Die Kommission für Mission und Evangelisation des Weltkirchenrates hat im vergangenen Jahr ein Papier erarbeitet, das einen breiten Konsens in dieser Frage widerspiegelt und zeigt, wie viel sich gerade in der Missionstheologie und -praxis getan hat. Der Titel lautet Together Towards Life: Mission and Evangelism in Changing Landscapes oder Gemeinsam für das Leben: Mission und Evangelisation in sich wandelnden Kontexten.
Dieses Missionsverständnis könnte, wenn sich alle darauf einließen, den Konflikt zwischen den „Frommen“ und den „Politischen“ beilegen, wie Landesbischof Bedford-Strohm in seinem Facebook-Feed vom 4.11. schrieb. Noch sind dazu nicht alle bereit: Für Rolf Hille, den Direktor für ökumenische Angelegenheiten der Weltweiten Evangelischen Allianz, ist das Papier eine glatte „Katastrophe“, wie idea jüngst berichtete. Dagegen stellte Thomas Schirrmacher, der Vorsitzende der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz, das Papier in Busan mit vor und äußerte sich positiv zu dem Gesprächsprozess zwischen Evangelikalen und Ökumenikern.
Während also in der WEA – die hat sich inzwischen in einem offenen Brief von Hilles Aussagen distanziert und sie als dessen Privatmeinung bezeichnet – noch um eine gemeinsame Position gerungen wird, kann sich jeder selbst ein Bild vom aktuellen Missionsverständnis machen, zumal in der Zwischenzeit ja auch in der katholischen Kirche durch das Dokument Evangelium Gaudii deutliche Akzentverschiebungen stattgefunden haben. Entstehen durch solche Paradigmenwechsel nun neue Gemeinsamkeiten?
Die Erklärung des ÖRK (ich verwende im weiteren das Kürzel TTL) beschreibt Mission so:
Der dreieinige Gott lädt uns zur Teilnahme an seiner Leben spendenden Mission ein und schenkt uns die Kraft, Zeugnis von der Vision eines Lebens in Fülle für alle angesichts des neuen Himmels und der neuen Erde abzulegen. (aus TTL 1)
Mission ist die Bewegung der sich trinitarisch entfaltenden Liebe Gottes durch die Welt und ihre Geschichte:
Mission beginnt im Herzen des dreieinigen Gottes. Die Liebe, die die Personen der heiligen Dreieinigkeit zusammenhält, durchströmt die gesamte Menschheit und Schöpfung. Der missionarische Gott, der den Sohn in die Welt sandte, beruft das ganze Volk Gottes (Johannes 20,21) und gibt ihm die Kraft, eine Gemeinschaft der Hoffnung zu sein. Die Kirche erhält den Auftrag, das Leben zu feiern und in der Kraft des Heiligen Geistes Widerstand gegen alle Leben zerstörenden Kräfte zu leisten und sie zu verwandeln. (aus TTL 2)
Mission ist ohne Spiritualität undenkbar, und Spiritualität bedeutet immer Umgestaltung, Veränderung und Erneuerung. Insofern geht es bei Mission immer schon um eine umfassende Transformation des einzelnen, der Kirche und der Welt:
Leben im Heiligen Geist ist das Wesen der Mission, der eigentliche Grund, warum wir tun, was wir tun, und wie wir unser Leben leben. Diese Spiritualität verleiht unserem Leben eine tiefe Bedeutung und treibt uns zum Handeln an. Sie ist eine heilige Gabe des Schöpfers, die Energie, die uns Kraft gibt, für das Leben einzutreten und es zu schützen. Missionarische Spiritualität hat eine dynamische Transformationskraft, die durch das geistliche Engagement von Menschen in der Lage ist, die Welt durch die Gnade Gottes zu verwandeln (TTL 3).
Das Evangelium und mit ihm die Sendung Christi gilt nicht nur dem individuellen Sünder, der vor dem Gericht Gottes gerettet werden muss, sondern der ganzen Schöpfung, die vor Tod und Zerstörung gerettet werden soll. Hier wittert Hille den Verrat an der lutherischen Gnaden- und Rechtfertigungslehre – aber war die vielleicht eine kontextuell bedingte Engführung des Spätmittelalters, die manche inzwischen lebenswichtig gewordenen Aspekte der biblischen Botschaft ausblendete? Hier jedenfalls geht es um mehr als das sprichwörtliche „Seelenheil“:
Gott sandte den Sohn, um nicht nur die Menschheit zu erlösen oder eine partielle Erlösung zu bringen. Das Evangelium ist vielmehr eine gute Nachricht für jeden Teil der Schöpfung und jeden Aspekt unseres Lebens und unserer Gesellschaft. Es ist daher entscheidend, Gottes Mission in einem kosmischen Sinne zu verstehen und zu bekräftigen, dass alles Leben, die ganze oikoumene, in Gottes Netzwerk des Lebens miteinander verbunden ist. (TTL 4)
Es folgen Gedanken zur Verlagerung des Schwerpunkts der Weltchristenheit in den globalen Süden und der stärker pfingstlich/charismatischen Prägung dort. Die Richtung der Mission kehrt sich um, aber nicht nur geographisch, sondern auch sozial – Mission von den Rändern hin zum Zentrum. Und dann folgt ein kämpferischer, theopolitischer Satz: Mit den Armen zusammen geht es darum, „den Geist des Marktes zu besiegen“ (vgl. TTL 5-7). Bei allem Engagement führt das aber nicht zu einem verbissenen Missionsansatz:
Evangelisation bedeutet, unseren Glauben und unsere Überzeugungen mit anderen Menschen vertrauensvoll, aber in Demut zu teilen. (TTL 8)
Die Kirche ist eine Gabe Gottes an die Welt, um die Welt zu verwandeln und dem Reich Gottes näherzubringen. Ihre Mission ist es, neues Leben zu bringen und die Gegenwart des Gottes der Liebe in unserer Welt zu verkünden. … Die Kirche als Gemeinschaft der Jünger Christi muss eine inklusive Gemeinschaft werden; ihr Daseinszweck ist es, der Welt Heilung und Versöhnung zu bringen. (TTL 10)
So weit der einführende Teil des Papiers. Mir scheint: Jede Menge missionale Theologie ist hier eingeflossen. Nun bin ich gespannt auf die Einzelheiten. Mission wird im Folgenden unter vier Überschriften konkretisiert:
- Geist der Mission: Atem des Lebens
- Geist der Befreiung: Mission von den Rändern her
- Geist der Gemeinschaft: Kirche unterwegs
- Geist von Pfingsten: Gute Nachricht für alle.
Reichlich Stoff für weitere Blogposts also.