Lebendige Organisation

Ausgehend vom paulinischen Motto „ein Leib – viele Glieder“ werden wir uns am Samstag in einer Woche beim Workshop „Lebendige Organisation“ mit Raban Fuhrmann von Procedere und weiteren interessanten Teilnehmern in der Gruppe Gedanken machen über „emergente Organisationen“.

Wir von ELIA sind zuerst einmal selbst Lernwillige und -bedürftige und erst dann Gast- und ein bisschen vielleicht auch Stichwortgeber. Denn es geht ja nicht um neue Modelle im Sinne von Kopiervorlagen, sondern darum, im Dialog mit anderen die eigenen Perspektiven zu schärfen. In dieser Hinsicht bin ich selber schon sehr gespannt.

Alle relevanten Informationen stehen hier: Viele_Glieder_ein_Leib.pdf

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Das Kreuz und die „Hunde“

Ich habe es in den letzten Wochen schon ein paar mal angerissen: Ted Jennings geht in Transforming Atonement der Frage nach, wie man ein Verständnis des Kreuzestodes Jesu gewinnen kann, das missverständliche Metaphern ersetzt oder zumindest ergänzt, und das im Unterschied zu machen Sühnetheorien auch die historischen Zusammenhänge ernst nimmt.

Eine der Linien, die er herausarbeitet, betrifft dabei Juden und Heiden. Von Anfang an wird Jesus in den Evangelien nicht nur als der Messias der Juden dargestellt, sondern auch als der Menschensohn, der über den engen Rahmen Israels hinauswächst. Das beginnt schon mit den „Magi“ bei seiner Geburt, dem Tumult, den seine erste Predigt in Nazareth auslöst und nach dem kurzen, scheinbar herben Disput mit der syrophönizischen Frau über Heiden, Hunde und Brotkrümel entwickelt sich tatsächlich ein vorösterliches Wirken unter den Heiden in der Dekapolis. Die Begegnung erweitert also Jesu Verständnis seiner eigenen Sendung.

Aber dann stirbt Jesus auch noch als der Menschensohn, der von den eigenen Leuten verstoßen und „den Heiden ausgeliefert“ wird (Markus 10,31). Und so kommt das Evangelium endgültig zu den Heiden und wird dort auch als erstes verstanden.

Paulus zieht in Kolosser 3 daraus die Konsequenz, dass weder starre und hierarchische Geschlechterrollen noch soziale und ethnische Grenzen in der Gemeinde Geltung haben können: Weder die zwischen Juden und Heiden noch die zwischen Griechen und Skythen. Ein wichtiger Schritt zu dem multikulturellen Christentum, das im Vielvölkergemisch der antiken Großstädte so erfolgreich Fuß fasste.

Für uns heute stellt sich dann zum Beispiel die Frage, wie Gemeinden in einer Stadt aussehen müssten, deren Bürger zu einem Drittel (!) Migrationshintergrund haben. Wer sich das Ganze etwas ausführlicher mit ein paar Ergänzungen und Kommentaren von mir anhören möchte, kann hier in den ELIA-Podcast klicken.

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Armer Zwingli

Samstag nachmittag, unsere Gruppe steht im Sonnenschein vor dem Zwingli-Denkmal an der Wasserkirche in Zürich. Während alle der Erklärung unserer Stadtführerin lauschen, steigt ein etwas derangiert wirkender Typ auf den Sockel, spuckt demonstrativ auf den Reformator und schickt lauthals eine wüste Beschimpfung hinterher. Dann dreht er sich der Gruppe zu, outet sich als Katholik und nennt die Reformierten „Kinder Satans“.

Der Mann war offensichtlich alkoholisiert. Aber der Fusel enthemmt ja lediglich. Den Hass auf Andersdenkende und die Sprüche hat er irgendwo her, das macht nicht der Suff allein (für die Ärzte sicher ein Schrei nach Liebe). Solche Töne hört man heute ja zum Glück sehr selten. Vielleicht ist es sinnvoller, sich über diese Tatsache zu freuen, als sich über dieses eine schlechte Beispiel lange zu ärgern.

