Lazarus 2012

Gestern kam das Gespräch auf Nahtod-Erfahrungen. Menschen, die welche hatten, werden ja gern untersucht, befragt und herumgereicht, um davon zu erzählen. Ich selber bin eher Skeptiker, was die Aussagekraft solcher Berichte angeht. Meine Theorie ist, dass was immer da passiert ist und sich vermutlich ja auch fragmentarisch in der Erinnerung zeigt, nach dem Ereignis vom Bewusstsein des Betreffenden sortiert und interpretiert wurde, und zwar anhand von Kategorien und Vorstellungen, die schon längst da waren, zum Beispiel auch religiösen. Der überarbeitete „Clip“ überschreibt dann das ursprüngliche Erlebnis, weil wir eben nur interpretierte Erfahrungen behalten. Was „wirklich“ war, lässt sich nicht mehr ermitteln.

Würde Jesus Lazarus heute auferwecken, dann sähe sich dieser in den Wochen und Monaten danach nicht nur neugierigen Fragen seiner Nachbarn und Verwandten ausgesetzt, wie es denn „im Himmel“ gewesen sei. Er würde möglicherweise auch psychologischen Tests unterzogen; ein christlicher Verlag würde anklopfen, ob man ein Buchprojekt machen könne und anschließend eine Vortragstournee. Lokale Fernsehsender würden um ein Interview bitten und in den christlichen Medien müsste Lazarus, flankiert von Experten, sein Erlebnis schildern und analysieren lassen.

Wie anders dagegen die Geschichte in Johannes 11. Da sagt Jesus: „Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen“ (11,44). Das ist alles. Seine Erlebnisse darf er für sich behalten. Niemand versucht, die Decke zum Jenseits an einem Zipfel anzuheben und zu sehen, was drunter war. Ist doch interessant…

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14 Antworten auf „Lazarus 2012“

  1. Nun ja, das mit der Decke (letzter Satz) liegt u. U. daran, dass es keine Decke gab – eben nur „Bindung(en)“ mit Grabtüchern an Händen und Füßen und ein verhülltes Gesicht … .

    Aber klar, es ist ein sprachliches Mittel … .

  2. „Da sagt Jesus: “Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen” (11,44). Das ist alles.“

    – das ist das, was Jesus tat. Die Reaktionen der Umwelt sind nicht beschrieben.
    Ich (und ich kann ja nur von mir sprechen) kann mir gut vorstellen, daß er ordentlich gelöchert wurde.

    Also immer hübsch am Text bleiben, gell 😉

    VG
    Katja

  3. So ist es, und dann sieht man, dass da viel über Jesus diskutiert wird, nicht über Lazarus. Zumindest Johannes war also auch der Meinung, dass dessen subjektives Erleben irrelevant ist.

  4. Wie gesagt, es steht nicht beschrieben, wie sich die „Nachbarn und Verwandten“ (Zitat von Dir) oder sonstige Leute verhalten haben.

    Deine Intention ist ja nett, das Mittel aber einfach nicht korrekt.

  5. Nein, es ist umgekehrt: Der Text sagt darüber nichts aus, was die Verwandten sagten, und damit erklärt er das Thema für irrelevant, weil auch der Verfasser die Fragen nicht stellt.

  6. Also ich finde, dass Peregrinatio Recht hat. Persönliche Erfahrungen mit Jesus von Mensch zu Mensch mitgeteilt bringen Frucht. Büchern und Artikeln mit Berichten von Menschen über Erlebnisse die sie mit Jesus gemacht haben fehlt die wichtigste Dimension – die Nähe zum Gegenüber – und damit bringt so was kaum was – auch meine Meinung.

  7. Es gibt eine Kurzgeschichte von Leonid Andrejew bzw. Andreyev namens „Lazarus“, die sich vorstellt, wie es Lazarus ging, nach dem er dem Tod in die Augen gesehen hat – und dann dieser quasi ihm aus den Augen schaut. Wer klassische russische Erzählungen mag ….

  8. Fakt ist:
    Es steht nichts über die Reaktion der Umgebung in der Bibel.
    Punkt.

    Mehr behaupte ich ja gar nicht.
    Wer andere Stellen kennt möge sie nennen.

  9. Stellen wir uns mal vor, jemand würde sagen: „Wenn nur einer mal in den Himmel kommen und wieder zurück kommen würde, würde ich an den Himmel glauben.“ Aber interessanterweise GIBT es ja Hunderte Berichte von Leuten, die vom Himmel berichten (auch von der Hölle). Weltweit, aus allen Kulturen und Altersklassen (auch Kinder). Und die Berichte ähneln sich fast alle. Nur: trotzdem glauben ihnen die meisten nicht. Glauben liegt also nicht an „Beweisen“, sondern an der inneren Bereitschaft, zu glauben.

    Und, nein, ich glaube nicht, dass Lazarus, würde er heute leben, so eine (Medien-)Aufmerksamkeit bekäme. Warum nicht? Weil es Hunderte Menschen gibt, die so etwas erlebt haben und sagen, sie seien im Himmel gewesen. Und die Antwort der Masse: das kann nicht real gewesen sein, lag an der Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff etc.

    (Ich werte das überhaupt nicht. Ich stelle das nur fest.)

  10. Klar ist die Feststellung auch eine Wertung. Das Problem dieser „ich war dort“-Aussagen ist doch, dass sie nicht überprüfbar sind. Ich bin auch schon morgens aufgewacht und „war“ kurz zuvor noch mit dieser oder jenen (vielleicht sogar verstorbenen) Person an einem ganz anderen Ort, während ich gleichzeitig in meinem Bett lag. Strukturell ist das erst einmal dieselbe Aussage. Warum sollte man den Inhalt dieser „Erlebnisse“ plötzlich qualitativ völlig anders bewerten, wenn jemand nicht einschläft, sondern vorübergehend das Bewusstsein verliert?

  11. Stimmt. Wenn ich einer/m fremden Dritten erzählen würde, dass ich ein Stück vom Himmel sehen durfte, würde ich sicher mitleidig oder sorgenvoll angeschaut. Wenn ich das Gleiche einem Menschen mitteile, der mich jahrelang kennt und weiß, dass ansonsten alles OK ist mit meinem Gemütszustand, dann könnte es sein, dass dieser Mensch anfängt darüber nachzudenken, ob da nicht doch etwas ist neben der sichtbaren Welt … . Das würde dann ggf. Fügung sein und damit der göttliche Zeitpunkt für den Zuhörer Jesus erstmals zu begegnen.

  12. … und genau das ist der Punkt, der im NT komplett andersherum läuft: Nicht die Nahtoderfahrung eines Menschen begründet die Hoffnung auf die Auferstehung, sondern die Auferweckung des Gekreuzigten. Die nämlich ist mehr als eine bloße „Wiederbelebung“, sie ist eine völlige Transformation. Die ersten Christen haben das besser verstanden als manche heutigen.

  13. Ich klinke mich aus. Die Auferstehung ist das GRÖßTE (Wunder). Punkt. Alle anderen Wunder, die es durchaus gibt, die im Vlg. z. Auferstehung nachrangiger sind, bleiben aussen vor bzw. am Rand (heute_hier).

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