Maßstäbe und Urteile

Die katholische Kirche hat die Todsünden auf den Stand des 21. Jahrhunderts gebracht und zugleich auch den himmlischen Bußgeldkatalog aktualisiert. Viel Gutes ist dabei, anderes geht wenigstens in eine positive Richtung und wieder anderes wirft Fragen auf – auch kein Schaden.

Zugleich hat man im Vatikan eine Statue für Galilei aufgestellt. Wenn man den Artikel von Hans-Conrad Zander in der Welt liest, dann bekommt das klassische Galileo-Bild aber ungeahnte Schatten. Und die unselige Inquisition sieht wenigstens einen Moment etwas menschlicher aus. Denn vielleicht gilt auch hier, dass man sich hüten muss, nicht so zu werden wie das, was man mit aller Entrüstung verurteilt…?

Vor allem, wenn man Protestant ist. Denn da, im Lager der “Bibeltreuen”, sah die Situation nur insofern besser aus, als es keine organisierte Inquisition gab, wie Zander bemerkt. Und die Argumentationsmuster sind seltsam vertraut:

Luther selber hatte damals den Streit um Kopernikus mit einem Satz auf den protestantischen Punkt gebracht: „Der Narr will die ganze Kunst Astronomiae umkehren. Aber wie die Heilige Schrift anzeiget, so hiess Josua die Sonne stillstehen, und nicht das Erdreich.“

Luthers Freund Philipp Melanchthon, sonst bereit, sich mit jedem zu versöhnen, vielleicht sogar mit dem Papst, rief auf zur Allianz zwischen protestantischer Bibeltreue und gesundem Menschenverstand: „Die Augen sind Zeugen, dass sich der Himmel in vierundzwanzig Stunden umdreht. Doch gewisse Leute haben, entweder aus Neuerungssucht, oder um ihre Klugheit zu zeigen, geschlossen, dass sich die Erde bewegt.”

Und wie erging es Kepler, Galileis deutschem Zeitgenossen, bei den Protestanten? Kepler, dem evangelischen Theologen aus dem Stift in Tübingen? Wie wurde er doch seiner kopernikanischen Neigungen wegen in Tübingen angefeindet! Dem Katholiken Galileo Galilei waren von Venedig bis Florenz die Lehrstühle nur so nachgeworfen worden. An einen Lehrstuhl für Kepler im protestantischen Tübingen kein Gedanke.

Das letzte protestantische Wort war – buchstäblich ex cathedra – von der Kanzel der Kathedrale Sankt Peter zu Genf herab gesprochen worden. Johannes Calvin in gewohnter Strenge: „Wer wird es wagen, die Autorität von Kopernikus über die des Heiligen Geistes zu stellen?“

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