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Glaube und Wissenschaft: So tun, als ob

Glaube an Gott … lässt sich nicht reduzieren auf eine sachliche Antwort auf die Frage „existiert Gott?“, wenn man für einen Augenblick davon ausgeht, dass der Ausdruck „eine sachliche Antwort“ einen Sinn hat. Es bedeutet, der Welt gegenüber eine Haltung, eine Disposition einzunehmen, wodurch diese Welt, so wie sie für mich zu sein beginnt, eine Welt ist, in die Gott hineingehört. Dieser Glaube verändert die Welt, er verändert aber auch mich. Ist es wahr, dass Gott existiert? Wahrheit ist eine Disposition, nämlich jemandem oder etwas die Treue zu wahren. Man kann nicht einfach an nichts glauben und so jeglichen Glauben meiden, einfach deswegen, weil man der Welt gegenüber nicht keine Disposition haben kann, das wäre in sich schon wieder eine Disposition. Manche Menschen entschließen sich, an den Materialismus zu glauben; sie handeln so, als wäre diese Philosophie wahr. Eine Antwort auf die Frage, ob Gott existiert, kann nur so kommen, dass ich so handle, „als ob“ es Gott gibt, und auf diese Weise Gott die Treue wahre und erlebe (oder vielleicht auch nicht), wie Gott mir die Treue wahrt.

Dieses „Tun, als ob“ ist keineswegs eine Ausflucht, ein Eingeständnis, dass man das, was man angeblich glaubt, gar nicht „wirklich“ glaubt. Ganz im Gegenteil: Wie Hans Vaihinger verstand, ist alle Erkenntnis, vor allem wissenschaftliche Erkenntnis, nicht mehr als zu handeln, „als ob“ bestimmte Modelle bis auf Weiteres wahr sind. Wahrheit und Glaube.

Iain McGilchrist, The Master and His Emissary, S. 170f.

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Abtrünnige

Vielleicht liegt es daran, dass ich mich zur Zeit mit mittelalterlicher Gnadenlehre beschäftige: Heute fiel mir ein Gespräch mit einem Bekannten ein. Es liegt schon länger zurück. Ich weiß nicht mehr, wie wir auf das Thema kamen, aber er war ziemlich verärgert über einen Pfarrer, der für sein Empfinden eine laxe Haltung zum Thema Ehe und Scheidung hatte. Sinngemäß sagte er damals: Unsereiner strengt sich an und hält durch, und der macht es sich leicht. Dabei sollte er doch ein Vorbild sein. Ich spürte: Der Mann war bei ihm wirklich „unten durch“.

Vermutlich kann man das auch im Blick auf andere Themen so empfinden: Einer hält die Regeln ein, der andere bricht sie – das fängt schoin im Straßenverkehr an. Die einen stehen zu einer Überzeugung, verteidigen einen Wert und lassen sich das etwas kosten, andere scheren aus dieser Solidarität aus – und man fühlt sich plötzlich noch mehr auf verlorenem Posten als zuvor. Und so wächst die Wut auf Streikbrecher, Fahnenflüchtige, Kollaborateure und Verräter an der guten Sache.

Lassen wir es mal dahingestellt sein, ob es tatsächlich eine leichtfertige Entscheidung war, die jener Pfarrer traf.Es ist in Ordnung, empört zu sein, wenn ein Mensch selbstsüchtig handelt, wenn jemand andere mutwillig gefährdet, verletzt oder im Stich lässt. Aber manchmal stehen wir vielleicht auch in der Gefahr, dass sich unsere Empörung nur vordergründig darauf bezieht und dahinter die eigene Sorge zum Vorschein kommt, etwas zu verpassen oder sich ausnutzen zu lassen.

Trotzdem: Ich hätte meinem Bekannten in dieser Situation die Gelassenheit gewünscht, dass sein persönlicher Weg gut und richtig ist. Dass seine Konsequenz und Prinzipientreue sich lohnt, dass er sich morgens mit Dankbarkeit statt Bedauern im Spiegel ansehen kann, dass er seinen Weg fröhlich und mit erhobenem Haupt geht. Und dass er nicht zu oft nach rechts und links schaut, sondern den anderen, der das (aus welchem Grund auch immer) nicht fertig brachte, mit Barmherzigkeit betrachtet. Und mir selber wünsche ich das auch.

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„Er trug unsere Krankheit“

Wir haben munter diskutiert über Sühnetheorien diese Woche. Ausgangspunkt war Theodore Jennings‚ Einwurf, dass manche klassischen Sühnetheorien heute nicht mehr „anschlagen“. Seine Anregung war, wieder verstärkt auf die geschichtlichen Zusammenhänge einzugehen, die im Hintergrund des Weges Jesu ans Kreuz stehen.

