Gott, die Gewalt und das Leben

Viel Staub aufgewirbelt hat vor ein paar Wochen der Republikaner Richard Mourdock, der für den US-Senat kandidierte und im Zuge dessen erläuterte, warum er Abtreibungen nach einer Vergewaltigung für rechtlich nicht zulässig hält. Hier sein Statement:

„I struggled with it myself for a long time, but I came to realize life is that gift from God. I think that even when life begins in that horrible situation of rape, that it is something that God intended to happen.“

Ich habe lange mit mir gerungen, aber mir wurde klar, Leben ist ein Geschenk Gottes. Ich denke, selbst dann, wenn es in der schrecklichen Situation einer Vergewaltigung entsteht, wollte Gott, dass es geschieht.“

Für eine Frau, die vergewaltigt und als Folge davon schwanger geworden ist, ist so ein Satz eine Zumutung. Ihr kann man nur sagen, dass Gott es auf keinen Fall wollte, dass sie vergewaltigt wurde. Alles andere wäre verantwortungslos. Daher völlig zu Recht die heftigen Reaktionen der Öffentlichkeit auf Mourdocks Worte.

Nun sind wir hier aber auch wieder bei der Frage, inwiefern Gott – und sei es auch nur mittelbar – zum Komplizen von Gewaltverbrechen gemacht werden darf. Es gibt eben eine unselige Tradition im Christentum, die Gott durch unbedachte Rhetorik in zum Mitwisser oder gar Auftraggeber von Gewalt macht. Das ist das große Manko der Opfer-Analogie, dass sie in diese Richtung neigt, insofern sie suggeriert, Gott mache ein solches blutiges Opfer zur Bedingung für seine Vergebung.

Es ist zum Beispiel eine Sache, zu sagen, dass der Tod Christi am Kreuz das fast zwangsläufige Resultat der Zuspitzung seines Verhältnisses zu den einflussreichen Gruppen im Judentum und den römischen Besatzern war – und insofern geschehen „musste“. Ähnlich wie es in anderen Martyrien alles andere als überraschend kam, dass Blut eines Unschuldigen vergossen wurde. Aber wir können kaum mehr sagen, als dass Gott das Leiden und den Tod Jesu weder angeordnet noch verübt, sondern bestenfalls in Kauf genommen hat, um damit ein Zeichen des Protests gegen Folter und Gewalt zu setzen und den ersten Schritt zu deren Überwindung zu tun – sofern wir Gewalt an sich nicht irgendwie heiligsprechen wollen. Zugleich verbietet sich aber auch der (oft auch zur Verteidigung der eben skizzierten Ansicht angeführte) falsche Umkehrschluss, Jesu Tod sei sonst ja lediglich ein dummer Zufall und damit sinnlos.

Nun hat Mourdock natürlich auch insofern Recht, als er das Leben als Geschenk Gottes bezeichnet. Wenn er – statt mit einem traumatisierten Opfer sexueller Gewalt – nun mit einem Menschen reden würde, der gerade erfahren hat, dass er alles andere als ein Wunschkind war, der also mittelbar selbst Opfer dieser Gewalt und ihrer Folgen ist, dann wäre es ebenso falsch, diesem Menschen den Eindruck zu vermitteln, er sei aufgrund dieser Vorgeschichte von Gott „nicht gewollt“.

Aber vielleicht liegt die Antwort auf die Frage nach dem Sinn unserer Existenz ohnehin weniger in der Vergangenheit (die sich in dem Fall einfach nicht schön reden lässt), sondern in der Gegenwart, indem die betroffene Person hier und jetzt Menschen hat (oder findet), in deren Leben sie eine wichtige Rolle spielt, und indem sie Gottes bestätigendes „Ja“ hier und jetzt erreicht und die Hoffnung auf eine Zukunft öffnet, in der schließlich alle Tränen abgewischt werden?

Der theologische Punkt, um den es mir hier geht: Wenn wir lernen, wie wir Gottes Handeln in der Weltgeschichte angemessen beschreiben können, dann finden wir vielleicht auch bessere Worte, wenn es um konkrete Lebensgeschichten geht. Und vielleicht schweigen wir dann auch an der richtigen Stelle.

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