„Anders kann man mit Menschen nicht umgehen“

Der Kriminologie Christian Pfeiffer untersucht Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Das Thema ist ja leider bleibend aktuell und keineswegs auf die katholische Kirche beschränkt. Auf die Frage der Zeit, ob er keine Mühe habe, seine Abscheu gegenüber den Tätern zu unterdrücken, antwortet er:

Verachtung gegenüber den Tätern ist mir völlig fremd. Wenn man mit ihnen sprechen will, muss man sie doch erst einmal als Menschen annehmen und ihr Leben verstehen. Unsere erste Frage an Priester wird nicht sein, was sie Böses getan haben. Wir möchten zunächst erfahren, wann ihr Leben gut war, wann sie glücklich, wann sie stolz auf sich waren. Erst dann können wir uns dem Thema Missbrauch annähern. Anders kann man mit Menschen nicht umgehen.

Die Fähigkeit, einen anderen trotz aller Schuld als Menschen und nicht als Monster zu sehen – ohne dabei ein Verbrechen zu verharmlosen – täte der öffentlichen Diskussion tatsächlich gut.

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Sammlerstück

Der Pietismusforscher Johannes Wallmann hat Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf zu dessen 300. Geburtstag im Jahr 2000 ein kleines literarisches Denkmal gesetzt. Es erschien seinerzeit in der FAZ, ist nun auf wallmann.de wieder zugänglich und, wie ich finde und wie viele es von Wallmann auch kennen und schätzen, flüssig und lebendig geschrieben.

Ein paar überraschende Details sind dabei, etwa dass Zinzendorf (und später auch Bonhoeffer) sich dezidiert auf Luther beruft, wenn es darum geht, dass Christen die Juden lieben sollen. Oder dieses Zitat von Goethe aus Dichtung und Wahrheit über die Faszination, die von den Herrnhutern ausging:  

Jede positive Religion hat ihren groessten Reiz, wenn sie im Werden begriffen ist; deswegen ist es so angenehm, sich in die Zeiten der Apostel zu denken, wo sich alles noch frisch und unmittelbar geistig darstellt, und die Brüdergemeine hatte hierin etwas Magisches, daß sie jenen ersten Zustand fortzusetzen, ja, zu verewigen schien.

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Deutsch zum Abgewöhnen: „Ich erinnere“

Ich habe es vor ein paar Jahren zum ersten Mal bewusst in einem Fernsehinterview von Peer Steinbrück gehört, dass jemand sagte, „ich erinnere dieses oder jenes Ereignis“ statt „ich erinnere mich an dieses…“ Seither begegnet es mir ab und zu und diese Woche habe ich einen längeren Text aus dem Englischen übersetzt, der sich um Erinnern und Vergessen drehte. Da lag die Versuchung nahe, erinnern á la Steinbrück zu verwenden. Allein, ich brachte es nicht fertig.

Auf der Website des Duden fand ich heute einen Vermerk, dass eine nichtreflexive Verwendung von „erinnern“ norddeutsch ist. Sie ist also nicht falsch. Ob gut oder schön, das hat der Duden nicht zu bewerten. Für meinen Geschmack dürfen die lieben Preußen das so halten, und wenn sie es tun, dann versuche, ich mich nicht lange dran zu erinnern, sondern es ganz schnell wieder zu vergessen (mich vergessen werde ich deswegen freilich nicht).

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Primaballackinas

Armer Michael Ballack, seit über einem Jahr erscheinen pausenlos irgendwelche Kommentare, die seine Konflikte breittreten, seine Comebackchancen ausloten, erklären, warum er eine tragische Figur ist und jede seiner öffentlichen Gefühlsregungen akribisch auf Untertöne abtasten. Kein Wunder, dass er extrem schlecht gelaunt ist. Aber so ist das im Fußball: Wer ein Star ist und ein Millionengehalt bezieht, ist eine öffentliche Person und muss damit leben, dass andere ihn besser kennen als er sich selbst. Oder eben auch nur so schreiben, als wüssten sie Bescheid.