Einer davon ist die Frage nach Gottes Verhältnis zu körperlichem Leiden – der Schmerzensmann aus Jesaja 53 etwa. Was hat das Leiden Jesu am Kreuz mit seiner – und in der Konsequenz dann auch mit unserer – Haltung Kranken gegenüber zu tun? Und ist das Thema geschehender wie ausbleibender Heilung nur ein nebensächlicher Aspekt oder doch ein zentrales Element des Evangeliums?

Ich habe Jennings‘ spannendes Kapitel über Kreuz und Leiden hier in einem Podcast kurz zusammengefasst, wer also dranbleiben möchte an der Thematik, findet weitere Anregungen.

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„Es steht geschrieben…“

Iain McGilchrist berichtet in The Master and His Emissary von einem interessanten Experiment. Probanden wurden mit einem falschen Syllogismus konfrontiert, zum Beispiel:

  • Grundprämisse: Alle Affen klettern auf Bäume.
  • Nebenprämisse: Das Stachelschwein ist ein Affe.
  • Folgerung: Stachelschweine klettern auf Bäume.

Normale Probanden erkennen den Fehler in der zweiten Annahme. Wurde aber während des Versuchs die rechte Hemisphäre des Gehirns deaktiviert, hielt dieselbe Versuchsperson den Schluss für korrekt. Auf die Frage des Versuchsleiters, ob das Stachelschwein denn tatsächlich ein Affe sei, antworteten die Probanden mit nein – das Stachelschwein sei kein Affe. Dennoch stimmten sie der Schlussfolgerung beim nächsten Mal, als sie mit ihr konfrontiert wurden, wieder zu. Als Begründung gaben sie an: „Das steht da so“. Hatte man umgekehrt bei derselben Testperson die linke Hemisphäre deaktiviert, erkannte die rechte den Fehler sofort.

Für McGilchrist zeigt das Experiment anschaulich, dass das formallogische Denken die Tendenz hat, sich zu verselbständigen und den Bezug zur konkreten Wirklichkeitserfahrung zu verlieren. Es bildet ein geschlossenes System von Zeichen, das nur im Blick auf sich selbst stimmig ist, aber nicht mehr mit Außenwelt und deren Erfahrung richtig eingehen kann.

Man kann mit jedem Text auf der Welt so verfahren. Ab und zu freilich begegnet mir das – sicher berufsbedingt – auch mit Bibellesern. Es gibt eine Art, die Bibel zu lesen, die im Wesentlichen selbstreferenziell funktioniert. Wahr ist, was dort geschrieben steht und zwar einzig und allein, weil es dort geschrieben steht, vermeintlich so und nur so. Wer so tickt, entdeckt meist auch in der Bibel selbst nichts Neues mehr, sondern erkennt, was er schon weiß, und was er (aufgrund seiner Vorprägung) dort zu finden erwartet.

Wenn die Realität sich nun diesen Prämissen nicht fügt, was früher oder später fast immer wieder einmal der Fall ist, wird weder das eigene Vorverständnis noch die generelle Gültigkeit einer bestimmten biblischen Aussage für diesen Fall in Frage gestellt, sondern die Erfahrung als Irrtum zurückgewiesen beziehungsweise schlicht ignoriert. Denn „absolut“ sind unsere Wahrheiten häufig nur so lange, wie sie auf keine irritierende, vieldeutige Erfahrung treffen. Weil aber dieses „Wissen“ immer weniger durch Erfahrung geerdet ist, kann man es anderen auch nur in einer Art „Friß-oder-Stirb“-Manier aufs Auge drücken. Gott zu erkennen funktioniert dann nur, indem man die Augen vor der Welt und ihren Widersprüchen verschließt. Freilich ist das selten im positiven Sinne naives „Gottvertrauen“, als das diese Haltung immer wieder gern hingestellt wird, oft geht es dabei da mehr ums Recht haben oder die Bestätigung der eigenen Prämissen – die nämlich auch nach einem Dreisatz funktionieren: Die Bibel ist Gottes Wort – Gott ist allwissend und wahrhaftig – alles, was in der Bibel steht, ist absolut wahr. Dazu gesellt sich dann oft noch die etwas zwanghafte, angsterzeugende Schlussfolgerung: Wer die Bibel kritisch liest (und zwar ganz egal welche Aussage er im einzelnen hinterfragt!), misstraut Gott und macht sich zum Richter über ihn – der Urimpuls des Sündenfalls quasi. Und mit dem Einsetzen der Angst erstarrt die Fähigkeit, in der Bibel ein lebendiges Buch zu sehen und mit ihr in all ihren Schärfen und Unschärfen lebendig auseinanderzusetzen.

