Rechte Tasche, linke Tasche: Soteriologische Nullsummenspiele?

Ich habe kürzlich ein paar Gedanken zur sprachlichen und bildlichen Verarmung christlicher Erlösungslehre durch die ungesunde Reduktion der metaphorischen Vielfalt auf die Theorie eines stellvertretenden Strafleidens des Messias geschrieben.

Man kann die Problematik wunderschön zeigen, wenn man Texte vergleicht, zum Beispiel den Christus-Hymnus aus Phil 2,5ff und dessen Umsetzung in Rick Founds’ bekanntem „Lord I lift your name on high“. Im vorpaulinischen Hymnus ist weder von Sühne noch von Tilgung irgendeiner Schuld die Rede, sondern von der Selbstentäußerung Christi und seinem aktiven Gehorsam, auf den Gott mit der Auferweckung und Erhöhung antwortet. Bei Fonds wird daraus

You came from heaven to earth to show the way

from the earth to the cross my debt to pay

from the cross to the grave from the grave to the sky, Lord I lift Your name on high

Während es für die frühen Christen durchaus möglich ist, den Weg Christi zu beschreiben, ohne auf derartige Theologoumena zurückzugreifen, füllt Founds, der das eigenständige soteriologische Motiv offenbar nicht also solches erkennt, die gefühlte Lücke mit dem reichlich abgeschmackten Hinweis auf eine noch zu begleichende Rechnung. Derartige Übermalungen sind in vielen geistlichen Liedern aus den letzten beiden Jahrhunderten leider nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Sie sind ein deutliches Symptom für den Verlust, der hier stattgefunden hat.

Da heute kaum noch jemand die Logik der Satisfaktion versteht, ist das längst zum Standardmodell unter den Erlösungstheorien avanciert. Dabei liegt die Problematik der ökonomischen Vorstellung von bezahlter Schuld offen zu Tage, wie diese Frage von LeRon Shults zeigt:

Wenn eine rechtliche oder finanzielle Schuld erlassen wird, dann muss sie nicht beglichen werden. Wenn Gott (oder Gott, der Sohn) die Schuld tatsächlich bezahlt hat (volle Genugtuung geleistet hat), dann braucht Gott nicht mehr zu vergeben. Wenn eine Zahlung geleistet wurde, sollten wir nicht besser von “Ausgleich” reden als von Vergebung?

Wenn Gott von den Menschen eine Zahlung fordert, die diese nicht leisten können, und sie dann am Ende selbst bezahlt, dann ist das in der zugrundeliegenden Logik der Ökonomie ein Spiel mit der linken und rechten Tasche, das man sich auch gleich schenken könnte. Entweder ist die Ausgleichszahlung eine Luftbuchung, weil Geber und Empfänger identisch sind, oder man kann fortan nicht mehr von Vergebung reden – freilich will auf diesen Begriff dann doch niemand, den ich kenne, wirklich verzichten. Wenn mein Sohn mir 50 Euro schuldet, kann ich das Geld zurückfordern oder auf die Forderung verzichten (das wäre Vergebung). Aber wenn meine Frau sie mir ersetzt, habe ich sie meinem Sohn nicht erlassen. Wenn nun meine Frau das Geld von unserem gemeinsamen Konto nimmt, dann wird das Ganze noch etwas verzwickter, ohne dass ich jedoch selbst den Großmut dessen aufbringe, der verzeiht. Dann ist sie an meiner Stelle großzügig und ich bin noch genauso kleinlich oder stur wie immer.

Das Bild vom bezahlten Preis hat zudem – wie auch das vom Sühnopfer – den Nachteil, dass man bestens das Kreuz ohne Auferstehung predigen kann, und so klappert das Osterevangelium allzu oft ganz merkwürdig nach; zumindest für die Soteriologie scheint es ohne Bedeutung zu sein, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Auch das zeigt sich in Founds’ Adaption des Philippertextes, der Menschwerdung und Kreuzigung noch interpretieren kann, und dann etwas hastig mit dem zeitlichen Nacheinander von Grab und Himmel schließt, ohne dem noch irgendeinen inneren Zusammenhang abzugewinnen.

Ohne solche „Verbesserungen“ hingegen ist bei Paulus der Zusammenhang zwischen Tod und Auferweckung, Erniedrigung und Erhöhung wunderschön zu sehen, und nicht nur das, er wird auch sofort zum Grundmuster für das Verhalten der Christen erklärt. Auch diese ethische Dimension fehlt in der Bezahllogik, die die Erlösten bestenfalls zum Dank verpflichtet, aber eben nicht zur Imitatio Christi.

Derzeit wird an vielen Punkten sehr deutlich, dass Ökonomie zu einem großen Teil auch Psychologie ist. Zu fragen wäre also an dieser Stelle, ob das ökonomische Erlösungsmodell der Schuldentilgung nicht eigentlich ein psychologisches Erlösungsmodell ist. Die Absurdität, dass ein unendlich reicher Gott gegenüber uns armen Sündern hier womöglich mit linker und rechter Tasche trickst, wäre dann zweitrangig, in Wirklichkeit ginge es darum, dass er darin seine Zuneigung und sein Interesse an uns zeigt. Ich vermute, im schlichten Glauben vieler, die mit solchen Formulierungen wie denen von Founds großgeworden sind, funktioniert das im Grunde genau so.

Theologisch betrachtet hieße das, dass Abaelard sich durch die Hintertür gegen Anselm durchgesetzt hätte…

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6 Antworten auf „Rechte Tasche, linke Tasche: Soteriologische Nullsummenspiele?“

  1. Steht das Motiv der Schuldentilgung nicht ohnehin im Zusammenhang mit dem Erlassjahr? Da wurde ja gerade keine Gegenleistung erwartet…

    1. Ja, so gesehen würde das Reden von dem Preis, der bezahlt wird, erst recht überflüssig. Tom Wright wird ja auch nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Vergebung für individuelle Schuld im Judentum immer möglich war (und ist…) und nicht den Tod eines dritten erforderte. Seit dem Verlust des Tempels geht es auch völlig ohne Opfer ab.

  2. Da hab’ ich mich wiedergefunden mit meiner eigenen theologischen Prägung. Vor drei, vier Jahren (im Vikariat) fiel es mir noch unheimlich schwer, an Ostern zu predigen. Wahrscheinlich, weil ich das Gefühl hatte, an Karfreitag sei schon alles Wesentliche passiert … Da lob’ ich mir das Johannesevangelium, das so unbekümmert beides miteinander vermischt … 😉

  3. Ist Jesu Tod ein Geldschein, mit dem meine Schuld bezahlt wird, dann stört der Ostermorgen doch eher. Denn zu dem Zeitpunkt entpuppt sich der Geldschein als falscher Fuffziger, der sich in Luft auflöst: Kaum ist die Schuld bezahlt – schwupps, so entschwindet Jesus den Toten wieder. So gesehen ist Ostern fast schon eine Entwertung des Opfers am Karfreitag.

    Wie jedoch eine Erlösungslehre und persönlicher Glauben konkret ausgestaltet aussehen kann, an der der Ostermorgen der Zielpunkt ist, und nicht der Karfreitag – daran arbeite ich auch für mich selbst noch.

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