Heiße Eisen und gute Argumente

Ich habe in den letzten Wochen mit ein paar Leuten über das „Dossier Homosexualität“ in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Aufatmen gesprochen. Die Autoren der verschiedenen Beiträge sind alle miteinander der Auffassung, dass Homosexualität an sich in der Bibel als falsch bewertet wird und für Christen, die das ernst nehmen, daher zwei Optionen bestehen: Enthaltsamkeit oder das Ringen um eine Veränderung der sexuellen Orientierung, das sie – im Gegensatz zur derzeit landläufigen Meinung – für möglich halten.

Egal welche Position man vertritt, es kommt in dieser Frage auf saubere Argumentation an. Missverständnisse und Verurteilungen gab es von allen Seiten schon reichlich. Jüngst erst bezeichnete der konservativ-reformierte John Piper einen Tornado in Minneapolis als Gottes Antwort auf die zeitgleiche Öffnung der in unmittelbarer Nähe tagenden US-Lutheraner für Pastoren, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben. Das Beweisfoto einer abgeknickten Kirchturmspitze liefert er gleich mit.

Nun sind mir beim Lesen des Beitrags über „Homosexualität in der Bibel“ ein paar Fragen gekommen, die ich hier zur Diskussion stellen will. Theologische Argumente sind meteorologischen sicher vorzuziehen. Vorab aber die Bitte an alle, die unten dann kommentieren, sachlich bei den angeschnittenen Fragen zu bleiben und im Ton alle Polemik zu vermeiden, davon gibt es anderswo mehr als genug. Ich beschränke mich in diesem Post auf die Auslegung von Leviticus 18,22 („Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel.“ – ähnlich Lev. 20,13)

Im ersten Argumentationsgang wird die Frage abgewiesen, ob Homosexualität hier als mutwillige Tat oder als eine Neigung und Empfinden verstanden wird, das allen willentlichen Entscheidungen vorausgeht. Dazu verweist der Autor Christoph Raedel auf Jesu Verbot der Ehescheidung, aus dem er mit Pannenberg die Norm für alles geschlechtliche Verhalten ableitet. Sprich: Es gibt die Ehe von Mann und Frau und alles andere ist Sünde. Der Punkt ist insofern aufschlussreich, als der Verweis auf die „Schöpfungsordnung“ das implizite Grundargument in dieser Frage darstellt. Jesus, der zu Homosexualität nichts gesagt hat, wird auf diese Weise in das Argument eingebunden. Betrachtet man den Kontext von Mk 10,2-9, dann liegt die Aussageabsicht aber an einer ganz anderen Stelle, nämlich dem Schutz der Frauen vor den Launen ihrer Männer und der jüdischen Scheidungspraxis, in der zwar Männer ihre Frauen verlassen konnten, aber nicht umgekehrt. Es hat also eine gewisse emanzipatorische Funktion. Der Gegensatz (das war es in diesem Fall) Mann/Frau ist von daher vorgegeben. Ob man daraus ableiten kann, dass Jesus hier implizit auch homosexuelle Partnerschaften verurteilt, scheint mir eher fraglich.

Im zweiten Schritt weist Raedel eine Orientierung an der Frage der „Mannesehre“ ab. Denn in Lev 18 werden tatsächlich nur Männer angesprochen. Er verhandelt sämtliches Verhalten (hier werden sexuelle Beziehungen zu verschiedenen Graden von Angehörigen untersagt, aber zwischendurch auch Verkehr mit der eigenen Frau während der Regelblutung, Sex mit Tieren und das Opfern von Kindern für den „Moloch“) unter dem Stichwort „Grenzverletzung“. In diesem Fall eben die Verletzung der „Geschlechterzuordnung“. Damit sind wir wieder beim Schöpfungsargument und müssten uns also mit Genesis 1-2 befassen. Etwas unglücklich scheint mir, dass an dieser Stelle die Parallelität zum Inzest und zur Sodomie betont wird.

Drittens sei das zentrale für die Verurteilung von homosexuellem Verhalten nicht in der Unfruchtbarkeit (Kinderlosigkeit war ein großer Makel im alten Orient) zu suchen, meint Raedel, sondern in der Verletzung der Rollenordnung. Hier wird wieder auf Inzest verwiesen und das Verbot der Kinder- bzw. Menschenopfer, in denen auch die Rollen verletzt werden.

