Vor einer Weile haben wir uns entschieden, mehrmals im Jahr statt des „normalen“ Gottesdienstes eine gemeinsame Aktion zu machen, bei der nicht unsere eigenen Themen und Bedürfnisse an erster Stelle stehen. Wir nennen das dann etwas holprig den „Out-Sonntag“ – beim nächsten Mal wird es allerdings ein Samstag werden.
Doch die Sache hat ihre Tücken: Für die einen ist das schlicht „kein Gottesdienst“ – denn der besteht, wie ja jeder weiß, darin, irgendwo in einem geweihten Raum sitzen, singen und zuhören zu dürfen. Also bleiben sie daheim, fahren ins Grüne, besuchen die Oma oder gehen in eine andere Gemeinde, statt zu einer etwas anderen Zeit an einen ungewohnten Ort zu müssen. Dem Pastor der FeG fiel das immer auf, wenn bei uns so ein Sonntag war. Das ist natürlich ziemlich schlechte Theologie, wenn man an den „vernünftigen Gottesdienst“ denkt, von dem Paulus in Römer 12,1ff spricht. Wenn Sitzen, Singen und Predigt das Kriterium wäre, dann würde das meiste, was Jesus mit seinen Jüngern veranstaltet hat, auch nicht in die Kategorie „Gottesdienst“ fallen. Wenn unser ganzes Leben ein Gottesdienst sein kann, dann kann es sehr wohl auch mal einer sein, gemeinsam etwas zu tun, das anderen nützt. Und sei es, dass wir im Wald und auf Kinderspielplätzen den Müll einsammeln.
Nun kommt der nächste Einwand, und der lautet: „Ich bin die ganze Woche dabei, zu geben. Ich gebe mein Bestes im Beruf, und dann ist da auch noch die Familie, der Elternbeirat und was nicht alles. Am Wochenende brauche ich einen Punkt, wo ich geistlich auftanke. Wo ich mal nichts tun muss, einfach sein.“
Darauf gibt es gleich mehrere Antworten:
Erstens: Ja, du brauchst so einen Punkt – und zwar jeden Tag, mehrmals in der Woche. Finde eine Form des Gebets oder der Meditation, die dir gut tut. Stundengebete, Kontemplation, Bibelmeditation, geh mit Gott spazieren und nimm den Hund mit, lies die Losungen zu einer Tasse Kaffee oder deine Bibel bei einem Glas Wein, was auch immer – aber tu’s bitte, und tu’s regelmäßig! Einmal in der Woche einen Gottesdienst zu konsumieren und zu hoffen, dass einem dabei der Geist wie eine gebratene Taube in den Mund fliegt, das kann gar nicht reichen. Und wo wir schon dabei sind: Mach Pausen, bewege dich ausreichend und schlafe genug und finde eine Beschäftigung, die besser entspannt als Fernsehen. Das ist die beste Form von „einfach sein“. Du brauchst mehr davon als du denkst. Aber dafür, dass du es bekommst, bist du letztlich ganz allein verantwortlich. Kein Gottesdienst der Welt kann das ersetzen. Erwachsener Glaube besteht darin, dass wir genau das lernen.
Zweitens liegt der Einwand einfach verdammt nah am allgegenwärtigen Mantra des Konsumkults: „Was bringt’s mir?“ Der Fehler liegt ja nicht darin, Bedürfnisse zu haben, sondern ihre Erfüllung zum Maß aller Dinge zu machen. Vielleicht besteht der größte Dienst, den meine Gemeinde mir tun kann, darin, dass ich erlebe: Ich bin wichtig, aber eben nicht der Nabel der Welt. Wenn dann der Druck weg ist, etwas ganz Bestimmtes aus einem Gottesdienst mitnehmen zu müssen, dann werden wir wirklich offen für das, was Gottes Geist tun kann und will.
Drittens hat die Psychologie längst entdeckt, dass man vom Sektschlürfen und Ferrarifahren nicht nachhaltig glücklich wird. Stattdessen machen uns Dinge glücklich, die wir für andere tun und bei denen wir unsere Stärken und Fähigkeiten einsetzen. Der Psychologe Martin Seligman schreibt in seinem Buch Der Glücks-Faktor davon, wie er mit seinen Studenten verschiedene Aktivitäten verglich und dabei feststellte:
Die spaßigen Aktivitäten (mit Freunden einen draufmachen, einen Film ansehen oder einen Eisbecher schlemmen) verblassten im Vergleich zu den Auswirkungen menschenfreundlicher Unternehmungen. Waren unsere philantropischen Aktivitäten spontan entstanden und unsere menschlichen Stärken herausgefordert worden, verlief der gesamte Tag besser. … Tätige Menschenfreundlichkeit ist – im Unterschied zu Vergnügungen – eine Belohnung an sich.
