Kunststück Verstehen

Mit fällt immer mehr auf, wie tief die Sehnsucht der meisten Menschen ist, verstanden zu werden. Oder, um es in biblischer Sprache zu sagen: erkannt zu werden – irgendwie durchschaut und trotzdem zugleich auch geliebt. Ein (Augen-) Blick, in (bzw. mit) dem der andere alles sieht, und sich darüber nicht abwendet.

Andererseits leben wir täglich mit Missverständnissen oder dem Schmerz, unverstanden zu sein. Um so kostbarer ist es, wenn mich jemand “erkennt”. Und das ist nicht primär eine Frage des Informationsstandes, sondern der Empathie und Intuition. Tom Marshall hat einmal geschrieben, dass ohne das Verstehen auch Liebe, Achtung und Vertrauen in einer Beziehung nicht mehr richtig funktionieren.

Das Dumme ist, dass man Verständnis kaum einfordern kann. Man muss es geschenkt bekommen. Manchmal verstehe ich mich ja selbst nicht einmal. Wahrscheinlich ist alles menschliche Verstehen bruchstückhaft. Kein Mensch auf dieser Welt wird alles an mir verstehen. Es geht also immer um ein mehr oder weniger, nicht so sehr um alles oder nichts (diese Erwartung wäre das sicherste Rezept für Einsamkeit). Nur manchmal ist das Wenige nicht genug.

Zugleich bleibt da immer die Frage, wie viel ich von mir offenbare, und ob ich selbst darum ringe, den anderen zu verstehen. Es klappt eben nicht immer auf einen Schlag. In den letzten Wochen hatte ich eine ganze Reihe Gespräche mit Freunden. Einige haben sich große Mühe gegeben, Fragen gestellt und zugehört, und das tat gut, selbst hier und da wenn spürbar war, dass mein Gegenüber sich nur bedingt in meine Lage versetzen konnte. Bei anderen hatte ich das Gefühl, sie haben ganz einfach verstanden, wie es mir geht. Es war leicht, mich weiter zu öffnen und auf Nachfrage mehr zu erzählen. Solche Gespräche sind eine gewaltige Kraftquelle. Eigenartigerweise habe ich den Eindruck, ich verstehe mich danach auch selbst wieder besser.

Share