Viertens sei hier nicht nur von Kultprostitution die Rede, so dass nichtkultische sexuelle Beziehungen davon unbenommen blieben, obwohl dies, wie Raedel zugesteht, die häufigste Form gewesen sei, in der Israel homosexuellen Verkehr kennengelernt habe. Es sei nicht von ritueller, sondern moralischer Verunreinigung die Rede, daher könne auch keine kultische Sühne durch Reinigung und ggf. Opfer erfolgen, sondern der Tod sei die einzig mögliche Konsequenz. Das steht auch so in Lev 18, gilt aber eben auch für den Mann, der seiner Frau während ihrer Tage zu nahe kommt! Ich hätte mir hier noch eine Aussage dazu gewünscht, ob und in welchen Fällen Raedel die Todesstrafe heute für angemessen hält. Das ist doch eine recht happige Drohung, die auch im heutigen Judentum nicht mehr so wörtlich genommen wird. Es ist mit Sicherheit aber ein Text, mit dem über Jahrhunderte harte Ausgrenzung gerechtfertigt wurde und der immense Ängste hervorgerufen hat und bis heute noch hervorruft – und wenn Raedel ein paar Absätze weiter (unnötig, wie ich finde) mit dem Neutestamentler Richard Hays Homosexualität als „Sakrament der Antireligion“ bezeichnet, werden all diese Ängste durch die steile Aussage schlagartig wach und apokalyptische Horrorvisionen gesellen sich noch dazu.

Aber zurück zu Levitikus 18. Meine Anfragen zu den Punkten 2-4 sind nun folgende:

  • Generell haben Christen das alttestamentliche Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26) nicht mehr als verbindlich angesehen, nur ist Lev 18 eben die wichtigste Aussage zu irgendeiner Form von Homosexualität in der jüdischen Bibel. Die Frage ist, ob man sich diesen einen Punkt aus dem Kontext herauspicken darf und den Rest – angefangen beim Strafmaß – dann doch ignorieren – zum Beispiel, indem man sich den Bart stutzt (Lev 19,27)?
  • Eine Tendenz dieser Aussagereihe (und von Raedels Insistieren auf der Behandlung dieses Textes) ist, dass wer Homosexualität nicht für ein Gräuel hält, damit auch anderen Dingen wie sexuellem Missbrauch von Kindern Tür und Tor öffnet. Nur argumentieren die wenigsten von uns beim Thema Kindesmissbrauch mit Lev 18, sondern mit dem offenkundigen Schaden, den dieses Verhalten anrichtet. Und Kinderopfer sind durch das Verbot des Tötens, das Jesus unmissverständlich verschärft hat, wie auch durch die Tatsache, dass das Christentum überhaupt keine blutigen Opfer mehr zulässt, auch problemlos ohne Lev 18 zu begründen. Müssten wir hier nicht doch eher fragen, welcher offenkundige Schaden denn entsteht – für die Betroffenen wie die Allgemeinheit?
  • Drittens würde ich mit Miroslav Volf unterscheiden zwischen Geschlechtlichkeit, die biologisch im männlichen und weiblichen Körper (Chromosomen, Geschlechtsorgane, Hormonhaushalt) begründet ist, und den kulturell bedingten Geschlechterrollen (im Englischen „gender“). Das eine ist da, das andere machen wir daraus. Wenn nun Raedel von der Verletzung der Rollen und Geschlechterordnung spricht, meint er Letzteres, erklärt es zugleich aber – und da wird es eben schwierig – wie Ersteres für unveränderbar. Freilich haben sich unsere Vorstellungen von Mann- und Frausein und die Deutung der anatomischen Unterschiede längst gewaltig geändert. In der alten Welt etwa galt der Mann beim Geschlechtsakt als der aktive, die Frau als der passive Teil. Das sehen und erleben viele Paare (und selbst christliche Eheratgeber) heute anders. Haartracht und Kleidung (auch bei Paulus noch ein Thema) haben sich gravierend verändert, ebenso die Bewertung von Fruchtbarkeit und Kinderlosigkeit.

Volf schreibt zur Frage der Geschlechterrollen (Exclusion and Embrace, S. 182):

Biblical „womanhood“ and „manhood“ – if there are such things at all, given the diversity of male and female characters and roles that we encounter in the Bible – are not divinely sanctioned models but culturally situated examples; they are accounts of the successes and failures of men and women to live out the demands of God on their lives within specific settings. This is not to say that the biblicals construals of what men and women (of what men and women as men and women) should or should not do are wrong, but that they are of limited normative value in a different cultural context, since they are of necessity laden with specific cultural beliefs about gender identity and roles.

