Ein paradoxer Auftrag

Gestern las ich in einer Gruppe mit anderen das vierte Kapitel des Markusevangeliums. Neben dem Wikileaks-Vers („Es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenbar wird, und nichts Geheimes, das nicht an den Tag kommt“) steht dort noch ein anderer verstörender Abschnitt:

Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes anvertraut; denen aber, die draußen sind, wird alles in Gleichnissen gesagt; denn sehen sollen sie, sehen, aber nicht erkennen; hören sollen sie, hören, aber nicht verstehen, damit sie sich nicht bekehren und ihnen nicht vergeben wird. (Markus 4,11-12)

Mit etwas Nachdenken lässt sich diese sperrige Aussage ein bisschen in den Kontext einordnen. Das erste betrifft die Rede in Gleichnissen.Vielleicht ist der Widerstand im dritten Reich eine gute Analogie. Man kann Fremden gegenüber keinen Klartext reden, sondern muss mehrdeutig sprechen. Genau das tut Jesus in seinen Geschichten. Wenn jemand dann aufrichtiges Interesse zeigt, bleibt er dran und kann eingeweiht werden. Wer aus den falschen Gründen Interesse zeigt (weil er ein Spitzel ist), kann auf Distanz gehalten werden und bekommt nichts Verwertbares geliefert. Dass Jesu revolutionäre Botschaft damals lebensgefährlich war, das betont er immer wieder – der letzte Beweis ist das Kreuz.

Es geht also nicht darum, die anderen um jeden Preis draußen zu halten, sondern klug zu reden. Heute kann das Reden in Gleichnissen und geheimnisvollen Bildern aus anderen, entfernt verwandten Gründen sinnvoll sein: Wenn man ständig mit vollmundiger Werbung überschüttet und Appellen aller Art bombardiert wird, ist es umso schöner, wenn man einer Sache nachspüren kann, statt sie abblocken zu müssen. Das macht Gleichnisse auch bei uns wertvoll, wo man nicht von Spitzeln und römischen Soldaten, sondern nur vom Heer Marketingexperten und Verkäufern beschnüffelt und verfolgt wird.

Aber wir lesen hier ja nicht nur von verhüllter Rede, sondern auch von einer schroffen Zurückweisung – wie ist das zu verstehen? Nun, Jesus hat in dem Gleichnis vom Sämann gerade erklärt, wie er arbeitet: Er streut den Samen seiner Botschaft vom Reich Gottes einfach überall aus. Die Reaktionen sind gemischt: An manchen prallt das ohne Reaktion ab, andere finden es vorübergehend unterhaltsam oder sind kurzzeitig begeistert, und manche bleiben dauerhaft dran – hier geht die Saat dann richtig auf, deshalb ist es auch die Mühe wert.

Und nun zitiert Jesus in den oben wiedergegebenen Versen den Propheten Jesaja (6,9-10), der in Gottes paradoxem Auftrag zu einem verstockten Volk – das bekam er gleich vorab schon erklärt – reden sollte. Durchgängig positive „Ergebnisse“ waren also gar nicht zu erwarten. Und hier setzt die Analogie an: Dass Menschen auf Jesus – und dann auch auf seine Jünger – gleichgültig, amüsiert oder gar feindselig reagieren, liegt nicht daran, dass an der Botschaft etwas verkehrt wäre. Sie haben sich nichts vorzuwerfen (es ist freilich auch keine Aufforderung, möglichst viele Leute durch rüdes Auftreten zu verprellen!). Ebenso wenig ist es einfach nur die Schuld der Leute, dass sie so reagieren. Die Jünger brauchen also auch ihnen keine Vorwürfe zu machen, sie fahren einfach fort mit dem, was ihnen aufgetragen ist. Sie brauchen keine Erklärungen zu suchen, sie müssen Desinteresse nicht einmal als Niederlage verstehen. Denn die Ernte wird kommen und reichlich ausfallen. Alles andere, sagt das anschließende Gleichnis von der selbstwachsenden Saat, können sie ruhig Gott überlassen. Sie müssen es sogar.

(Wie das konkret aussieht, zeigt uns Paulus: Er stieß in den Synagogen mehrheitlich auf Ablehnung, zum Teil fiel sie sehr heftig aus. In Römer 9-11 beschreibt er, wie das Evangelium an Israel abprallt und zu den „Heiden“ kommt. Doch damit ist Gottes Ziel noch nicht erreicht. Denn Israel ist aus dieser Perspektive keineswegs für alle Zeiten „verloren“, sondern nur vorübergehend. Am Ende hebt Gott diese Blockade, die er selbst zugelassen hat, auf. Er wendet alles zum Guten und ebnet den Weg für das ganz große Finale, das Bankett aller Völker und Nationen. Dann wird ganz Israel mit am Tisch sitzen. Und wer weiß, wer noch alles dabei ist…)

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5 Antworten auf „Ein paradoxer Auftrag“

  1. Danke, Peter, für diesen Beitrag. Er ist mir eine wertvolle Hilfe für tiefgehende Gespräche. So klar möchte auch ich meine eigene Erkenntnis gerne formulieren.

  2. Ich sehe da keinen paradoxe Auftrag, sondern eher ein Statement Jesu: Ich bin zu den Juden gesandt gewesen, aber sie haben mich nicht angenommen, Daher rede ich zu ihnen nur in Gleichnissen. EUCH (Jüngern) erkläre ich die, aber die anderen müssen rätseln.

    –> 2Kor 3,14 Aber ihre Sinne wurden verstockt. Denn bis auf den heutigen Tag bleibt diese Decke unaufgedeckt über dem Alten Testament, wenn sie es lesen, weil sie nur in Christus abgetan wird.

  3. @Ralf.
    Mir geht es um mehr: Die Jünger waren von Jesus in die Welt gesandt, aber auch hier erleben sie Ablehnung bis auf den heutigen Tag. Die Decke ist nicht nur vor den Augen der Juden, sondern sehr oft auch vor den Augen derjenigen, die sich Christen nennen und sich im Besitz der vollen Wahrheit wähnen.
    Es ist mir ein sehr großer Trost, dass eines Tages die Meinungsverschiedenheiten, die wir in guter Meinung im Namen Jesu aufrecht erhalten, enden und wir versöhnt an seiner Festtafel beisammen sein werden.
    Bis dahin darf ich auch meine Freunde lieben, die Jesus noch nicht erkannt haben, und muss mich nicht um ihr „Seelenheil“ zersorgen (mal ganz untheologisch gesprochen).

  4. Eine andere Deutung wäre, das Jesus damit andeutet, das der /Innere Christus/ ohe Gleichnisse direkt zu einem Spricht (ohne Worte). Und das der pythsische Jesus/Christus in Gleichnissen spricht, wenn er sich der /physischen Übermittlng/ bedient. Ich denke da an Joh. 16,25 . Und hier redet er zu den Jünger und nicht nur zum „einfachem Volk“!

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