Freilich hat man denselben Fehler auch umgekehrt gemacht und viele biblische Inhalte zu bloßen „Fabeln“ erklärt, weil sie sich einem reduktionistischen Rationalismus widersetzten und dessen materialistische und szientistische Grundannahmen erschüttern, wie ein Blick auf die plumpe „Wunderkritik“ im 18. und 19. Jahrhundert zeigt, deren Vertreter meinten, das mechanische Uhrwerk des Newton’schen Universums sei die einzig gültige Realität. Richard Rohr würde das eine wie das andere als „dualistisches Denken“ bezeichnen.

Wer also die Bibel (und alles andere) mit eingeschalteter rechter Hirnhälfte und mit wachem Geist liest – potenziell sind das wir alle – der findet in ihr immer wieder Sätze und Erfahrungen, die ihn einen neuen Blick auf die Welt und das Leben, also auch neue, unerwartete Erfahrungen ermöglichen. Er findet Horizonterweiterungen statt Scheuklappen, sieht genauer hin statt die Augen zu verschließen, und erliegt nicht dem Irrtum, dass man nur durch den Rückzug auf den Buchstaben der Schrift schon gegen Irrtümer abgesichert wäre. Und plötzlich erkennt man Gottes Handschrift in den alltäglichen und natürlichen Dingen, in den Worten und Gedanken anderer Menschen und sogar in eigenen Erlebnissen und Einsichten. Das stelle ich mir unter Weisheit und einem gesunden, nichtdualen kritischen Bewusstsein vor.

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Warum Genugtuung nicht mehr genügt

In den letzten Jahren gab es immer wieder erbitterte Auseinandersetzungen über die Interpretation des Kreuzestodes Jesu. Einzelne soteriologische Konstrukte standen dabei in der Kritik, besonders der Gedanke des Sühnopfers und der Satisfaktion. Für die einen steht und fällt der Glaube mit diesen Vorstellungen, für die anderen sind sie unerträglich.

Theodore W. Jennings hat mit Transforming Atonement. A Political Theology of the Cross ein paar interessante Gedanken ins Spiel gebracht: Die gängigen Metaphern, die das Kreuz erklärten, sind aus seiner Sicht ungemein erfolgreich gewesen. So erfolgreich, dass sie den Zusammenhang, aus dem sie ursprünglich stammen, fast völlig gesprengt und aufgelöst haben.

Der Opfergedanke, für Juden und Griechen im ersten Jahrhundert noch ein alltägliches Erlebnis, wird etwa im Hebräerbrief herangezogen. Obwohl Jesus nach einem politischen Prozess exekutiert wurde, wird sein Tod als „Opfer“ verstanden. Zugleich wird deutlich, dass dieses eine Opfer das Verhältnis von Gott und Menschheit ein für allemal verändert. In der Folgezeit hat die Ausbreitung des Christentums, indem es keine blutigen Opfer mehr zuließ, dafür gesorgt, dass uns dieser Gedanke inzwischen völlig fremd geworden ist. Unglücklicherweise strotzen unsere alten (und leider auch viele der neuen) Kirchenlieder von eben dieser Begrifflichkeit.

Der Gedanke vom Triumph Gottes über die dämonischen Mächte, der in der alten Kirche eine große Rolle spielte und auf den Dualismus persisch-parthischer Herkunft anspielt, wo gute und böse Gottheiten sich einen Krieg lieferten, ist inzwischen weithin aus unserem alltäglichen Weltbild verschwunden, und von Teufel und Dämonen ist (außerhalb gewisser frommer Subkulturen) heute nur noch in dem Sinne die Rede, dass sie entmachtet sind. Den alten Dualismus (den es bei Marcion und den Manichäern noch gab) kennt heute kaum noch jemand.