Manches davon schwingt wieder mit, wenn es um die Frage geht, was in Römer 1,26ff mit „natürlich“ und „widernatürlich“ gemeint ist. Für heute lasse ich es bei der Frage, ob das Buch Levitikus der ideale Einstieg in die schwierige Debatte ist.

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26 Antworten auf „Heiße Eisen und gute Argumente“

  1. Wie du ja schon schriebst, spielt Homosexualität bei Jesus keine Geige. Warum das dann bei einigen ganz oben auf der Tagesordnung ist frage ich mich dann auch immer. Ich muss immer bei dem Thema an Ted Haggard denken und an das Sprichwort „Die Zunge ist immer am schmerzenden zahn.“. Wenn Sexualität zur Besessenheit wird und man sich wie Sau benimmt, ist es eine Sünde, aber da würde ich Hetrosexualität absolut gleich setzen. Ich kann locker ein Dutzend Stellen im AT nennen, wo besessene Hetrosexualität zu einem Problem wurde. Darunter „prominente“ Namen wie David.

    Genesis auf die Aussage zu reduzieren „Nur was sich reproduziert, ist ein anständiger Christ.“ halte ich für eine unstatthafte Verkürzung. Das wäre in der letzten Konsequenz nicht weit weg von der NS-Rassenideologie des „Gesunden Volkskörker“. Das Mutterkreuz erste Klasse gab es für Frauen acht oder mehr Kinder hatte und die Eltern „erbtüchtig“ und die Kinder lebend geboren worden waren.

    Was ich auch erstaunlich finde ist, das die Diskussion in manchen Kreisen scheinbar nie langweilig wird. Selbst unter Quakern. So entblödet sich das FUM (Friends United Meeting) sich nicht, homosexuelle Quaker bei Ämtervergaben zu diskriminieren.

    Gruß

  2. Danke für diesen Post. Ich finde es immer wichtig und auch spannend, wenn Leute sich mit diesem Thema beschäftigen, die nicht ein Interesse an der Auslegung in die eine oder andere Richtung haben.

    Ich kenne den betreffenden Artikel jetzt nicht, finde es allerdings immer recht schade, wenn hier eine einseitige Diskussion geführt wird und man nicht verschiedene Meinungen und Auslegungen präsentiert. Es ist ja nicht so, dass es die nicht gäbe (und zwar nicht nur von liberalen Auslegern).

    Schließlich frage ich mich bei Fragen der Geschlechterrolle auch immer, was man dann z.B. mit Intersexuellen macht. Sind sie Mann oder Frau? Und wer entscheidet das? Und wenn es operativ entschieden wurde und sie später anders empfinden, was sind sie dann?

    Nur ein paar Gedankenfetzen. Danke, dass Du Dich an dieses schwierige Thema ranwagst!

  3. Ich kann bezüglich dieser Thematik das Buch „Heiße Eisen angepackt“, geschrieben vom Gründer des Alpha Kurses (Nicky Gumbel), empfehlen. Er zerredet nicht die biblische Moral, aber spricht sich eindeutig gegen die Verachtung homosexueller Menschen aus. Da haben sich wohl viele Christen schuldig gemacht: Sie erkennen zwar die biblische Moral als gottgewollt an, aber sie sehen im homosexuellen Menschen nicht ein von Gott bedingungslos geliebter und gewollter Menschen. Das ist zumindest mein Eindruck von einigen Christen. Das Politiker Veranstaltungen wie das Christival wegen bestimmten Workshops torpedieren, sollte bibeltreue Christen natürlich nicht in die gewünschte Rolle des Hetzers oder Schwulenhassers treiben lassen. Da gehört nämlich kein Christ hin. Natürlich ist es auch nicht hilfreich sich hier dem Zeitgeist ungeprüft anzupassen. Korinth ist nämlich nicht weit von uns und der Gedanke, man könne Glaube vom alltäglichen Leben trennen, ist ein schlimmer Trugschluss.

  4. @Henni

    Das ist die große Frage: Was ist Zeitgeist. Paulus verlangte ja von Frauen, das sie sich die Haare bedecken und von Männern, das sie keine langen Haare trugen. Vielleicht war ja gerade die Homophobie Zeitgeist und nicht „Gott gewollt“ – Hmm?