Da kommt die WM der Frauen wie eine willkommene Abwechslung. Keine kickenden Millionärinnen, kein überflüssiges Geraune – sollte man meinen. Stattdessen machen nun unsere auf Ballack’sche Tragik konditionierten Sportjournalisten einfach so weiter: Birgit „Ballack“ Prinz könnte zur tragischen Figur des Turniers werden, heißt es seit Tagen, und bis gestern stand auch noch Lira Ball… – äh, Bajramaj – auf der Liste potenziell ausgemusterter Primaballackinas.

Wem nützt das Ganze? Mir als Leser wäre es lieber, von dieser WM das berichtet zu bekommen, was sich tatsächlich auf dem Platz zuträgt. Die Spielerinnen sollten sich auch darauf konzentrieren dürfen, sich auf den Gegner einzustellen. Und die Sportjournalisten könnten sich die Peinlichkeit ersparen, ihr bisschen Hobbypsychologie hier zur Schau stellen zu müssen.

Immerhin: Michael Ballack kann in Ruhe durchatmen. Das wird ihm guttun. Freilich: Die WM der Frauen ist schneller vorbei, als man denkt…

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Spammer geht’s nicht

Ein Spammer hat meine Phantasie beflügelt. Er hatte ein „klassisches Zeitmesser“ im Angebot. Manchmal ergeben die Google-Translate Fehler ja einen unerwartet neuen Sinn, wie in diesem Fall.

Mit einem Zeitmesser könnte man schöne Tage längs zerschneiden und aneinander hängen, damit sie doppelt so lange dauern. Oder aus trüben Tagen die besonders düsteren Momente herausschnippeln. Und was für ein Effekt würde wohl bei diagonalen Schnittmustern eintreten?

Man könnte vielleicht auch den einen oder anderen Moment von früher ausschneiden und irgendwo wieder einsetzen, wo er besser hinpasst.

Tja, so ein Zeitmesser könnte wirklich nützlich sein.

Aber leider vertickt der Spammer bloß Ramschuhren.

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Berührbar

Wer mit einem iOS-Gerät (auf Blackberrys und unter Android müsste es auch funktionieren) auf diesen Blog zugreift, der kommt seit heute in den Genuss eines neuen Erscheinunsgbildes, jetzt sieht das alles aus wie eine App, die für Touchscreens geschrieben wurde.

Mir gefällt’s ganz gut – danke an die Entwickler von WPtouch.

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Wochenend-Links

Ein paar Artikel aus der zurückliegenden Woche fand ich lesens- und bedenkenswert. Da ist zum einen Kopflos Glücklich von Bernd Ulrich in der Zeit, der darüber nachdenkt, warum die für viele Beobachter unfähigste Regierung der letzten Jahrzehnte den Deutschen die gute Stimmung nicht verdirbt.

Zum anderen ein spannender Artikel in der taz, wo Peter Unfried sich Gedanken über Winfried Kretschmann und die Grünen als Regierungspartei macht, der die andere Seite ausleuchtet, und das (da wird mir vielleicht nicht jeder zustimmen) differenziert und hoffnungsvoll.

Drittens ein deprimierender Bericht aus Kenia über sexuellen Missbrauch, der sich trotz der Wendungen bei Kachelmann und aktuell Strauss-Kahn eher düster darstellt.

Auch nicht sehr ermutigend: Das Thema Klimaschutz, schreibt Fritz Vorholz in der Zeit kommt nicht voran. Erfolge in den reichen Ländern werden von den ärmeren Ländern zunichte gemacht, allerdings ist dann doch wieder unser Konsum daran schuld, dass dort mehr CO2 produziert wird.

Zum Schluss etwas Theologisches und zugleich auch erfreuliches: Der Ökumenische Rat der Kirchen, der Päpstliche Rat für interreligiösen Dialog und die Weltweite Evangelischen Allianz ein gemeinsames Dokument veröffentlicht, in dem man sich auf gemeinsame Werte und Prinzipien einigt und Empfehlungen für die Praxis des „christlichen Zeugnisses in einer multireligiösen Welt“ gibt. Das Dokument ist – bisher nur auf Englisch – hier einzusehen.