Und von Satisfaktion (Anselm von Canterburys genialem Entwurf fürs feudale Hochmittelalter reden wir heute kaum mehr, weil nicht zuletzt das Christentum den Ehrbegriff und das Fehdewesen von damals effektiv überwunden hat. Heutige Versuche, Sünde als todeswürdige Majestätsbeleidigung darzustellen, lösen bei unseren Zeitgenossen verständlicherweise nur Kopfschütteln und Empörung aus.

Diese Modelle hatten ihre Zeit und ihren Sinn. Aber sie ist vorbei und kommt nicht mehr zurück. Sie haben ihren geschichtlichen Wert, aber kaum noch einen aktuellen. Und sie sind nicht „die Wahrheit“, sondern Modelle. Bei einem Modell kommt es darauf an, dass es wirkungsvoll erhellt, was es erklären soll. Wenn das nicht mehr gelingt, muss man (wie Anselm) neue Modelle finden. Der Streit um ihre Wahrheit (oder ob das „biblisch“ ist) ist also irrelevant, es geht vielmehr um die Zweckmäßigkeit solcher Bilder und Vergleiche.

Jennings weist auch noch darauf hin, dass diese Modelle eine gemeinsame Schwäche hatten, weil sie der Tendenz der altkirchlichen Theologie folgten, das Ereignis des Kreuzes vom Leben und der Verkündigung Jesu wie auch von den konkreten Umständen seines Todes durch das Urteil des römischen Statthalters und die Hand seiner Schergen immer mehr abzukoppeln. Das Kreuz wurde – ob bewusst oder nicht – damit auch entpolitisiert.

Wenn wir also heute fragen, warum Jesus so starb, wie er starb, und wozu das gut sein könnte, dann müssen wir das Kreuz wieder in den weiteren Zusammenhang der Evangelien stellen – und darüber hinaus danach fragen, welche Folgen dieser Weg Jesu für seine Nachfolger haben sollte (bei Jennings habe ich leider keinen Hinweis auf Tom Wright gefunden, der ja viel in dieser Richtung gearbeitet hat).

Eine schöne theologische Aufgabenstellung für die Passionszeit, finde ich.

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Lässt Gott sich studieren?

Das IGW wirbt seit einer Weile mit dem Slogan „Ich studiere Gott“. Dass man über diesen Satz stolpert, ist natürlich gewollt, so funktioniert gute Werbung. Vermutlich soll er sagen, dass das Studium beim IGW vergleichsweise unkonventionell ist und weniger „theoretisch“ als anderswo. Man kann ihn freilich auch so verstehen, als würde dahinter der Anspruch stehen, hier etwas in Reinform vermittelt zu bekommen, was andere nur als x-ten Aufguss servieren: Die einen studieren „Gott“, andere bloß Theologie. Hier das Original, das der müde Abklatsch.

Die Frage nach der Wahrheit dieses Satzes bleibt so oder so: Lässt Gott sich studieren? Und wenn ja, wie würde so etwas aussehen?

Studieren bedeutet im Lateinischen, nach etwas zu streben oder sich um etwas zu bemühen. Im Deutschen – und das ist hier ausschlaggebend – bedeutet Studieren das wissenschaftliche Lernen und Forschen in einem bestimmten Wissensbereich. Es geht um einen diskursiven und methodisch reflektierten Weg zu einem tieferen Verständnis eines Gegenstands, den man durch möglichst genaue Beobachtung und Untersuchung besser verstehen will. Wissenschaftliches Arbeiten, das weiß auch das IGW, orientiert sich an bestimmten Standards von Rationalität, dafür gibt es dann auch akademische Abschlüsse.

Nun ist – und hier droht der Slogan eben Missverständnisse zu erzeugen – Gott gerade kein Gegenstand, der sich beliebig beobachten und erfassen lässt, sondern ein personales Wesen (und selbst bei diesen Begriffen spürt man schon, wie unsere sprachlichen Kategorien zu versagen drohen), das sich offenbaren muss, damit es erkannt werden kann. So, wie wir einen anderen Menschen auch erst dann kennenlernen, wenn er sich uns mitteilt (und uns dabei nichts vormacht). Man muss ihm irgendwie begegnen. Wann, wo und in welcher Form Gott uns begegnet, lässt sich leider gar nicht planen und systematisieren. Gott bleibt frei, Offenbarung ein wunderbares Geschenk (und ja, manchmal auch eine Last oder ein Erschrecken).