  5. Ich habe das Aufatmen-Dossier auch gelesen und war ehrlich gesagt enttäuscht. Ich hätte mir mehr Mut gewünscht den theologischen Diskurs wenigstens ansatzweise abzubilden. Auch bei den Erfahrungsberichten wurden (evangelikale) Christen, die ihre Homosexualität leben schlichtweg ignoriert – obwohl es davon nicht wenige gibt.
    Raedel entwirft in seinem Artikel Gegenpositionen ohne genau zu benennen auf wen er eigentlich reagiert. Es gibt für den interessierten Leser keinerlei Referenz, wo man sich mit den Positionen der Diskussionspartner vertieft vertraut machen könnte. Es wird ein Diskurs angedeutet, er wird aber nicht dargestellt. Das finde ich sehr schade, weil man so den Eindruck gewinnt, dass es nicht um eine echte Auseinandersetzung und ein Ringen mit dem Thema geht.
    Danke Peter, dass du sehr schön andere Positionen dazu dargestellt hast. Es ist dringend notwendig, dass der Diskurs auch bei Evangelikalen offener geführt wird. Wir sind es den Menschen schuldig, die Jesus nachfolgen und homosexuell sind.

  6. @Thomas: Ich kann die Enttäuschung gut verstehen und hätte mir wie Du eine breitere Diskussion gewünscht, in der auch die Gegenpositionen ausführlicher dargestellt werden. Egal wo man steht, auf beiden Seiten wird ja ernsthaft nachgedacht und gerungen. Aber vielleicht kommt das noch in absehbarer Zeit. Das Dossier setzt zumindest nicht auf allzu harte rhetorische Abgrenzungen, das ist ja (leider!!!) auch nicht selbstverständlich.

  7. Hallo alle zusammen, ich finde es auf alle Fälle auch sehr gut, dass so ein Thema angepackt wird.

    Ich möchte gerne erst einmal meine Meinung dazu abgeben:
    Für mich steht ein was fest und zwar, dass Jesus definitiv auch für Homosexuelle am Kreuz gestorben ist. Gott vergibt David, als er Ehebruch begeht. Gott will nicht den Tot Kains und schützt ihn mit einem Zeichen, obwohl dieser doch von ihm selbst verflucht wurde. Gott hat mir meine sexuellen Übertretungen (in Bezug auf Pornografie) vergeben. Bei Gott gibt es keine Wertigkeit der Sünde. Homosexuellen steht genauso das ewige Leben zu wie jedem anderen Menschen.
    Ich denke aber auch, dass Gott Mann UND Frau (diese beiden gemeinsam) die Sexualität geschenkt hat ( war es nicht damals auch einfach notwendig, dass Mann und Frau mit einander verkehren? Sonst hätten die Menschen ja nie die Welt bevölkert) aber(!!!) es gehört doch noch viel mehr als nur der Geschlechtsakt dazu.
    Zum einem ist falsch und außerdem auch total sinnlos Homosexuellen vorzuschreiben sie müssten mit ihr Bekehrung sich sofort auf das das jeweilige andere Geschlecht ausrichten. Das ist einfach nicht möglich. Da könnte man auch zu jedem anderen Christen sagen du musst jetzt jeden so lieben wie dich selbst…und mal ehrlich wer schafft das schon und wenn ja, dann ganz bestimmt nicht von jetzt auf nachher.
    Ich denke es ist entscheidend, dass man sich als Homosexueller ehrlich darum bemüht seine sexuellen Vorlieben zu verändern, doch auch diese Veränderung kann nur Gott allein schenken. Wir schaffen nichts aus uns selbst heraus. Wenn man trotz ehrlicher Anstrengung es einfach nicht schafft, dann wird Gott schon seine Gründe dafür haben. Ist es nicht die Beziehung auf die Jesus Wert legt und nicht das Äußere? Wenn eine Frau in einer anderen Frau das selbe finden kann wie bei einem Mann beispielsweise Schutz, Geborgenheit, … (und umgekehrt) und es dabei nicht nur um den Geschlechtsakt geht kann ich persönlich nichts dagegen einwenden.
    Davon mal abgesehen steht es auch nur Gott zu darüber zu urteilen und nicht uns. Ich werde für eine/n Homosexuellen Bruder bzw. Schwester genauso im Kampf des Alltages und des Glaubens einstehen, wie einer/m heterosexuellen Schwester oder Bruder.

    Ich wünsche euch eine gesegnete Zeit

    P.S.: Ich fände es schön wenn sich mal einer der „Betroffenen“ zum Thema äußern könnte, als Außenstehender kann man viel erzählen, wenn man es nicht selbst einmal „durchgemacht“ hat.

