Postdies und postpostjenes

Es ist fast schon amüsant, wie immer mal wieder Leute auf die Idee kommen, man müsse nur anhand dieses oder jenes Exponenten den philosophischen Nachweis erbringen, dass die “Postmoderne” schief gewickelt ist, und fertig ist der Lack. Dann gehen wir einfach wieder zurück zur Moderne, deren Konflikte und Aporien uns so wohlig vertraut sind.

Oder man verweist auf irgendeine inzwischen überholte Facette des Postmodernismus und post-uliert dann die Postpostmoderne, oder die Postpostpostmoderne und so weiter. Außer dem beruhigenden Gefühl der geistigen Überlegenheit gewinnt man damit allerdings nicht viel, weil wir es gar nicht mit einer Philosophie oder einem bestimmten “-ismus”, sondern mit einem Konglomerat von Prägungen und Lebenseinstellungen zu tun haben, die man nicht einfach abschüttelt oder abgeschwatzt und ausgeredet bekommt.

Wunderschön abgebildet und bisweilen ironisiert (an dieser Stelle darf der Verweis nicht fehlen: Glückwunsch zum 50., Harald Schmidt!) beschrieben ist dieses Lebensgefühl in dem Auszug aus Christian Schüles “Deutschlandvermessung”, der in Denkanstöße 2007 erschienen ist:

Um 1985 begann die sogenannte Postmoderne. Es war ein Leben mit und in den vielfältigsten Möglichkeiten; ein Leben in der Wahl; ein Leben, an das der Auftrag gestellt wurde, mit einem neuen Maß an Freiheit umgehen zu lernen, ohne daß den Einzelnen religiöse oder moralische Erziehung oder ein ideologisches Dogma fremdbestimmen könnten. Diese Freiheit auszuhalten, wurde zu einer Form von Lebenskunst. Deshalb sind WIR, gewissermaßen, Künstler. Autopoeten. Psychonauten auf der Reise durch den Kosmos der Möglichkeiten. Im Prinzip jedenfalls eine neue Subspezies des Deutschlandbürgers. Vielleicht haben WIR als erste Sartres Satz begriffen, der Mensch könne gar nicht anders, als sich selbst zu verwirklichen, da er zur Freiheit verurteilt sei.

… Unsere Identität ist eine gespaltene. Vielleicht haben wir gar keine eindeutig verortbare mehr. Vielleicht können wir keine stimmige, runde, abgeschlossene Geschichte von uns mehr erzählen und also keine neue Erzählung schreiben. Wir wissen nur eines: Jeder ist seines Glückes Schmied. Jeder ist seine Ich-AG mit beschränkter Haftung für die entzauberte Gemeinschaft.

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3 Antworten auf „Postdies und postpostjenes“

  1. danke für den hinweis auf dieses kapitel, habe es mir wieder einmal durchgelesen und mich daran gefreut.

    bei der frage nach den post-definitionen frage ich mich immer wieder wie man dies einschätzen sollte. es gibt ja mittlerweile eine ganze reihe von menschen die eine post-postmoderne und mit ihr eine hegemonie kommen sehen – bzw. davon ausgehen, dass die postmoderne nie in deutschland angekommen sei. an dem kapitel gefällt mir, dass er das erleben mit philosophischen aussagen verbindet und die lebenswirklichkeit auf diese weise deutet.

    in diesem zusammenhang würde mich noch etwas interessieren: manchmal wird ja von der so genannten meinungsbildungspyramide gesprochen, nach der oben bei den denkern, philosophen und akademikern etwas neues entsteht und das dann langsam aber sicher die pyramide hinuntergeht. wenn dieser pyramide jedoch kein dialogisches element – also eine verbindung zu „unten“ zugeordnet wird, dann erscheint sie mir die wirklichkeit nicht richtig darzustellen. würde ein solches element gesehen, würde ja von „oben“ nichts per se neues kommen, sondern eher eine neue interpretation oder ein gedanke der weitergedacht/reflektiert ist… demnach wären dann alle „ebenen“ an der meinungsbildung beteiligt. ich schreibe das, weil mich interessieren würde wie du das siehst?

  2. Also die Pyramide wäre mir doch ein etwas zu simples Modell. Klar gibt es sowas wie Meinungsmacher, aber es setzen sich auch nur die Dinge durch, die auf eine gewisse Resonanz treffen. Und die machen sie nicht selber.

    Und ich denke, man muss wie Christian Schüle (und etwa auch Ulrich Beck) die veränderten sozialen Verhältnisse mindestens so sehr in den Blick bekommen wie die Philosophie. Das macht seinen Beitrag so wichtig. Die wenigsten haben Lyotard rezipiert, schon gar nicht bewusst. Aber wir haben dieselbe Massenkultur und andere Lebensbedingungen, die uns prägen.

  3. Hm man sollte sich immer bewußt machen: Postmoderne ist nur eine kulturell konstruierte Größe; eine Selbstbeschreibung innerhalb der westlichen Gesellscahft. Sie ist kein Tatbestand, den man groß messen könnte (ich warte noch auf einen dieser Onlinefragebögen mit dem Titel: Wie postmodern bist du?“). Ich glaube man gut diese Bewegung negativ charaterisieren („Wovon bewegt sie sich weg“) genauere Charakterisierung wird nur aus der historischen Distanz möglich sein.

    Für mich trifft die Beschreibung der Postmoderne als größere Freiheit irgendwie nicht so recht zu. Im Gegenteil: ich würde argumentieren, wir müssen uns von der Freiheitsideologie der Moderne lösen,um wieder fähig zu Solidarität und Gemeinschaftlichkeit zu werden; aber vielleicht sind das auch nur meine ostdeutschgeprägten Sensibilitäten. Oder vielleicht „sind“ viele Prozesse in Ostdeutschland viel stärker „postmodern“ (aber ich rede jetzt selber schon wieder von PoMo als Tatbestand).

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