Aber oft – meistens sogar – passieren diese Begegnungen gänzlich unerwartet. Was ein „Studium“ dazu beiträgt, lässt sich also kaum vermessen: Statt in einem IGW-Kurs zu sitzen, könnte man auch verschiedenste geistliche Übungen machen, am Bett eines Kranken oder Sterbenden sitzen, oder auf die Oberfläche eines Gletschersees schauen. Augustinus hört Gott in einem Kindervers sprechen, Franziskus begegnet Christus in einem Aussätzigen, Abraham beim Blick an den Sternenhimmel und Jakob beim Ringkampf.

Was ein Studiengang leisten kann, ist, dass man eigene Erfahrungen der Offenbarung Gottes (die werden also notgedrungen vorausgesetzt) beschreibt und reflektiert, sie mit den Erfahrungen und Gedanken anderer Menschen (der VerfasserInnen des Alten und Neuen Testaments, heutiger und früherer TheologInnen) vergleicht und daraus eine zusammenhängende Perspektive auf unsere Welt und unser Leben im indirekten Lichte der Offenbarung Gottes entwickelt. Und sich dabei zugleich bewusst macht, dass unser Nichtwissen (sprich: unsere offenen Fragen) proportional mit dem Wissen zunimmt.

Ein gutes Studium wird auch immer die Sehnsucht nach Gott und die Offenheit für Gottesbegegnungen fördern, aber sie nicht verwechseln mit den Zeugnissen von solchen Begegnungen, die uns notwendigerweise nur in versprachlichter – und damit immer auch schon im Rahmen einer bestimmten Kultur und Tradition interpretierter – Form zugänglich sind. Als solche lassen sie sich allerdings tatsächlich studieren, und ein solches Studium kann gewinnbringend und sinnvoll sein.

Ließe Gott sich „studieren“, dann stellte sich sofort die Frage, ob Intellektuelle (oder wer sich das Studium finanziell leisten kann) nicht gegenüber den „Normalos“ im Vorteil sind. Um ihn jedoch im gängigen Sinn des Wortes studieren zu können, müsste man ihn irgendwie „Schauen“ oder unmittelbar bzw. direkt erkennen können, und genau das verneint das Christentum immer: Wir erkennen in Bruchstücken, wir sehen Gott in einem trüben Spiegel, schreibt Paulus in 1.Korinther 13 – kein Mikroskop, kein Radioteleskop, kein Sonar oder Röntgengerät fängt ihn ein, keine intellektuelle Methode und keine spirituelle „Technik“. Nicht unmittelbar, sondern immer vermittelt: Durch bestimmte Personen, Ereignisse, Worte, die das Ganze nicht weniger real machen, aber eben weniger objektivierbar: Keine „Fakten“, sondern Zeugnisse.

Damit hinkt die Theologie anderen Wissenschaften nicht einmal hinterher, sondern sie ist manchen in ihrer Bescheidenheit und dem Bemühen, nicht zu viel „wissen“ zu wollen und zu versprechen, auch ebenbürtig – und gelegentlich sogar einen Schritt voraus, denn auch in anderen Disziplinen ist Erkennen merkwürdig indirekt und alles vermeintlich gesicherte Wissen immer von Zweifel und Fragen umgeben. Wenn ein Studium das vermittelt und zur existenziellen Suche nach Gott ermuntert, dann kann man es doch eigentlich nur empfehlen.

Und nicht zuletzt werden solche in Bescheidenheit gebildeten Theologen dann Gotteserfahrungen anderer auch nicht herablassend kommentieren oder korrigieren, sondern zu einem fruchtbaren Gespräch über den Glauben beitragen. Gott zu lieben und ihm zu vertrauen ist die Sache aller Christen, egal ob und was sie studiert haben. Übernächste Woche bin ich selbst (daher beschäftigt mich das Ganze) beim IGW in Zürich. „Gott“ werde ich da leider kaum unterrichten können, aber dafür ein paar Jahrhunderte Kirchengeschichte.

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Zwischen Apathie und Alarm

In der Passionszeit erinnern wir uns an das Leiden des Messias. Und damit auch an das Leiden derer, die sich mit den Opfern von Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung solidarisieren und so selbst zur Zielscheibe von Gewalt werden, weil sie an eine bessere Welt und an eine höhere Gerechtigkeit glauben. Solche Menschen nennt man – auch wenn verschiedentlich Selbstmordattentäter den Begriff pervertieren wollen – Märtyrer: Menschen, die ihre Überzeugungen gewaltfrei, zugleich aber so aktiv und beharrlich vertreten, dass sie dafür angegriffen werden.