  8. Oh ja, der Zeitgeist! Wie sehr ist wohl die gesamte Diskussion davon geprägt? Inwieweit beeinflusst er unsere Bibelauslegung? Gerade beim Thema Sexualität! Denn fast kein anderes Thema wurde in den letzten 30 Jahren unter Christen so emotionsgeladen diskutiert. Daher denke ich, dass es sich lohnt, etwas weiter auszuholen und die Indizien nicht nur aus der Bibel zu sammeln. Dabei ist es übrigens ein äußerst schwaches Argument, dass Jesus die Homosexualität nicht ausdrücklich erwähnt hat!

    Es ist nach meiner Erfahrung die Eigenart jeder christlichen Gemeinschaft oder Organisation, sich ganz bestimmte Bibelstellen heraus zu suchen, die man wörtlich nehmen muss, während man andere nicht zu beachten braucht. Das ist, denke ich, bis zu einem gewissen Maß legitim, so lange man anderen, die das anders handhaben, nicht den Glauben abspricht. Manches ist einfach historisch gewachsen und wurde später nicht weiter überprüft. Manches hat sich auch mit der Zeit als fragwürdig erwiesen, da Gott es offenbar anders sieht. Ich denke da etwa an das Rede- und Lehrverbot für Frauen: Viele Frauen haben ganz eindeutig eine Berufung in ein Lehr- oder Leitungsamt, mitsamt den entsprechenden Geistesgaben. Wie könnten wir also verbieten, was Gott gegeben hat? Nun kenne ich bislang keinen Christen, der in seiner Eigenschaft als praktizierender Homosexueller von Gott in ein Amt berufen wurde. Im Gegenteil: viele Homosexuelle, die ihr Leben Jesus übergeben haben, bekamen vor einer Berufung offenbar vom Heiligen Geist gezeigt, dass ihre Lebensweise nicht nach Gottes Willen sei.

    Ein weiterer Punkt ist für mich die Frage, ob unser Wissen über die Homosexualität den Tatsachen entspricht oder etwa nur dem Zeitgeist entspringt. Dabei erinnere ich mich an ein Buch aus den 1970er Jahren: Der amerikanische Professor für praktische Theologie Jay E. Adams schrieb in seinem Werk Befreiende Seelsorge, das viele anerzogene (oder angeeignete) Verhaltensmuster so sehr in unserem (sündigen, weil weltlichen) Wesen verankert sind, dass man sie nicht von einer angeborenen Veranlagung unterscheiden kann. Dafür spricht z.B. auch, dass man, zumindest bis vor einigen Jahren, anscheinend bei vielen homosexuell „veranlagten“ Menschen gewisse Parallelen in der sozialen Umgebung in ihrer Kindheit feststellen konnte – oft fehlte das männliche Vorbild des Vaters.

    Irgendwann gegen Ende den 1980er Jahre lief in der ARD mal eine Tierdokumentation über Ratten, an die sich merkwürdigerweise keiner mehr zu erinnern scheint. Ich glaube, die Brisanz dieses Filmes war den Verantwortlichen damals noch nicht so sehr bewusst, sonst wäre er wohl nie ausgestrahlt worden: Britische Verhaltensforscher untersuchten das Sozialverhalten der Ratten unter unterschiedlichen Bedingungen. Dabei machten sie Entdeckung, dass homosexuelle Handlungen immer dann vermehrt auftauchten, wenn die Population der Rattenkolonie weit über ein gesundes Maß erhöht wurde. Homosexualität bei Stress durch Überbevölkerung? Also eine Zivilisationskrankheit? Ein Mediziner erklärte mir, dass man von Ratten sehr wohl Rückschlüsse auf menschliches Verhalten ziehen könne.

    Zur Frage der Ehe und Ehescheidung fällt mir noch ein, dass man Prognosen zur Ausbreitung des Aidsvirus bei dessen Entdeckung an die Größe und Ausprägung der Schwulenszene in der Nähe internationaler Flughäfen koppelte. Lebenslange Treue ist unter Homosexuellen nachgewiesenermaßen nicht allzu sehr verbreitet. Manche Aids-Epidemie konnte man tatsächlich in Verbindung mit den Flugplänen einiger weniger homosexueller Stewards bringen!

