Jemand fragte neulich, wie eine so schwierige Geschichte wie die Sintflut im Kindergottesdienst und Reliunterricht so eine Rolle spielen kann. Kaum ein Kindergottesdienstraum, in dem kein Regenbogen irgendwo hängt. Dabei wirft dieses Kapitel für den erwachsenen Leser ja bei Licht betrachtet schwerwiegende Fragen an Gottes Charakter und sein Handeln in der Welt auf: Waren die Menschen alle so schlecht? Gab es da keine Unterschiede? Ist gewaltsames Auslöschen eine Lösung? Wie kann es sein, dass Gott bereut, Menschen geschaffen zu haben? Ist es hinterher tatsächlich besser geworden oder war die drastische Aktion ungefähr so clever wie manche militärische Intervention der letzten Jahre, die nichts als die berüchtigten Kollateralschäden verursachte? Und mal ganz pragmatisch: Wo kam das Futter her für die monatelange Reise – und das Wasser? Wie passte das alles auf ein Schiff und wer hat die Kängurus in Australien ausgeladen?
Auf alle diese Fragen antwortet die Geschichte leider nicht. Vielleicht muss man das also genau umgekehrt sehen: Nur Kinder können die Geschichte verstehen. Sie gehen mit denselben Annahmen heran wie bei den geliebten Märchen:
- Ihre Welt ist überschaubar
- Ihre Moral ist schwarzweiß
- Sie zweifeln nie daran, dass sie auf der richtigen Seite stehen
Ich vermute mal, dass die Leute, die diese Geschichten aufgeschrieben haben, auch nicht sehr viel anders tickten als unsere Kinder. Dass „wir“ zur Familie gehören und nichts zu befürchten haben, steht schon fest. Noah ist der Prototyp des Gerechten – vorher wenigstens. Von den anderen kennen wir keine Namen und Geschichten, sie haben keine Gesichter, sie haben so betrachtet nie richtig existiert. Wichtig ist allerdings, dass eine ganze Familie dabei ist: Eltern und Kinder. In einer Welt, wo es nur Gute und Böse gibt, zählen sich Kinder instinktiv zu den Guten. Naiv, aber in diesem Fall völlig richtig.
Dass immer nur ein Paar Tiere gerettet wird, ist kein Problem. Kinder kennen nur einen oder zwei Tiger, den aus dem Zoo in der Nähe oder aus ihrem Bilderbuch, und natürlich ist es der, der an Bord ist. Also stellt sich die Frage nach den vielen anderen Tieren gar nicht so. Kinder leben (normalerweise) in einer umsorgten Umgebung. Natürlich ist immer etwas zu Essen da – es schmeckt halt vielleicht nicht immer.
Wichtig ist auch, dass ein gerechter Gott hier energisch Ordnung schafft, weil er uns (das ist hier sehr eng definiert) liebt, und dass er sich am Ende auf diese geduldige Liebe festlegt. Die zahlenmäßige Relation zwischen Opfern der (verdienten) Katastrophe und Geretteten wird gar nicht reflektiert. Und ich denke, sie soll auch gar nicht reflektiert werden, denn die Botschaft ist, dass wir alle Nachkommen Noahs sind und alle dazugehören und dass das die entscheidende Sache ist.
Wir können solche Texte wieder kindlich lesen lernen, auch als verantwortliche Erwachsene. Wenn wir sie nur so lesen könnten, wäre das kindisch. Aber sich von der Perspektive der Kinder anregen und helfen zu lassen, heißt, ein Stück Lebensweisheit zu gewinnen.
Stimme dir voll zu. Ich liebe die biblischen Geschichten, denn sie sind so konkret. Vielleicht macht sie das gerade so schwierig. Die Geschichte schafft Tatsachen und mit denen müssen wir uns auseinandersetzen müssen.
@Martin – das ist noch so eine Sache: „Tatsachen“ sind gar kein kindliches Konzept. Geschichten dagegen schon.