Für Bruno Latour ist die Religion kaputt: Sie ist unverständlich und selbstreferenziell geworden, sie spaltet die Menschen in Insider und Outsider, Gläubige und Ungläubige, statt zwischen ihnen Brücken zu bauen. Es hat vor allem mit der Sprache zu tun. Statt sie lebendig zu halten, haben die Kleriker sie eingefroren und festgeschrieben.
In der Religion gibt es wie in der Wissenschaft Artefakte, die es sorgsam abzubauen gilt. Denn die Zeit vergeht, die Wörter, die Sinn hatten, verlieren ihn. Die aber, deren Beruf darin besteht, die Wörter zu ändern, um den Sinn zu bewahren, die Geistlichen, haben es vorgezogen, die Wörter fromm zu bewahren, auf die Gefahr hin, den Sinn zu verlieren.
… Indem sie ihr Erbe zu schützen glaubten, verschleuderten sie es.
Inzwischen ist die Distanz kaum noch zu überwinden. Aber damit findet er sich nicht ab:
Ich habe weit Besseres zu tun, als in den Schoß der Gemeinde zurückzukehren, denn nicht mehr ein Schaf hat sich verirrt, die ganze Herde samt Weide, Tal, Gebirge, samt dem ganzen Erdteil ist unterwegs verlorengegangen; ja, es ist am Hirten, zur Herde zurückzufinden, es ist am Schoß, an der Schäferei, am Bauernhof, am Dorf, sich wieder auf den Weg zu machen, um die verlorene Zeit einzuholen, das verheißene Land wiederzugewinnen, das sie brach hinter sich ließen.
Bruno Lautour, Jubilieren