Nun werden auch Christen in etlichen Ländern verfolgt oder gewaltsam unterdrückt. Über Hintergründe und Ausmaße gibt es unterschiedliche Einschätzungen. So hat vor kurzem das Publik Forum die Organisation Open Doors als „alarmistisch“ kritisiert, weil die Zahl von 100 Millionen verfolgten Christen übertrieben sei. US-amerikanische Organisationen aus dem evangelikalen Spektrum, so die Kritik weiter, reden schon einmal von 200 Millionen. In der Tat nannten nicht nur Evangelikale solche Hausnummern, sondern auch Katholiken – und die beriefen sich dabei auf den britischen Geheimdienst MI6.

Interessanter ist vielleicht, was der Artikel über den Konflikt in Nigeria berichtet, der auch bei uns für Aufsehen gesorgt hat. Es geht dabei nicht um einen Religionskrieg. Vielmehr ist es so,

dass der Erzbischof von Jos und zweite Vorsitzende der Bischofskonferenz, Ignatius Kaigama, sein junger Nachbarbischof von Maiduguri, Oliver Dache Dome, und viele andere Oberhirten mit beeindruckender analytischer Klarheit deutlich machen, dass das Wesen der Konflikte nicht eine Feindschaft zwischen den Religionen sei. Erfreulicherweise agierten führende Muslime ähnlich aufklärerisch, besonders Nigerias oberster Muslim, der Sultan von Sokoto.

Neben der Dramatisierung solcher Ereignisse kritisieren die kirchlichen Hilfswerke auch die mangelnde Umsicht mancher Missionare oder Organisationen in islamischen Ländern, deren – so die Kritik – kleine Erfolge anderen große Probleme machen können. Ganz am Ende dann stellt der Bericht fest:

Am härtesten verfolgt werden derzeit weltweit Nichtchristen: Schiiten, Aleviten und die Bahai’s. Verfolgt werden sie zumeist von sunnitischen Muslimen.

Es ist gut und nötig, dass unser Staat sich für verfolgte Christen einsetzt. Und hoffentlich ebenso für alle anderen, die um ihres Glaubens willen verfolgt werden.

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Niedergang und Neuanfang

Ich habe die Klage von Os Guinness aus Kapstadt (und mein spontanes Befremden darüber) noch gut in Erinnerung: Der Niedergang der Kirchen in Europa sei dem „Liberalismus“ anzukreiden. Theologisch konservative Kirchen dagegen, so hörte man lange Zeit und oft, wiesen überlegenes Wachstum auf.

Nicht mehr, wenn man Diana Butler-Bass‘ Beitrag im Huffpost glauben kann. Dort stellt sie fest, dass die Kirchen in Nordamerika dramatisch schrumpfen und dass der Trend bei konservativen Denominationen wie den Southern Baptists zwar später (so sind Konservative nur einmal…) kam, aber eben doch. Innerhalb einer Generation hat sich der Gottesdienstbesuch in den USA halbiert.

Aber vielleicht hilft die gemeinsame Misere ja, abseits alter Lagerkämpfe neue Wege zu beschreiten. Einzelne Gemeinden, die gegen den Trend wachsen, gibt es eben auch überall. In den Umfragen dreht sich viele um die Begriffe religiös und spirituell. Zwischen 1999 und 2009 fiel die Zahl derer, die sich als „religiös, aber nicht spirituell“ bezeichneten, von 54 auf 9% der Bevölkerung. 30 Prozent bezeichnen sich heute als „spirituell, aber nicht religiös, 48% dagegen als spirituell und religiös“. Darunter lässt sich die Suche nach einer authentischen Glaubensgemeinschaft ohne das Korsett herkömmlicher Institution verstehen.

Ob daraus dann umgehend wieder ein neues geistliches Erwachen resultiert, wie Butler-Bass hofft, das bleibt abzuwarten. Freilich nicht untätig, sondern es ist Zeit zum engagierten Experiment in Sachen postinstitutionelle Gemeindeformen. Meinetwegen gern so postevangelikal wie postliberal.

Nachtrag: Eben lese ich in diesem Bericht aus der Zeit zur Situation der katholischen Kirche aktuelle Zahlen für Deutschland:

Besuchten 1990 noch 21,9 Prozent regelmäßig den Gottesdienst, waren es im Jahr 2010 nur noch 12,6 Prozent.

