Mich beschäftigt immer noch ein Beitrag zum Runden Tisch Evangelisation im Rückblick auf den Kongress von Kapstadt. Die Frage, die dort aufgeworfen wurde, lautete: Immunisiert unser Wohlstand Menschen gegen das Evangelium? Wie gehen wir mit Menschen um, die – so weit wir sehen können – ganz zufrieden leben und materiell gesichert sind? Müsste man, so die Frage, nicht wieder mehr über Himmel und Hölle predigen?
Mag sein. Gern über die real und global existierende Hölle der Armut (die wir nur zu gern ignorieren, wo wir auf sie stoßen), biblische (Sozial-)Kritik an Gier und Reichtum und über die quälenden Sorgen, die sowohl der Mangel als auch der Reichtum (man könnte ihn ja verlieren) hervorrufen. Die Drohung mit einer rein jenseitigen Hölle bliebt aber (zumal wenn man ihre Ansätze oder Spuren in der Gegenwart nicht aufzeigen kann, sei also nicht auch eine schon gegenwärtige wäre) ebenso unbefriedigend wie das Winken mit einem rein jenseitigen Himmel, dessen Schilderungen zudem oft nach endlosen Gottesdiensten klingen, die viele schon im irdischen Kurzformat als langweilig empfinden.
Wenn „der Himmel“ – die Herrschaft Gottes, seine neue Welt – schon jetzt eine (wenn auch erst in Ansätzen) erfahrbare Wirklichkeit ist, dann wäre doch die theologische Arbeit, die es im Blick auf Wohlhabende (die Definition des Begriffs lassen wir mal dahingestellt sein) zu leisten gilt, die Beantwortung der Frage: Welche gute Nachricht haben wir eigentlich jemandem zu sagen, der materiell schon “alles hat“? Anders herum gefragt: Ist unser Evangelium beziehungsweise unsere Verkündigung so defizitorientiert, dass wir, wie Bonhoeffer schon bemängelte, immer nur beim Mangel ansetzen können, um dann „Lösungen“ anzubieten? Und könnte das ein Indiz für eine theologische Engführung sein, die schon seit Generationen besteht? Immerhin stammen die folgenden Worte aus dem Jahr 1944:
Die Religiösen sprechen von Gott, wenn menschliche Erkenntnis (manchmal schon aus Denkfaulheit) zu Ende ist oder wenn menschliche Kräfte versagen – es ist eigentlich immer der deus ex machina, den sie aufmarschieren lassen, entweder zur Scheinlösung unlösbarer Probleme oder als Kraft bei menschlichem Versagen, immer also in Ausnutzung menschlicher Schwäche bzw. an den menschlichen Grenzen: das hält zwangsläufig immer nur solange vor, bis die Menschen aus eigener Kraft die Grenzen etwas weiter hinausschieben und Gott als deus ex machina überflüssig wird; das Reden von den menschlichen Grenzen ist mir überhaupt fragwürdig geworden (ist der Tod heute, da die Menschen ihn kaum noch fürchten, und die Sünde, die die Menschen kaum noch begreifen, noch eine echte Grenze?), es scheint mir immer, wir wollten dadurch nur ängstlich Raum aussparen für Gott; – ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen. An den Grenzen scheint es mir besser, zu schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen. Der Auferstehungsglaube ist nicht die „Lösung“ des Todesproblems. Das „Jenseits” Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens!
Genau. Das alte zentrale Problem. Und mein Predigt-Problem, immer wieder. Zum Beispiel beim Predigttext für kommenden Sonntag, Johannes 7,37-39. Was ist mit Menschen, die gar keinen Lebens-Durst spüren…und vielleicht auch gar nicht haben?! Immerhin bin ich über folgendes Zitat gestolpert: „Der Durst entsteht nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte des Lebens.“ Mal sehen, ob mich das weiterbringt.
Bei Johannes 7,37-39 kommt man natürlich am Durst schwer vorbei. Bonhoeffer, glaube ich, hat aber hier gar nicht das Bedürfnis, darüber zu sprechen. Er äußert sich ja an anderer Stelle sehr verächtlich über Prediger, die nach allen Regeln der rhetorischen Kunst versuchen, die verwundbare Stelle ihrer gesunden und starken Zuhörer zu treffen: „Sie legen es darauf an, den Menschen erst einmal in innere Verzweiflung zu treiben und dann haben sie gewonnenes Spiel. Das ist säkularisierter Methodismus“ (Widerstand und Ergebung, Brief vom 8.6.44).
Wieso ist eigentlich die Nachricht von Gottes bedingungsloser Liebe nicht gut genug? Braucht es ein Kontrastprogramm in Zeit oder Ewigkeit, um das unbeschreiblich Gute in ein noch etwas besseres Licht zu rücken?
