Eifer und Ernst

Im Gegensatz zum Thema Hölle, das viele sehr beschäftigt hat in den letzten Wochen, weil Hölle im Neuen Testament nicht als metaphysischer Ort erscheint, in dem Gott als eine Art jenseitiger KZ-Aufseher erscheint (oder diese Aufgabe an den Teufel delegiert – was jedoch auf dasselbe Gottesbild hinausliefe), stellt sich die Frage nach dem letzten Gericht viel unübersichtlicher dar. Ich schlage gerade Schneisen durch den Dschungel der Bibelstellen und theologischen Meinungen und finde hier und da eine Liane, an der ich mich ein Stück weiter schwingen kann und dabei das Terrain von oben betrachten.

Immer wieder aber begegnet mir bei anderen (und wenn ich ehrlich bin, auch bei mir selbst) die Sorge, dass ein zu nettes und harmloses Bild von Gott als Richter sich nachteilig auf den moralischen Ernst („Wofür strenge ich mich eigentlich an?“) und den missionarischen Eifer („Warum soll ich denen was erzählen?“) auswirken könnte.

Nun kann man sich Gott gewiss zu nett und harmlos vorstellen, als passiven Softie, der zu allem gütig nickt. Und hätte damit seine Liebe missverstanden, die Rich Mullins so schön als reckless raging fury bezeichnet. Und irgendwo da liegt auch die Antwort auf die Frage nach dem Eifer und dem Ernst: Gott erwartet, dass ich das Gute aus Liebe tue, und nicht, um dem Gericht zu entkommen. Und dass ich anderen das Evangelium nicht vorenthalte aus Liebe zu ihm und zu ihnen. Und nicht, weil sie sonst in der Hölle schmoren (nachdem sie bis dahin noch ein paar Dinge getan haben, für die mir aus Angst vor Gott und seinem Gericht der Mut und die Dreistigkeit gefehlt haben?).

Könnte die Liebe als Motivation also nicht vielleicht doch ausreichen?

Share

13 Antworten auf „Eifer und Ernst“

  1. Ich denke nicht nur, dass das sein könnte, dass die Liebe ausreicht, sondern man im Hinblick auf die Anmerkung, dass wir doch ein wenig Druck und Strenge brauchen, auch fragen könnte, ob in dem Fall die unendlich große Liebe Gottes, die wie sein Frieden wirklich alles übersteigt, was in unseren Herzen und Köpfen Platz hat, wirklich ernstgenommen ist.

    Oder anders gesagt: Könnte es denn überhaupt noch etwas nach dieser Liebe geben, das man noch obendrauf setzen könnte, um das Ganze noch zu toppen? Vielleicht höchstens dann, wenn man sehr einseitig von Liebe spricht, die die Facetten des richtenden, eifersüchtigen Gottes nicht fassen kann. Insofern könnte man die Sorge um Moral und Mission auch so deuten, dass eigentlich gemeint ist, dass der Liebes-Begriff nicht umfassend genug gedacht wird.

  2. Erscheint die Hölle im NT tatsächlich nicht als metaphysischer Ort?
    Zumindest in dem Sinne des „ewigen Strafgerichts“ legt das äth. Henochbuch das durchaus nahe. Hier wird (v.a. Kap. 21 ff) das Endgericht in sehr bildhafter Form (inkl. Feuer, Schwefel usw.) dargestellt – zum ersten Mal in der Geschichte des Judentums, aber noch deutlich vor Jesus (in der Regel datiert auf ca. 100 v.Chr. und unter anderem zitiert auch im Judasbrief).
    Gehenna ist damit im jüdischen Verständnis möglicherweise nicht nur die städtische Müllkippe, sondern der (zwar immer noch reale und nicht jenseitige) Ort des Endgerichts, der aber dennoch für das ewige Strafgericht Gottes steht.
    Hat sich mal jemand intensiver mit der Materie befasst, wann die Höllenvorstellung (v.a. unter dem Schlagwort Gehenna) in das Judentum Einzug gehalten hat.
    Ansonsten fand ich die Predigt, die hier empfohlen wurde sehr interessant und hilfreich.

