Ich habe letzten Sonntag den unzähligen Interpretationen von Psalm 23 eine weitere hinzugefügt. Viele kennen den Text ja auswendig, und das heißt, man kann sich so auch jederzeit an den Worten und Bildern entlang hangeln und wieder an ein paar Dinge erinnern.
Es geht darin um die praktische Weisheit kontemplativer Spiritualität, sich eine möglichst unverstellte Wahrnehmung zu gestatten und das wertende Urteil möglichst lange auszusetzen – die Widersprüchlichkeit unserer Erfahrung zwischen grüner Aue und düsterer Schlucht nicht vorschnell zu bewerten (die Geschichte ist ja noch nicht abgeschlossen) oder mit irgendeinem theologischen oder psychologischen Bilanztrick ausgleichen zu wollen. Einfach mal seelenruhig am gedeckten Tisch zu sitzen – im Angesicht meiner inneren und äußeren Feinde (oder dem, was ich dafür halte).
Einen besseren Weg, um von einer unreifen Naivität zu einem reifen und robusten Gottvertrauen (der „zweiten Naivität“) zu finden, kenne ich nicht. Vielleicht inspiriert es ja den einen oder die andere.
„Es geht darin um die praktische Weisheit kontemplativer Spiritualität, sich eine möglichst unverstellte Wahrnehmung zu gestatten und das wertende Urteil möglichst lange auszusetzen – die Widersprüchlichkeit unserer Erfahrung zwischen grüner Aue und düsterer Schlucht nicht vorschnell zu bewerten (die Geschichte ist ja noch nicht abgeschlossen) oder mit irgendeinem theologischen oder psychologischen Bilanztrick ausgleichen zu wollen.“
Das ist ein Satz, den zahllose Gemeindeglieder nicht verstehen würden. Zu lang, zu komliziert, zu abstrakt. Ich hätte einfach gesagt: Es geht darum, dass wir nicht verzweifeln, wenn wir aus den grünen Auen in die düstere Schlucht kommen und trotzdem an Gottes Güte glauben.
@Jordanus: Hmm – das ist nicht ganz das, was ich geschrieben und gemeint habe. Dieses Ziel haben viele, aber es gelingt nicht jedem, weil eben das Werten und Urteilen eine so hartnäckige Gewohnheit ist. Dieses „trotzdem“ läuft meiner Erfahrung nach eben allzu oft auf solche „Bilanztricks“ hinaus.
Ein cooler Gedanke für diesen Psalm. Das Thema die Widersprüchlichkeit auszuhalten und nicht alles gleich zu bewerten, erinnert mich sehr an Gedanken von Richard Rohr die mich immer wieder sehr bewegen.
Danke für den Input
Finde Psalm 23 sehr schön und immer wieder lesens- und bedenkenswert, gern gelesen in der Zürcher Bibel bzw. Menge-Bibel. Hab für 2012 einen Kalender geschenkt bekommen mit sehr schönen Fotografien auf der Vorderseite und Kommentaren auf der Rückseite eines jeden Kalender-Monatsblattes. Was mit „Bilanztricks“ gemeint ist ist mir aber nicht ganz klar geworden.
Ja, stimmt. Vielleicht war das etwas vorschnell. Ich versuche es nochmal, jetzt hast Du meinen Ehrgeiz entfacht:
Es geht darum, sich trotz der Tiefen und Höhen des Lebens vor Augen zu führen, dass Gott das letzte Wort hat????????
Ich staune über den Ehrgeiz. Aber wieder knapp vorbei. Das mit dem „letzten Wort“ fände ich zu resignativ. Und schon wieder ein „trotz“, das den Gegensatz herausstellt, also die dualistische Tendenz. Man muss doch die Dinge nicht um jeden Preis plattbügeln und in einfache Gleichungen packen…?
Nö, sicher nicht, aber den Ausgangssatz versteht trotzdem kein Mensch. Aber in der Predigt ist das ja anders.