Postilberale Theologie (3): Glauben lernen

Religiöswerden bedeutet, so verstanden, sich eine bestimmte „Sprache“ anzueignen und die Welt in ihrer Begrifflichkeit und ihren Kategorien zu interpretieren. Eine Religion ist damit ein „verbum externum“ und nicht der Ausdruck eines vorgängigen „verbum internum“, das eher dem geistlichen Vermögen zum Hören entspricht, aber eben die „Grammatik“ schon als gegeben voraussetzt. Oder noch anders gesagt: Man lernt das Evangelium nicht im eigenen Seelengrund kennen, man kann es sich nicht selber sagen, es kommt immer von außen, vermittelt, durch andere, in Gemeinschaft.

Wir haben es hier mit einem hylomorphen Modell zu tun, das heißt, die Form hat Vorrang vor der Substanz, die es nicht ungeformt gibt – das ist eher aristotelisch gedacht, aber auch hebräisch-konkret. Der Gegensatz dazu ist das idealistische Modell: die Erfahrung, der immaterielle Geist ist vor aller sichtbaren Gestalt da, das Allgemeine vor dem Besonderen.

In der Betonung der externen Dimension (Code/Syntax) ist das sprachlich-kulturelle Verstehen dem Propositionalismus nahe, ohne dessen intellektualistische Tendenz (Betonung des Inhalts des Gesagten) zu übernehmen.

Religion kann nicht auf kognitivistische (oder voluntaristische) Weise vorrangig als Angelegenheit der bewusst freien Wahl und Befolgung explizit gewusster Sachverhalte oder Direktiven betrachtet werden. Religiöswerden heißt vielmehr – nicht weniger als sprachlich oder kulturell kompetent zu werden – die Internalisierung eines Bestandes an Fertigkeiten durch Übung und Ausbildung. (S. 60)

Lernen ist komplexer und unaufdringlicher, als man erklären kann. Nicht das Wissen über Religion oder Kenntnis der Inhalte, sondern wie man auf eine bestimmte Art religiös ist, ist das Entscheidende. Lehraussagen und Verhaltensnormen können (!) auf diesem Weg hilfreich sein, aber Gebet, Ritus und Vorbild sind in der Regel wichtiger: es geht um das „gewusst wie“.

Zugleich bleibt Raum für die expressiven Aspekte. Symbole sind aber nicht äußerliche „Dekoration“ des harten Kerns der Glaubenssätze (das argwöhnt der propositionale Kognitivismus), sondern sie vermitteln das Grundmuster der Religion, also das Eigentliche effektiv. Die Richtung – und hier trifft sich Lindbeck mit vielen emergenten Denkern – geht von außen nach innen: Von einer neuen Praxis zu einem neuen Empfinden und Verstehen.

Etwa so: Man lernt zu beten, indem man Gebete nach- und mitspricht, und egal wie unbeholfen das geschieht und wie beschränkt man den Inhalt versteht, es ist echtes Beten von Anfang an. Von daher gewinnen aktuelle Begrifflichkeiten wie belonging before believing eine ganz neue Plausibilität.

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4 Antworten auf „Postilberale Theologie (3): Glauben lernen“

  1. Vielen Dank für die Erläuterungen! Beim Workshop am Emergent-Forum knackte und knirschte es noch ziemlich in meinem Hirn beim Lesen, Zuhören und dem Versuch, die Grundgedanken der Post-Liberalen Theologie nachzuvollziehen.

    Als Nicht-Theologin lerne ich mal wieder: Auch wenn theologische Denkgebäude mit ihrer speziellen Fachsprache für Laien wie mich manchmal nicht leicht zugänglich sind, können sie, wenn sie gut erklärt werden, eine enorme Relevanz haben und sich als sehr inspirierend für die Praxis erweisen. Es gibt eben nichts Praktischeres als eine gute Theorie!

  2. so weit so gut, aber was tun, wenn die „Theologen“ viel mehr Wert darauf „verbraten“, dass Religion erlernt wird und nicht das, was du da beschreibst. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen in der Praxis!! Ich fühl mich so oft als Putzfrau, die erstmal den ganzen Müll in den Köpfen junger Leute wegräumen muss, um überhaupt die Voraussetzungen zu schaffen, sich auf diese Weise dem zu nähern. Es ist sooo deprimierend!!

  3. @Stephan: Da geht die Analogie weiter. Nicht jeder hat dort, wo er aufgewachsen ist, gutes Deutsch gelernt. Manches muss später mühsam umgelernt werden. Ich denke, das gilt analog auch für Glaube und Religionen.

  4. In Putzfraumanier den Müll junger Menschen wegräumen… im „wahren Leben“ bringt das nach meiner Erfahrung nicht viel. Auch wenn vermüllte Teenie-Zimmer Eltern zur Verzweiflung treiben können. Langfristig bringt das berühmte gute Vorbild mehr.

    Ob das auch für „theologische Vermüllung“ gilt?

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