Um Durst geht es ja auch in Johannes 2,1-11, wo Jesus „im Leben und im Guten des Menschen“ tut, was zu tun ist. Und am Ende glauben die Jünger (V.11). Vielleicht will ja Gott so an unserer irdischen Freude teilhaben, wie umgekehrt ein Christ „im diesseitigen Leben Gottes Leiden mitleidet“ (Brief vom 21.7.1944).
Ein Nachtrag – nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (ich meine jetzt nicht die Kommentare, für die ich Euch danke):
Reichtum wird natürlich in der Bibel als ein Problem behandelt und Gott hat, wie die Befreiungstheologen zu Recht sagen, sich auf der Seite der Armen positioniert – nun aber nicht gegen die Reichen als die exklusiv Schuldigen, sondern gegen ein System, das die Welt in Reiche und Arme spaltet und in dem die Reichen zugleich Profiteure und Komplizen wie auch selbst Opfer ihres Reichtums sind. Wenn Theologie dieses System deutlich benennt und „den Reichen“ (Ländern wie Individuen) zeigen kann, dass im Evangelium auch ihnen Freiheit verheißen ist, dann wäre das schon ein Schritt in die richtige Richtung.
Ich denke, es ist wichtig, eben nicht selber den Glauben als etwas zu sehen, was nur Kraft hat, wenn ein Mangel da ist. Auf der anderen Seite denke ich auch, dass es schon gut sein kann, auch den Finger in Wunden zu legen. Allerdings halt immer mit der Absicht, zu heilen. Hat Jesus nicht mit der Frau am Brunnen auch genau das gemacht?
Hat er, ja. Nachdem allerdings er zuerst einmal seinen Durst hat stillen lassen, und dabei hat er sich von der Frau aus dem verachteten Volk helfen lassen. Das scheint mir bemerkenswert. Und auf die Wunde hat er dann sehr präzise aufmerksam gemacht, denn er konnte sie klar sehen.
Und da sehe ich eben einen ganz großen Unterschied: Wenn ich mich frage, wo denn die Schwäche meines so souverän und stark wirkenden Gesprächspartners oder Zuhörers liegt, weil ich glaube, dass ich ihn da und nur da zu fassen kriege und vom Glauben überzeugen kann, dann ist es konsequent, mich aller möglichen Tricks zu bedienen, um endlich die wunde oder schwache Stelle gezeigt zu bekommen. Ich kenne diese Art von Verkündigung ganz gut, sowohl die säkularisierte Variante als auch die klassische, die mit Höllenängsten operiert. Ich halte inzwischen beides für schäbig.
Und richtig problematisch wird es ja da, wo die vermeintlichen Antworten dann doch zu kurz greifen. Wenn jemand an dem Leid, dass ihm oder einem nahen Angehörigen zugestoßen ist, verzweifelt und anklagend nach Gott fragt, dann kann ich vielleicht ja gar keine Antwort geben. Wir stoßen mit der oben beschriebenen Methode doch sehr schnell in die Bereiche vor, die Bonhoeffer die „Grenzen“ nennt und da sehe ich es wie er, da „scheint es mir besser, zu schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen.“ Hier auf der Erde sind doch auch für uns als Christen diese manchmal quälenden Fragen keineswegs gelöst.
Offenkundige Wunden unserer Welt sind dagegen Gewalt, Unterdrückung, Verschwendung von Ressourcen etc. Und ich denke, dass wir als Christen da tatsächlich in sehr großer Verantwortung stehen. Darauf aufmerksam zu machen und dagegen anzugehen scheint mir anständiger zu sein als in den verborgenensten Winkeln der Herzen von Menschen, die wir kaum richtig kennen, herumzustöbern.
Ich frage mich zunehmend, was dieses Reich Gottes, das hier auf der Erde schon beginnt, ist. Da, wo ich geistlich herkomme, waren die Vorstellungen vom Reich Gottes vieIleicht ungefähr so: Es ist eine Gemeinschaft von Menschen, die sich hinsichtlich bestimmter Glaubenssätze einig sind. Momentan glaube ich eher, dass wir das Reich Gottes da verwirklichen, wo wir aus der Beziehung zu Gott heraus echte Beziehungen zu Menschen leben. Und „echt“ heißt für mich, dass diese Beziehungen nicht irgendeinem Zweck untergeordnet sind. Dann ist es ganz natürlich, Ängste, Sehnsüchte und Schwächen miteiander zu teilen. Aber eben auch Gutes und Freude. Und die Armen und Unterdrückten reduzieren wir ja da, wo wir ihnen begegnen, auch nicht mehr auf ihre Armut und Unfreiheit, sondern sehen ihre ganze Geschichte und feiern vielleicht auch mit ihnen. Das hat doch Jesus nicht anders gemacht und so Menschen verändert.
@robaehr: sympathische Sicht vom „Reich Gottes“ ich habe das hier mal so formuliert: