.

Der Mensch sprach: Diesmal ist sies! Bein von meinem Gebein, Fleisch von meinem Fleisch! Die sei gerufen Ischa, Weib, denn von Isch, vom Mann, ist die genommen. Darum lässt ein Mann seinen Vater und seine Mutter und haftet seinem Weibe an, und sie werden zu Einem Fleisch. (2,18-24)

Nun kann man den Hinweis auf die Intimität („ein Fleisch“) zwischen Mann und Frau zwar so lesen, dass Kinder die natürliche Folge davon sind. Dennoch zeigt sich deutlich, dass die Fortpflanzung nicht der Stiftungsgrund für das Verhältnis von Mann und Frau ist, sondern die Partnerschaft und das Gegenüber im Kontrast zur Einsamkeit sind das beherrschende Thema dieser Zeilen. Der Geschlechterunterschied tritt hier außerdem auffällig zurück hinter die Betonung der Ebenbürtigkeit und Ähnlichkeit von Mann und Frau.

Die Folgen für Themen wie Empfängnisverhütung, ungewollte Kinderlosigkeit, Rollenbilder oder eben auch „Ehe für alle“ liegen auf der Hand. Mir ist bewusst, dass nicht alle dieser Auslegung gleich freudig zustimmen werden. Aber ich denke, es lässt sich zeigen: Gerade wenn wir die Bibel sorgfältig lesen und interpretieren, müssen wir nicht zwangsläufig nur bei traditionellen Mustern landen.

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8 Antworten auf „Schöpfung, Ehe und Fortpflanzung“

  1. Eine einleuchtende Lesart der beiden Texte, die deutlich macht, was alles nicht da steht und auch nicht hineingelesen werden sollte. Dann aber stolpere ich über den Satz:

    „Die Folgen für Themen wie Empfängnisverhütung, ungewollte Kinderlosigkeit, Rollenbilder oder eben auch „Ehe für alle“ liegen auf der Hand.“

    Nach allem was ich bis dahin in Deinem Text gelesen hatte, schien es mir eher, dass sich daraus gerade keine Folgen zu den betreffenden Themen ableiten lassen (was mich noch nicht überzeugt, aber zunächst mal einleuchtet). Jetzt aber „liegen sie auf der Hand“? Vielleicht meinen wir dasselbe, vielleicht stehe ich auf dem Schlauch. Was sind Deiner Ansicht nach die Folgen?

    1. Die Folge ist, dass Ehe nicht zwingend gleich Familie ist in dem Sinn, dass Nachwuchs ein essentieller Teil des Konzepts Ehe ist, und damit, dass der Hinweis auf das Fehlen von Kindern nicht ausreicht, um zu begründen, warum gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht „Ehe“ heißen und staatlichen Schutz genießen dürfen. Außerdem ist es damit auch keine Verfehlung göttlicher Bestimmung, wenn ein paar (zeitweise oder dauerhaft) keine Kinder haben möchte.

      1. Vielen Dank!
        Als jemand, der aus der konservativen Ecke kommt, aber in dieser Frage zu viele gute und schlechte Argumente beider Seiten gehört hat, fällt mir schon länger auf, wie wenig stringent auf beiden Seiten argumentiert wird. Und jede schafft es gut, das auf der anderen Seite zu entdecken.
        Dass Ehe nicht zwingend Nachwuchs hervorbringen muss, um Ehe zu sein, bestreitet – außerhalb dieser Debatte – praktisch wohl niemand, sonst wären die Meinungen zum Thema „Sex vor der Ehe“ wohl anders verteilt. („Ihr seid ja gar nicht wirklich verheiratet, ihr habt ja keine Kinder, also wäre es auch kein Ehebruch, wenn …“ ist mir als christliches Argument noch nicht begegnet.) Eine Ehe ist auch ohne Kinder eine.
        Müsste das dann nicht konsequenterweise heißen, dass allein aus dem Status als Ehe noch kein Adoptionsrecht hervorgeht? Ehe ist ja jetzt schon zwar notwendige, aber nach deutschem Recht keinesfalls hinreichende Bedingung, wenn ein Paar ein Kind adoptieren will.

        Allerdings bin ich bei der Zivilehe eher neugierig auf die Argumente. Von Amts wegen treibt mich mehr die Frage nach einem kirchlichen Segen um. Siehst Du dafür Antworten aus den Schöpfungsberichten, oder wäre jede Antwort hineingelesen?

        1. Von der konservativen Seite ist die Debatte ja im Wesentlichen eine um die „Schöpfungsordnung“. Die – so geht das Argument weiter – hat Jesus ja im Verbot der Scheidung ausdrücklich bestätigt und Paulus setzt das in Römer 1 fort. Inhalt der Schöpfungsordnung ist, dass die Gottesebenbildlichkeit des Menschen sich in dem komplementären Gegenüber von Mann und Frau erfüllt, dass daher die Ehe die höchste menschliche Entsprechung zum Göttlichen und damit höchste Berufung des Menschen ist, wobei hier die Zeugung von Kindern dazu kommt als Teilnahme am Schöpfungshandeln, daraus wiederum werden die Rollen von Mann und Frau differenziert. Es ist, kurz gesagt, eine Apotheose der Heteronormativität.

          Wenn das korrekt beobachtet ist, dass Gen 1 nicht die Ehe von Mann und Frau beschreibt und Gen 2 das Verhältnis von Mann und Frau primär als eines der Ebenbürtigkeit von Lebensgefährten beschreibt, dann eröffnet das m.E. schon die Möglichkeit, die heteronorme Brille abzusetzen und der größeren Vielfalt geschlechtlicher Identitäten Rechnung zu tragen. Denn jetzt steht das im Zentrum, was für alle gleich wichtig ist: Die verlässliche Bindung.

  2. Kluger Schachzug, nicht auf Anfrage alles haarklein durchzubuchstabieren. Die Motivation dazu liegt ja auf der Hand. Und darauf bin ich gekommen, ohne meine Frau zu fragen.

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