Auf „Gottesdienste“ angewandt gilt dasselbe: je engagierter ich dabei bin, desto mehr „nehme ich mit“. Gottesdienstformate erlauben ein unterschiedliches Maß an aktiver Mitwirkung und (brrr…!) „Partizipation“. Manches davon wirkt ehrlich gesagt auch ab und zu wie Beschäftigungstherapie oder Trockenübungen. Aber gemeinsam irgendwo hin gehen, wo man andere Menschen trifft, und einfach einmal vorbereitet und zugleich offen zu sein, sich auf sie einzulassen und zu sehen, was sich – nein: was Gott! – dort tut, da wird jeder zum Mitspieler. Wer fröhlich gibt, ist schon beschenkt.
Freilich muss man dafür ein paar Hürden überwinden: Ein zu enges Verständnis von Gottesdienst, die Unsicherheit der offenen Situation, die Angst vor Fremden, die eigene Trägheit und eingefahrene Gewohnheiten. Das sind aber ganz zufällig die Dinge, die Jesus mit seinen Jüngern täglich trainiert hat. Ich hoffe also, dass wir als ganze Gemeinde diese Lektion noch richtig lernen.
Hi Peter,
Danke für diesen Artikel, der es auf den Punkt bringt! Freue mich!!! 😉
Amen, Bruder!!!
Kann mich Björn nur anschließen. Schön, wenn andere so argumentieren und Dinge so auf den Punkt bringen, wie ich es nie könnte.
Danke. 🙂
Hallo Peter!
Als Landeskirchler sind für mich solche GD-Formen natürlich noch schwerer verständlich.
Was aber ist deiner Meinung nach Kern des GD?
Liebe Grüße,
Lothar
Ich verstehe glaube ich die Argumentation noch nicht ganz und vermute, dass das einfach mit unterschiedlichen Gottesdienstbegriffen zu tun hat.
Wenn du den Begriff so weit fasst, dass unser ganzes Leben Gottesdienst ist, wo ist dann das Problem dabei, dass Gemeindeglieder von euch zur Oma fahren oder ins Grüne? Ist das dann doch wieder kein Gottesdienst, weil sie sich nicht an die Absprache halten, an den von der Gemeindeleitung bestimmten Ort (der nicht der gewohnte Ort ist) zur bestimmten Zeit (auch nicht die gewohnte Zeit) zu kommen?
Vielleicht hat Gottesdienst (in einem etwas engeren Sinn) ja doch auch etwas mit Gewohnheiten zu tun, die ja nicht nur schlecht sein müssen, oder? Deine drei Antworten sind natürlich trotzdem richtig, wobei ich auch denken würde, dass Partizipation sowohl im Sitzen und im Gehen und im miteinander Reden, Schweigen und auch Zuhören geschehen kann. Gerade richtiges Zuhören ist ja ein höchst partizipativer und aktiver Vorgang.
@Simon: Nichts gegen gute Gewohnheiten, im Gegenteil. Nur wenn die Gewohnheiten nichts anderes mehr zulassen (statt durch die Variation schöner uns kostbarer zu werden), dann haben wir ein Problem.
Klar habe ich das etwas zugespitzt, würde aber doch sagen, dass Gottesdienst im engeren Sinn (des Zusammenkommens) auch darin bestehen kann, sich gemeinsam anderen zuzuwenden und gerade darin Gott zu begegnen.
Richtiges, partizipatives Zuhören ist traumhaft, und es gibt tatsächlich Leute, die das können. Es sind in der Regel aber genau die, die auch solchen Out-Gottesdiensten etwas Positives abgewinnen können.
Super!
Bin gespannt auf den den hoffentlich folgenden Bericht.
@Lothar:
Ich bin zwar nicht Peter… dennoch:
Der Kern eines Gottesdienstes muss die Liebe von Gott zu uns, unsere Liebe zu Gott und dem Nächsten beinhalten. Wo das deutlich wird, dient Gott uns und wir Ihm. Das ist zunächst unabhängig von einer Form.