    Zum aktuellen Thema habe ich aber auch noch einen Satz:
    Ich denke, dass ein Problem darin liegt, wie sich Gottes Liebe zeigt. Wenn ich an die Hölle in herkömmlicher Sicht glaube, dann zeigt sich die Liebe Gottes dadurch, dass er mich davon errettet.
    In der Predigt Jesu vom Reich Gottes hingegen zeigt sich die Liebe Gottes doch eher in der ganz praktischen im Alltag erfahrbaren Hinwendung zu den Menschen.
    Wenn ich die Hölle predige, muss ich also nur darauf verweisen, dass Gottes Liebe darin besteht vor derselben zu retten. Und meine Rolle als „Liebesbote“ besteht darin, die Menschen darauf aufmerksam zu machen und „zu diesem Glauben zu führen“.
    Wenn ich nicht die Hölle predige, dann besteht meine Aufgabe als „Liebesbote“ möglicherweise eher darin, diese Liebe Gottes für die Menschen erfahrbar werden zu lassen.
    Das war jetzt vielleicht noch etwas unsauber und verworren, aber vielleicht kann es trotzdem ein Ansatz zum Weiterdenken sein.

  3. @ Ralf: Vielleicht haben der Judasbrief (der ist schon sehr schräg manchmal, oder?) und der äthiopische Henoch gewisse Parallelen, aber für das übrige NT sind diese Dinge m.E. eher untypisch – was man schon daran sehen kann, das Johannes und Paulus ohne sie auskommen.

    Dein zweiter Gedanke erscheint mir inkonsequent. Wenn Gott die Hölle extra eingerichtet hat, um mich vor ihr retten zu können, dann hätte ich ein echtes Problem damit, dieses Verhalten willkürlicher Einschüchterung als Liebe zu beschreiben.

    Die Hölle in „herkömmlicher Sicht“ ist ja gerade gar nicht herkömmlich, sondern ein ursprünglich nebensächlicher Aspekt, der im Laufe der Zeit und nicht ganz ohne Machtkalkül aufgeblasen und zur Hauptsache stilisiert wurde. Aus dem NT kommt sie jedenfalls nicht so ohne weiteres her. Eher erinnert sie an Platon, wo nach dem Tod und dem folgenden Gericht die (körperlosen) Seelen entweder in den Tartaros wandern oder auf die Inseln der Seligen.

  4. Was sagt denn NTW in Suprprised by Hope? Hast Du das gelesen? In seinen anderen Werken tastet er sich immer nur an das Thema ran, indem er davon spricht, daß Gott alle richten und einige rechtfertigen (justificate) wird. Da deutet er einen doppelten Ausgang an…

  5. Ich bin gerade dabei, Suprised by Hope zu lesen. Bis jetzt keine neuen Erkenntnisse. Aber der Tipp mit Platon und dem Tartaros ist aus NTW, The Resurrection of the Son of God. 🙂 Einflüsse von da zum Henochbuch wären durchaus denkbar.

    Grottenschlecht fand ich dagegen Max Lucado, Wenn Christus wiederkommt. Er hat zwar viele nette Geschichtchen, aber was er damit illustriert, ist einfach schwach – nur die alten frommen Stereotypen, die sich bei genauerem Hinsehen nicht halten lassen. Ich hoffe mal, seine anderen Bücher sind besser. Oder verkaufen sie sich gerade deswegen so gut, weil sie die herrschenden Meinungen Vorurteile bestätigen?

  6. @Peter: Was meinen zweiten Gedanken angeht, hast du mich – glaube ich – Missverstanden. Ich habe ja gerade ein Problem damit, „die Hölle in herkömmlicher Sicht“ zu verstehen (und bin mir der Problematik des Begriffs „herkömmlich“ dabei bewusst. Viele evangelikale Christen verstehen die Liebe Gottes aber nach meiner Erfahrung so. Die Herausforderung besteht dann eben darin, die Liebe Gottes Gestalt werden zu lassen.

    Zur Hölle im NT: Auf mein wesentliches Argument bist Du nicht eingegangen, vielleicht auch, weil ich schlecht formuliert habe. In der angesprochenen Predigt erinnere ich mich daran, dass ein wesentliches Argument die Frage war, wie die Juden seinerzeit Jesu Reden von „Gehenna“ verstanden haben. Und wenn man eine Kenntnis von Henoch (zumindest bei den gebildeten Schriftgelehrten) voraussetzt, dann verstehen sie es eben doch im Sinne eines ewigen Strafgerichtes und nicht im Sinne von „wegwerfen auf die Müllkippe“.
    Was die Schrägheit des Judasbriefes angeht, stimme ich Dir übrigens zu. Er diente nur dazu, zu untermauern, dass das Henochbuch offenbar zumindest zur Zeit der Niederschrift der ntl Schriften durchaus bekannt war.

  7. Ah, ja, jetzt kapier‘ ichs. In jedem Fall ist Gehenna ja auch bei Jesus ein metaphorischer Begriff. Nur muss man mit N.T. Wright im Kontext von Jesus vielleicht auch eher von einem innergeschichtlichen Gericht (bzw. Verwerfung) ausgehen, das passt besser zu seiner übrigen Gerichtsbotschaft.