    Alles in allem möchte ich sagen, dass nach meinem jetzigen Wissensstand die Homosexualität wohl in den allerwenigsten Fällen eine Veranlagung sein kann. Und auch in der Bibel steht, dass sie, wie manche Christen offenbar noch annehmen, keine Krankheit ist. Sowohl das Alte wie auch das Neue Testament bezeichnen sie eindeutig als Sünde. Und eine britische Studie aus den 1950er Jahren (das steht übrigens auch in Nicky Gumbels „Heißen Eisen“, kommt zu dem Ergebnis, das die Lebensübergabe an Jesus auch von homosexueller „Veranlagung“ befreien kann, nicht aber zwangsläufig muss. Problematisch ist dabei höchstens noch die Eigenart von uns Christen, entgegen der biblischen Lehre Sünde in verschiedene Kategorien einzuteilen. Demnach rangiert für Viele die Homosexualität gleich hinter Satanismus und Vatermord – kurz vor der Ehescheidung von Bischöfen! Die meisten von uns sollten sich mal überlegen, was Jesus denn ihnen alles noch zu vergeben hat!

    1. @Andreas Ranze: Danke für den langen Kommentar. Über die Aussagekraft von Rattentests und die Plausibilität des einen oder anderen „Arguments“ (oder Vorurteils?) könnte man nun lang diskutieren. Ich habe mich in diesem Post sehr bewusst auf eine Auslegungsfrage beschränkt, damit es nicht uferlos wird, und wäre dankbar, wenn die Kommentare dem folgen würden. Also nochmal: BItte präzise bei der Sache bleiben!

  9. @Jakob: Hier wäre ein „Betroffener“, der in einer Partnerschaft lebt. Ich bin auch gerne bereit, auf Fragen einzugehen, allerdings ist dafür hier denke ich nicht das richtige Forum. Wenn Du interessiert bist, sag doch mal Peter Bescheid, der darf Dir gerne meine Email weitergeben.

    @Andreas: Ich will jetzt hier dem Wunsch von Peter genügen, und nicht auf eine Diskussion zu Ursachen der Homosexualität eingehen. Das Eine allerdings: Man muss bei diesen Diskussionen (z.B. Promiskuität, oder zu was für Schlüssen Homosexuelle in der Kirche kommen immer auch das Gesellschaftliche Umfeld und was das mit den Menschen macht, einbeziehen. Ich kann nur von mir sprechen und sagen, dass für mich die homosexuelle Veranlagung definitiv etwas „gegebenes“ ist und war (was ich damit mache ist natürlich trotzdem Entscheidung, das ist bei Dir ja nicht anders).

    Allgemein würde ich jedem heterosexuellen, der sich für das Thema interessiert raten, sich mit einem einigermaßen auf seiner Wellenlänge liegenden und am besten in einer Beziehung lebenden Homosexuellen anzufreunden und die Thematik in der Beziehung zu diesem Menschen durchzudenken. Aus meiner Sicht ist das Ganze nämlich zuerst mal ein Thema der Beziehungen und erst danach ein Thema der Theologie. Es wäre ein großes Zeugnis für die Liebe Gottes, wenn sich die Kirche mal mehr an die Seite von Homosexuellen stellen würde. Ich war gestern auf dem Kirchentag in einem Vortrag zu Homosexualität und Alter, wo z.B. zum Ausdruck gekommen ist, dass viele alte Homosexuelle sich sehr vor Einsamkeit und auch vor Diskriminierung in Altersheimen fürchten. Wäre es nicht ein Zeugnis für die Kirche, wenn sie hier klare Worte *für* die Menschen finden würde?

    Sorry Peter, ich bin jetzt doch auch abgeschweift.

    Schöne Grüße

    Schöne Grüße

  10. @Tobias
    Ich würde dein Angebot gerne annehmen, da ich denke, dass eine „Grundsatzdiskussion“ hier im Forum vielleicht nicht ganz das ist, was sich Peter wünscht…ich will dir auf alle Fälle schon einmal danken für deine Offenheit und deine Bereitschaft darüber zu quatschen….

    @Peter
    Ist es dir möglich mir die Email-Adresse von Tobias zukommen zulassen?

    Allen ein gesegnetes Wochenende

  11. @Jakob
    Dann freue ich mich drauf, von Dir zu hören.

    Ich möchte übrigens zu meiner Aussage von Oben noch hinzufügen, dass ich genauso von jedem, der sich für homosexuelle Beziehungen ausspricht auch erwarten würde, dass er sich – wenn möglich – mit einem homosexuellen Menschen anfreundet, der sich aus Überzeugung gegen eine Beziehung entschieden hat. Es soll nicht so klingen, als wollte ich mit dem Beziehungsargument die Diskussion in eine Richtung drücken. 🙂

  12. @Tobias und Jakob: Wenn hier ein persönliches Gespräch in Gang kommt, finde ich das fabelhaft und wünsche Euch einen guten Austausch! Die Mailadresse kommt separat.

