Parker Palmer, der Papst und die Wahrheit über die Wahrheit

 

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Wenn in unserer pluralistischen Gesellschaft nach der Wahrheit gefragt wird, dann machen nicht alle Christen dabei eine gute Figur. Die einen scheinen sich gar nicht mehr zu trauen, von Wahrheit zu reden, die anderen tun es in einer monopolisierenden Art, die vielen verständlicherweise plump, überheblich oder intolerant erscheint. Aber es gibt zum Glück auch gute Beispiele, und um die geht es mir:

Papst Franziskus hat diese Woche in einem offenen Brief an Nichtglaubende einen interessanten Satz geschrieben, in dem er sich vorsichtig distanziert von einer bestimmten Art und Weise, Wahrheitsansprüche zu stellen, vor allem „absolute“. Dabei war es ja sein unmittelbarer Vorgänger, der jeglichen „Relativismus“ mit großem Eifer bekämpfte. Er schreibt

Sie fragen mich auch, ob es ein Irrtum oder eine Sünde sei zu glauben, dass es keine absolute Wahrheit gebe. Ich würde zunächst auch für einen Glaubenden nicht von ,absoluter‘ Wahrheit sprechen – für den Christen ist die Wahrheit die Liebe Gottes zu uns in Jesus Christus, also eine Beziehung! Und jeder von uns geht von sich selbst aus, wenn er die Wahrheit aufnimmt und ausdrückt: von seiner Geschichte, Kultur, seiner Lage usw. Das heißt nicht, dass Wahrheit subjektiv oder veränderlich wäre, im Gegenteil. Aber sie gibt sich uns immer nur als Weg und als Leben.

Ganz ähnlich äußert sich auch Parker Palmer in To Know as We Are Known: A Spirituality of Education: Education as a Spiritual Journey im Blick auf das moderne Verständnis „objektiver“ Wahrheit – im Grunde sind die Attribute austauschbar, sie stehen für dieselbe Abstraktion: einer „Wahrheit“ im Sinne eines reinen „Sachverhalts“, also unter Absehung von den beteiligten Personen und deren Beziehung zu einander. Palmer beschreibt die Folgen dieses Denkens sehr treffend:

Christen haben zu oft in einer Weise davon geredet „Jesus zu kennen“, die zu einem von zwei Extremen neigt. Entweder „kennt“ der Glaubende Jesus so, dass es ihn der Aufgabe enthebt, noch irgendetwas anderes zu kennen (sei es Physik oder Psychologie oder englische Literatur), oder der Glaubende packt seine „Kenntnis“ von Jesus in eine Schublade, auf der „religiös“ steht, und betreibt andere Formen des Wissens, als bestünde keine Verbindung dazu. Wenn Christen Jesus auf diese Art „kennen“, ist es recht und billig, dass andere ihre „Wahrheit“ zurückweisen, weil sie entweder irrelevant für das übrige Leben ist oder die Art von prinzipieller Ignoranz hervorbringt, die schon so viel Böses verursacht hat.

Über Wahrheit als personale Beziehung, als Weg und als Leben muss man anders reden als über Fakten und Feststellungen, die – einmal korrekt erfasst – keinerlei Interaktion mit ihrem „Gegenstand“ mehr bedarf und den Wissenden nur insofern verändern, dass dieses Wissen ihn überlegen macht. Wer sich auf eine Beziehung zu Christus einlässt, der ist damit zugleich auch in die Gemeinschaft mit allen Menschen und der gesamten Schöpfung gestellt und damit verpflichtet, sich dieser Wahrheit seiner Mitgeschöpfe auch auszusetzen. Die biblische Geschichte ersetzt weder das Studium der Wissenschaft noch das Hören auf die Poesie, sie bereitet uns vielmehr – richtig verstanden – darauf vor, das Gespräch mit beiden in der größtmöglichen Offenheit zu führen und ganz neue Zugänge zu finden.

Ich glaube, der Quäker Parker Palmer und der Katholik Franziskus würden sich prächtig verstehen.

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