 

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Der „Mehrwert“ von Kirche für die Gesellschaft

Großbritannien ist die Heimat des aggressiven Säkularismus, der bei uns zwar Bewunderer, aber keine gleichwertigen Vertreter hervorgebracht hat. Ganz anders als der von keine Zweifeln angenagte und alle Zwischentöne scheuende Richard Dawkins kommt die Church of England daher, wie Mary Ann Sieghart im Independent schreibt. Wenn nun ein ehemaliger Pfarrer Bundespräsident wird, lohnt sich der Blick auf die Argumente, warum mehr Kirche auch für ihre gesellschaftlichen Kritiker keine Bedrohung ist.

Man muss nämlich gar kein Christ sein, um deren positiven Beitrag zum öffentlichen Leben zu schätzen, sagt Sieghart: Die verfasste Kirche ist alles andere als eng und rechthaberisch, sie zwingt ihre Glaubensansichten und Lebensweisen niemandem auf und sie hilft Menschen egal welcher Weltanschauung in zahllosen kleinen und großen Projekten.

The Church is the largest voluntary organization in the country, the epitome of the Big Society. And in many rural villages and deprived parts of the inner cities, it is the only institution left. The pubs, the post offices, the shops, the schools, the banks have closed. But most of the churches and their priests remain. Social workers, teachers and doctors may commute into impoverished areas, but the vicar is often the only professional still living in the parish he or she serves. You don’t get more in touch than that.

Dawkins plumpe Polemik, so Peter Popham letzte Woche an gleicher Stelle in einer Abrechnung mit dessen Position, wurde durch den militanten Islamismus nicht nur zum öffentlichen Gesprächsthema, aber sie hat dieselben totalitären Untertöne wie dieser – oder wie andere materialistische Denksysteme des 20. Jahrhunderts, die zum Glück weitgehend überwunden sind:

the fanaticism of the Islamists has provoked an equally intolerant and intemperate reaction from secular and other quarters, with the ban on headscarves in France and on mosque-building in Switzerland and the rabid anti-Islam rhetoric in the Netherlands; while in Britain it has produced a sudden lurch of opinion among our noisiest public intellectuals against any and all religion.

Und dann folgert er, und das trifft sich mit Siegharts Standpunkt oben:

But, stripped of fanaticism and self-righteousness, religious faith can do what secularism cannot: open doors on to areas of human experience – compassion, altruism, serenity, even enlightenment – which have no meaning for the secularists.

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Schweigen und Schauen

Es ist einer unter vielen Berichten dieser Art: Der Zeit-Journalist Wolf Alexander Hanisch zieht sich in ein Kloster zurück, diesmal nicht La Grande Chartreuse, wo Die große Stille aufgenommen wurde, sondern Santa Maria de Poblet in Spanien. Und dort macht er Erfahrungen wie viele andere, die vor ihm die Stille gesucht und einen neuen Kontakt zur Wirklichkeit darin gefunden haben.

Wie er das erlebt, ist trotzdem schön zu lesen. Hier zwei kurze Auszüge:

Das Schweigen, erklärt Prior Lluc, diene jedoch allein dazu, Gott schauen und hören zu können. […]

Spätestens nach vier Tagen merke ich, wie das Routinekorsett meine Gedanken weiter ausschwingen lässt. Wie es mich von den taktischen Wahrheiten des Alltags weglenkt und zum Wesen der Dinge führt. Es sind Momente von distanzloser Klarheit.

In der Abwesenheit von Streulicht beginnt man anders und besser zu sehen. Und so schließt Hanisch mit einer bildhaften Aussage, die unsere Alltagswelt eher pessimistisch darstellt:

Ich starre ins Sternengefunkel und denke an einen bekannten Witz. Ein Mann sucht einen Schlüssel im Laternenschein. Ein zweiter hilft ihm eine Zeit lang und fragt dann, ob er den Schlüssel auch wirklich hier verloren habe. Nein, entgegnet der erste, verloren habe er ihn woanders. Aber hier sei besseres Licht. So kommt mir nun der Mensch dort draußen vor, wo in der Ferne die Windräder blinken. Er sucht sein Glück im Hellen. Doch zu finden gibt es da nichts. Der Schlüssel liegt im Dunkeln.

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