  13. @ Olaf Radicke: Ich meine, der zweite Absatz in deinem ersten Beitrag darf nicht unwidersprochen bleiben.
    Ich bin „evangelisch aus gutem Grund“, aber wie du die katholische Sexualethik (die ich übrigens nicht teile) hier darstellst und mit NS-Rassendideologie in Verbindung bringst, finde ich inhaltlich krass verfehlt und den katholischen Theologen und (!) Christen gegenüber (von denen sich zwar viele, aber eben auch nicht alle von der offiziellen Theologie ihrer Kirche distanzieren) verletzend. Es ist wirklich s e h r leicht, die katholische Sexualethik so zu kritisieren, man wird ihr und auch dem eigenen Intellekt damit aber nicht gerecht. Und den Unrechtsdimensionen unter der NS-Rassenideologie erst recht nicht. Wann spricht sich endlich rum, dass die meisten Vergleiche mit der NS-Zeit nur denjenigen inhaltlich disqualifizieren, der sie zur sinnlosen Verstärkung seiner subjektiven Position meint heranziehen zu müssen?

  14. @ Werner: danke für den Einspruch. Ich hatte mich wohl an solche Argumentationsmuster bei Olaf schon etwas zu sehr gewöhnt.

  15. @ Olaf: ich muss mich (ernsthaft) korrigieren: der genannte Vergleich disqualifiziert nicht die Person (also dich), sondern deinen Beitrag und seine Zielrichtung. Die Unterscheidung von Person und Werk soll unbedingt aufrecht erhalten bleiben, sodass der Diskussionsfaden nicht abreißt oder unnötig scharf wird.

  16. @Werner

    Gut, aber worauf läuft des denn hinaus, wenn man die Logik zu Ende denkt?

    Im AT wird über weite Strecken die Auffassung vertreten, das wer viele Kinder und Enkel hat, unter den besonderen Segen Gottes sehen müsse. Genau in der gleichen Logik und im gleichen Geist ist die Genese verfasst ( die zu mindestens in Teilen erst im Babylonischen Exil entstanden ist ). Die Evangelien machen hier ein großen Bruch. Jesus und seine Jünger haben keine (genannten) Kinder und Enkel, sondern verlassen sogar die eigene Familien. Reproduktion ist nicht mehr das (äußere) Zeichen von Gottes Segen. Das kommende Reich Gottes wurde von den Jüngeren unmittelbar erwartet. Und im (Himmel-)Reich waren die Menschenkinder nicht mehr verheiratet (vg. Mt 22:30).

    Warum nun auf einmal wieder der Rückgriff auf das AT?

    Ich wüsste auch nicht wo ich auf die katholische Sexualethik Bezug genommen hätte. Ich wusste noch nicht mal das es eine „katholische Sexualethik“ gibt. Jedenfalls kann ich im praktischen Handeln und Leben eine solche nicht erkennen. Angegriffen hatte ich das verlogene Gehabe homophober Evangelikaler wie Ted Haggard, der von sich sagt, er sei jetzt (nach einer nur drei Wochen) „geheilt“ und wolle jetzt andere Homosexuelle „therapieren“. Ich würde solche Typen als lächerliche Hampelmänner betrachten, wenn sie nicht als enge Berater und Lobbyisten in den Machtzentren der Politik agieren würden. Solche Leute sind für mich eindeutig behandlungswürdiger, als die die Sie gerne „therapieren“ wollen.

    Gruß

    Olaf

  17. @ Olaf: die inhaltliche Bezugnahme auf Ted Haggard hat mir wohl wegen mangelnder Kenntnis nichts gesagt. Was du inhaltlich zur Genesis sagst, trifft aber m.E. auch die katholische Ethik, die ich nicht für ganz so unseriös halte wie du. Ganz gleich, was dir im einzelnen vor Augen stand: deine Kritik an den religiösen Hampelmännern mag zutreffend sein, aber der Vergleich mit der Nazi-Ideologie bleibt in jedem Fall problematisch.
    P.S.: Ich würde die Ansprüche an die ethische Glaubwürdigkeit anderer nicht zu hoch hängen, sowas kann zum Bumerang werden … (Donatismus ist immer noch eine Irrlehre) Olaf: „Gut, aber worauf läuft des denn hinaus, wenn man die Logik zu Ende denkt?“ Mit dieser Frage kann man seinen Gegnern alles Mögliche unterschieben, solange man ihn nicht selbst auf diese Frage eine eigene Antwort zugesteht.