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Wer was so sieht…

Neulich – es ist schon eine Weile her – kam das Gespräch auf Person x, die ich kannte. Person y sagte, man sehe x seine Schwierigkeiten ja schon von weitem an und sie frage sich, was dahinterstecke und warum sich da eigentlich nichts spürbar verändere. Das mit dem deutlich sichtbaren Problem war ein zutreffende Beobachtung. Allerdings galt sie auch für y, das hatte ein paar Wochen zuvor Person z einmal besorgt angemerkt.

Ich musste mir deshalb kurz auf die Zunge beißen. Dann fiel mir ein: Bestimmt sind sich sowohl x als auch y der Tatsache bewusst, dass sie keine problemlosen Persönlichkeiten sind. Andererseits haben beide ihre guten Seiten und ausgesprochene Stärken. Wie wir alle.

Manchmal wüsste ich zwar auch gern, wie es ihnen im Einzelnen so geht mit diesen Baustellen, die man von außen sehen kann. Und dann denke ich: Vermutlich auch nicht sehr viel anders als mir mit den Baustellen, die ich bei mir mit einigem Unbehagen sehe – wenn ich sie sehe Vielleicht gibt es bei ihnen aber auch noch ganz andere Themen, von denen ich nichts weiß, die jedoch mehr Kraft kosten und Vorrang haben.

Gut also, wenn man sich in einer Umgebung befindet, in der Probleme weder ignoriert oder totgeschwiegen werden, noch großes Gerede (oder gar Geschrei) entsteht, wenn sie hier und da zum Vorschein kommen, wo aber vielleicht mal ein freundlicher Hinweis kommt, ob man sich dieser oder jener Sache auch selbst bewusst ist.

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Jesus in der Hölle?

Ein interessantes Interview mit Prof. Peter Schäfer über das antike Judentum, den babylonischen Talmud, dessen Jesusbild bzw. -kritk und parallele Entwicklungen jüdischer und christlicher Gotteslehre (da taucht auch der Engel Metatron auf, den mancher noch aus dem Film „Dogma“ kennt).

Einzig die laute Werbung zwischendurch nervt leider etwas.

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Weisheit der Woche: Die Agenten-Regel

Wir würden die Eucharistie […] zutiefst missverstehen, wenn wir sie nur als ein Sakrament der Umarmung Gottes begreifen, dessen glückliche Empfänger wir sind. Ins Herz der Gnade Gottes eingraviert ist die Regel, dass wir nur dann ihre Empfänger sein können, wenn wir uns auch nicht dagegen sträuben, ihre Agenten zu werden. Weil wir von Gott umarmt wurden, müssen wir anderen in uns Raum schaffen und sie einladen – sogar unsere Feinde. Indem wir den gebrochenen Leib Christi und sein vergossenes Blut empfangen, empfangen wir in gewisser Weise alle, die Christus durch sein Leiden angenommen hat.

aus: Miroslav Volf, Exclusion and Embrace, S. 129

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Exzesse und Erklärungen

Neulich kam das Gespräch in einer Runde auf das Phänomen des Vandalismus bei Partys, zu denen Jugendliche ahnungslos oder leichtfertig im Internet einladen. Was sind das für Menschen, war die Frage, die da sinnlos die Häuser der Gastgeber verwüsten?

Ganz normale vermutlich. Vielleicht gibt dieses Interview auf Zeit Online eine Antwort darauf. Der Historiker Hannes Wehr und der Sozialpsychologe Harald Welzer haben sich mit den Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Russland befasst. Ihr Ergebnis: Anders als vermutet, brauchen Soldaten keineswegs eine gewisse „Eingewöhnungszeit“, um zu extremer Gewalt fähig zu werden. Welzer sagt:

Es genügt aber offenbar schon eine Situation, in der Menschen so etwas tun können und dürfen – Gewalt als Erlebnis absoluter Macht. In vielen Truppen herrschte außerdem ein regelrechtes Gewaltklima, in dem es goutiert wurde, wenn Soldaten mit ihren Exzessen prahlten.