Wenn ich an die Versammlungen der Christen im NT denke, dann merke ich, wieviel davon abhängt, welche Bibellesebrille ich aufhabe. Ich bemühe mich, meine Brillen hin und wieder zu tauschen und merke zu diesem Thema: Das, was wir als Gottesdienstfeiern weitläufig kennen, scheint nicht unbedingt das zu sein, was Jesus Christus bezweckte. Um es mal gegensätzlich zu formulieren: Er sendet uns nicht in unsere Gemeindehäuser, sondern in diese Welt. D.h.: Der organisatorische Mittelpunkt der Gemeinde besteht nicht innerhalb der Gemeinde, sondern in dieser Gesellschaft. Als Salz und Licht, als Gesandte und als Körper von Jesus Christus muss unser Dienst mit & für Gott und Menschen „da draußen“ geschehen. Wo dieser Mittelpunkt verschoben wird, wächst die Gefahr, dass wir irgendwann um unserer selbst willen existieren.
Hallo,
ein interessantes Thema habt ihr da!
Letzten Donnerstag wollte mir eine Konfirmandin von einem ‚Gottesdienst‘ berichten, schränkte aber gleich ein, dass es eigentlich kein richtiger Gottesdienst gewesen sei. Wir diskutierten miteinander, was eigentlich ein Gottesdienst ist. Was macht einen Gottesdienst zu einem Gottesdienst? Man könnte fragen: Wann diene ich Gott (vielleicht bei einer Aktion) und wann dient Gott mir (bei der Predigt, beim Gebet)?
Ich denke, dass vieles in unserem Leben Gottesdienst sein kann, was nicht mit einem Kirchenbesuch o. ä. vergleichbar ist. Dennoch bin ich dagegen, nahezu alles als Gottesdienst zu bezeichnen. Ich bin der Meinung, dass sich mein Gottesdienst in irgendeiner Weise von dem unterscheiden muss, was ich sonst so alles mache.
Viele Grüße
Andreas
@Andreas Heindl:
Finde ich gut, darüber nachzudenken.
Wenn letztlich „alles“ Gottesdienst sein kann, was ist denn das, was wir herkömmlicherweise am Sonntag-Morgen feiern?
Ohne mich der Brüderbewegung wirklich nahe zu fühlen, so haben sie m.E. hier eine passendere Terminologie: Versammlung.
Am Sonntag-Morgen versammelt sich die Gemeinde.
Wozu?
Um für den täglichen Gottesdienst ausgerüstet zu werden (nebenbei: wie Peter schon bemerkte, wäre dieses eine wöchentliche Treffen zu wenig, um wirklich geistlich überwindend leben zu können).
Ich denke, dass ein Mini-Teil unserer Herausforderung ist, dass wir einen biblischen Begriff, der viel umfassender gemeint ist, seit Jahrhunderten auf eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Wochentag reduziert haben.
So wie Anbetung nicht beschränkt ist auf das Singen gefühlvoller Lieder mit erhobenen Armen, sondern wir durch unser ganzes Leben Gott ehren und anbeten wollen, so ist es richtig, dass auch unser ganzes Leben ein Gottesdienst sein soll.
Und dennoch denke ich, dass wir in der Begegnung mit Gott im herkömmlichen Gottesdienst beschenkt und ausgerüstet werden für den Dienst und die Aufgaben in der Gesellschaft. Gott dient uns im Gottesdienst, nicht wir ihm!
Wenn allerdings der Gottesdienst die einzige Begegnung mit Gott in der Woche darstellt, läuft etwas falsch.
Ebenso wenn es keine anderen Aktionen der Gemeinde für ihre Stadt gibt.
@ Claudia: „Gott dient uns im Gottesdienst, nicht wir ihm!“ – Dafür fehlt mir jeder biblische Anhaltspunkt. Und wenn ich mit offenen Augen im Gottesdienst sitze, sehe ich eine Menge Menschen, die irgendwelche Dienste tun…
Ich denke, es ist vermutlich im Grunde genommen so rum:
Gott braucht keinen Dienst von uns, aber wir.
Gottes Dienst ist im Grunde Menschen dienen und auch somit uns selbst.
Ja, wie Dikoss im 1. Satz richtig formulierte.
hmm…(?)
Danke Peter! V.a. der Diskussionspunkt „geistlich auftanken“, Antwort 1 hat mir noch mal klar gemacht, wie dieses Argument oft verdreht und Verantwortung-abgebend benutzt wird. Danke für die vielen praktischen Beispiele, die diesem Argument die Luft raus nehmen..! 🙂
_Kerstin