    Die Betonung der Problematik des Umgangs mit AT-Gesetzen ist zutreffend. Trotzdem kann man der Auslegungsmethodik von Christoph Raedel, die ich hier nur im Referat kennenlerne, ein begrenztes Recht zugestehen (zumindest im Ansatz, nicht in den Konsequenzen, die er daraus ableitet). Es entspricht durchaus der Eigenart des Heiligkeitsgesetzes, diverse Rechtsnormen nebeneinander zu stellen, die aus heutiger Perspektive nicht in denselben Rechtsbereich gehören. Oftmals wird erst in der Gesamtstruktur der biblischen Rechtstexte und (!) durch Interpretation ein zugrundliegendes Prinzip, eine der Sammlung Sinn gebende Logik deutlich. Dass aus heutiger Sicht die Zusammenstellung und prinzipielle Parallelisierung von Homosexulität mit Sodomie u.a. Praktiken unannehmbar ist und nur gefährliche Vorurteile bedient – geschenkt! Die exegetisch saubere und weiterbringende Analyse gelingt hier nur, wenn der Bibelarbeiter ausreichend intellektuelle Distanz und Offenheit zum Bibeltext und eine wenigstens ansatzweise Solidarität mit den „betroffenen“ Menschen hat; nur so werden merkwürdige Kurzschlüsse, die oben schon kritisiert wurden, vermieden. Hermeneutik ist eine Haltung … Es muss hier alles gegen eine bloße „Belegstellen“-Methodik getan werden, die aus der Bibel ein einfache-Lösungen-Buch macht.

    Mich interessiert hier (mehr als die AT-Texte) eine eingehendere Wahrnehmung der Textpassagen aus Römer 1. Wer hat dazu etwas Weiterführendes?

    Eine zentraler Fragenkomplex, um den für mich dieses Thema kreist: Führt eine biblische fundierte Einschätzung von Homosexualität als Abweichung / Sonderform zugleich dazu, daraus unmittelbare praktische Konsequenzen (Abstinenz etc) ableiten zu müssen? Der theologische Weg des Römerbriefes müsste demzufolge nach Kapitel 3 sofort in moralische Imperative umschlagen. Tut er aber nicht. Die Dynamik von Gesetz und Evangelium wäre damit auch verfehlt.
    Das sind nur Gedankensplitter und Gedankenanfänge …

  18. @Peter: Interessant, dass noch jemand anderes diesen Gedanken hat. Ich habe darüber auch nachgedacht und könnte damit gut leben. Aber da ich diesen Gedanken nirgends sonst gelesen habe, dachte ich, das ist wohl ein bisschen zu abstrus.
    Interessanterweise habe ich erst vor ein paar Tagen ein Kommentar von einem Katholik gelesen, der über die Lehre der katholischen Kirche etwas ähnliches behauptet hat. Manchmal würde ich mir bei den Jungs wünschen, dass sie mal klar über ihre Lehren und ihre Gedankenschritte in der Öffentlichkeit sprechen würden, anstatt nur ihre Endergebnisse rauszuhauen (und das dann noch ohne jede Sensibilität).

  19. @Tobias: Manche würden vielleicht auch eine Parallele zwischen der (spitzfindigen?) Auslegung des Rabbis und Bill Clintons Theorien aus der Lewinsky-Episode ziehen. Andererseits: Wenn man die Bibel wörtlich nehmen will, gibt es offenbar immer noch unterschiedliche Möglichkeiten.

    James Alison ist ein ganz feiner Theologe. Ich werde das mal in Ruhe lesen.

  20. @Peter: Interessant, dass Du James Alison kennst. Ich bin jetzt erst durch Dich auf den Gedanken gekommen, dass das nicht einfach nur irgendeine Privatperson ist. 🙂

    Den werde ich mir nochmal genauer anschauen. Ich habe vorhin mal noch seinen „Brief an einen jungen schwulen Katholiken“ unter http://www.jamesalison.co.uk/texts/de52.html gelesen, der mich sehr bewegt hat. Woher kennst Du ihn?

  21. @ Peter: Wollt bloß mal nachfragen, ob ich die Mail mit der Emailadresse von Tobias bloß verschlampt habe oder ob du noch nicht dazu gekommen bist sie mir zu schicken

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