Das Angeben in der Gruppe und die Aussicht, ungestraft zu bleiben, sind die entscheidenden Faktoren. Nazi-Ideologie kam freilich noch dazu, war aber wohl von nachrangiger Bedeutung. Vielleicht lässt sich das für die Genozide in jüngerer Zeit auch auch sagen, oder eben für große, unübersichtliche Feten irgendwo nachts, wo eine Clique von Vandalen unerkannt einfallen kann, um hinterher im kleinen Kreis mit der Verwüstung anzugeben, die man hinterlassen hat: auch da ist mehr der Macht- als der Alkoholrausch entscheidend.

Die beunruhigende Frage dabei lautet natürlich auch: Wie stabil ist eigentlich das, was wir „Charakter“ nennen, wenn es vielfach nur die richtigen Umstände braucht, damit aus „anständigen Bürgern“ brutale Monster werden?

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Dreifach beunruhigend

Derzeit beherrscht Griechenland die Schlagzeilen der Nachrichtenseiten. Da gehen andere Dinge unter, die von großer Tragweite sein könnten. Leider gibt es zu keinem dieser Themen gute Nachrichten im Augenblick. Ohne öffentlichen Druck (auf den ist man ja sehr empfindlich in Berlin) wird sich unsere Regierung vermutlich nicht besonders energisch darum kümmern.

Statt sich also zum x-ten Mal unersprießliche Berichte über Streitereien um Kachelmann oder Ballack und Löw reinzuziehen oder uns zu fragen, was Gottschalk nach „Wetten Dass“ nun macht, sollten wir gemeinsam die Erinnerung an folgende Themen der letzten Tage wach halten – und falls jemand für Sonntag noch ein Fürbittengebet schreiben muss, findet er hier reichlich Stoff:

Der ökologische Kollaps der Weltmeere mit unabsehbaren Folgen ist alles andere als unabsehbar. Was dringend nötig wäre: Wirklich nur noch nachhaltig fischen, keine Rohstoffgewinnung in den Ozeanen, keine Schadstoffe mehr einleiten.

Der Meeresspiegel steigt seit Ende des 19. Jahrhunderts schneller als je zuvor in der Geschichte. Alles spricht dafür, dass Treibhausgase die Ursache dafür sind.

Die Holz- und Agrarmafia in Brasilien lässt ihre Gegner systematisch ermorden, um den Regenwald ungestört abholzen zu können. Jüngstes Opfer: José Claudio Ribeiro da Silva. 2005 war es die Ordensschwester Dorothy Stang, die mit dem Leben bezahlte. Hier ein Video, in dem José Claudio Ribeiro da Silva sein Engagement vorstellt:

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Evangelium, Mission und Privatdetektive

Eine nette Analogie stand heute in dieser Meldung der Süddeutschen Zeitung, vielleicht braucht sie jemand mal als Beispiel in einem Gespräch oder einen Predigt:

Ein Mann im US-Bundesstaat Utah hat monatelang als Obdachloser gelebt, obwohl ein dickes Erbe seines Bruders auf ihn wartete. Die Familie des Mannes hatte eigens einen Privatdetektiv angeheuert, um ihn zu finden – doch erst als lokale Medien über den Fall berichteten, kam laut „Deseret News“ der entscheidende Hinweis auf ein Obdachlosenheim in Salt Lake City. Der Mann lebte demnach jahrelang auf der Straße. Künftig werde er genügend Geld haben, „um sich selbst zu versorgen oder jemanden anzustellen, der sich um ihn kümmert“, sagte der Detektiv der Zeitung. Die genaue Erbsumme blieb geheim.

Ich kommentiere das jetzt nicht; wer möchte, kann dazu Römer 8,17 und 10,14ff lesen.

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