  8. Also ich verstehe dein Anliegen sehr gut. Ich bin damit aufgewachsen, sozusagen eschatologisch motiviert zu evangelisieren, nach dem Motto: ,Wenn du nachher aus dem (Missions)Zelt raus gehst und dann überfahren wirst, dann ist es zu spät für dich, dann bist du für alle Zeiten in der ,Hölle‘ verdammt! So komm doch jetzt zu Jesus und warte nicht!‘
    Nun, ich denke diese Art von Mission ist eher zum Abkotzen. Grundsätzlich reicht die Liebe aus. Wenn wir nicht davon getrieben sind, wie der Sohn Gottes getrieben war, aus Liebe zu Vater und zu uns, dann sollten wir daran arbeiten und uns diese Liebe schenken lassen. Mit Hölle drohen, daß ist keine Liebe.

    Dennoch muß Jesus (die Bibel) einen Grund gehabt haben, daß er auf einen doppelten Ausgang hinweist (z. B. Mt 25). Es gibt ein für und ein gegen ihn, mit unterschiedlichem Ausgang. Wo Letzters endet, ob auf der Müllkippe oder sonst wo; nennen wir es einfach Gottesferne, mag zweitrangig sein. Doch dort wo Gott keinerlei Einfluß mehr nimmt (nicht keinerlei Einfluß mehr hat, is ja ein Unterschied) wollte ich jedenfalls nicht sein.
    Sollen wir darüber nicht mehre reden, nicht predigen? Klar, die Frage nach der Art und Weise, die Frage der Motivation stellt immer. Doch gibt es nicht auch liebende Herzen, die hier tatsächlich eine Not haben?
    Darüber hinaus werden ja auch wir oftmals gefragt, nicht wenig von Jugendlichen. Was sagst du, wenn Menschen Dich auf die sogenannte Hölle ansprechen? Eine Müllkippe? Das allein kann es doch nicht sein, oder?

  9. Nein, natürlich muss man davon reden, dass es ein Gericht gibt. Nur wenn man immer schon ganz genau zu wissen meint, wie es ausgeht, ist es ein Problem. Und wenn man dann die enge, angstbesetzte Auslegung damit verteidigt, dass sie aus den o.g. Gründen nötig sei, dann stimmt irgendwas eben nicht mehr.

    Und wie Simon auch fand: Vermutlich müssen wir unsere Vorstellung von Gottes Liebe nach alles Seiten erweitern. Seine Barmherzigkeit könnte für unsere Verhältnisse empörend weit reichen und sein Zorn könnte ehrfurchteinflößender sein, als wir uns das manchmal ausmalen.

  10. @peter: Die metaphorische Verwendung von Gehenna bei Jesus ist einleuchtend, wenn man die anderen Metaphern (Finsternis, etc.) hinzuzieht. Kannst Du das mit dem innergeschichtlichen Gericht bei Jesus nochmal konkretisieren (auch den Zusammenhang zur übrigen Gerichtsbotschaft)? Oder, wenn das zu weit führt, mir genauere Hinweise geben, wo sich Wright mit der Thematik auseinandersetzt?

  11. ja, das wir Gottes Liebe nach allen Seiten erweitern sollten, ist ein unbedingt überlegenswerter Aspekt! … ich verstehe sehr gut was du meinst. Bin echt froh, daß am Ende Gott und nicht wir uber etwas oder jemand zu entscheiden haben. … jedenfalls, wenn Gottes Barmherzigkeit nur so weit reichen würde, wie wir anderen gegenüber Barmherzigkeit zeigen, dann wäre zumindest mir recht mulmig

  12. @ Rüdiger: Ja, auf genau diesen Punkt zielen ja auch die Warnungen im NT ab, z.B. Jak 2,13…

    @ Ralf: Jesus and the Victory of God ist eine komplette Neubewertung der Eschatologie. Kurz gefasst zeigt Wright dort ausführlich, dass (1.) ein Jesus, der ständig von seiner Wiederkunft redet – wo die Jünger noch nicht einmal begriffen hatte, dass er geht – historisch absurd ist, dass (2.) das Kommen des „Herrn“ in vielen Gleichnissen die jüdische Hoffnung auf ein Ende des Exils aufgreift (das für viele nicht beendet war, so lange etwa die Römer Israel unterdrückten und die Priester im Tempel korrupt waren) und dass sich (3.) die sog. „Markusapokalypse“ (Mk 13) ganz stringent als Ankündigung der Zerstörung Jerusalems innerhalb einer Generation (!!!) lesen lässt, die prophetische Gerichtsworte aus den AT kombiniert (und von Babylon auf Jerusalem überträgt).

Kommentare sind geschlossen.