In Reiner Ruffings sehr gelungener Einführung in die Geschichte der Philosophie habe ich kürzlich das Kapitel über die Philosophie der Gegenwart gelesen. In den letzten 100 Jahren haben sich die Fragestellungen der Philosophen gegenüber Aufklärung und Idealismus noch einmal gewaltig verschoben.
Statt sich weitgehend auf das Individuum und/oder das Bewusstsein zu konzentrieren haben die Denker des 20. Jahrhunderts, vor allem seit dem vollständigen Verlust des Fortschrittsoptimismus im ersten Weltkrieg, zunehmend mehr Gedanken gemacht über die Auswirkung gesellschaftlicher Strukturen und Rahmenbedingungen auf unser Leben und über Sprache und Kultur als Voraussetzung unseres Denkens, Erkennens und Diskutierens.
Das ist keine neue Einsicht, aber als ich das so kurz und prägnant formuliert bei Ruffing las, frage ich mich, ob nicht Teile des christlichen Spektrums geistig noch im 19. Jahrhundert leben und noch die alten Fragen stellen. Freilich ist das erlaubt: Nicht alle dieser Fragen sind sinnlos. Die Frage ist allerdings, ob die Antworten auf diese Fragen in einer Welt, die sich ganz andere Gedanken macht, noch von Belang sind, und ob die Sprache und Denkmuster, aus denen heraus sie gestellt werden, verstanden werden.
Bei Licht betrachtet sind m.E. auch die allermeisten Fragen am Ende nicht wirklich neu :-)) Manches was heute in den Feullitons als bahnbrechende neue Perspektive gefeiert wird wird ja schon seit Jahrunderten / -tausenden immer wieder mal diskutiert. Ein Beispiel: Die aktuellen neurobiologischen Deterministen haben zahllose Vorgänger in diversen Epochen: La Mettrie / C. Vogt etc.
Wenn auch manche Kontexte relativ neu sind ( Ökologie / Globalisierung ) stecken dahinter aber doch eigentlich die gleichen alten Fragen…
Ich denke, es gibt tatsächlich viele neue Fragestellungen. Das Beispiel ist insofern etwas irreführend, als die Deterministen rund um die Mensch-Maschine-Metapher tatsächlich die alten Fragen stellen. Dieses „es gibt nichts Neues“ finde ich manchmal etwas herablassend und frage mich, ob man mit dieser Prämisse überhaupt noch richtig hinhört. Ich finde es genauso falsch wie die Annahme, dass das Alte pauschal irrelevant ist und uns nichts mehr zu sagen hätte.