Jason Clark hat unter dem Titel „Hands down, we’re British“ ein paar lesenswerte Gedanken zum Abklingen charismatischer Praxis, die wohl nicht nur die Situation auf der Insel beschreiben. Im Anschluss an eine Umfrage der Zeitschrift „Christianity“ lässt sich Folgendes sagen:
- Die typisch charismatischen Äußerungen sind in öffentlichen Gottesdiensten und Versammlungen rückläufig.
- Oft hat das mit problematischen Erfahrungen, z.B. Übertreibungen und einem gewissen Hype, zu tun.
- Viele Geisterfahrungen haben ruhigere, weniger dramatische und emotionale Formen angenommen.
- Aus Gruppen und unstrukturierten Hauskirchen sind Gemeinden geworden, die eine Ordnung brauchen und auf Außenstehende Rücksicht nehmen.
- Manches wird wohl auch nicht mehr so eingeübt und trainiert wie früher.
Jason sieht darin eine Gegenreaktion auf die Machtspiele charismatischer Leiter und Gruppen und eine Bewegung hin zu einem breiteren und gesünderen Verständnis des Geistes. Das Charismatische muss auch in der emerging culture erneuert und darf nicht aufgegeben werden. Er markiert aber ein paar kritische Punkte:
Gott wird in der Moderne vom Subjekt allen Lebens zum Objekt menschlicher Betrachtung und zum Unterstützer menschlicher Selbstverwirklichung (autopoiesis). Oder, mal ohne Fremdwörter, vom Herrn zum Helfer. Charismatische Erfahrung konnte sich also um meine Erlebnisse drehen und das Leben, das ich mir wünsche. Anbetung wurde zu einem privaten ästhetischen Erleben. Dies führte zu einem therapeutischen Schwerpunkt vieler Gemeinden, der sich dann in einen Rückzug aus der Öffentlichkeit ins Private äußert, wo man (etwa in der post-church-Bewegung) die Bedingungen des eigenen geistlichen Lebens frei bestimmen kann.
Anders gesagt: Bestimmte Akzente (etwa die ziemlich ungebremste Subjektivität dieses Frömmigkeitstypus) waren und sind sehr anfällig für den Zeitgeist der Konsumgesellschaft, der die soziale und öffentliche Dimension des Glaubens unterhöhlt. Wenn man an Pfingsten und die Apostelgeschichte denkt, dann kann gerade das Wirken des Geistes auch in eine ganz andere Richtung führen. Wir müssten nur verstehen, was die Christen damals anders gemacht haben…
Interessant. Ich habe einen Artikel, der argumentiert, dass die Pfingstbewegung auf den Boden der Hochmoderne einen asketischen Zug hat; die charismatische Bewegung hat auf den Boden der Spätmoderne einen hedonistischen Zug.
Ich würde noch eine andere Verbindung ziehen besonders nach der Lektüre der Vineyard Geschichte: die charismatische Bewegung ist im Kontext der Hippiebewegung (oder wie man heute sagt: der Counterculture) zu setzen. Diese setzte der kalten gesellschaftlichen Wirklichkeit Erlebnisse der Unmittelbarkeit (durch Musik, neue Lebensformen und Drogen) entgegen. Ich würde es also nicht Konsum nennen, sondern Eskapismus.
Das mit dem Hedonismus kann ich voll unterschreiben. Und den Bezug zum Eskapismus der Hippies finde ich auch toll beobachtet, der Punkt mit der Unmittelbarkeit hat mich schon immer beschäftigt. 40 Jahre später ist beides, Hippietum wie Charisma, zum Konsumartikel geworden, zumindest an manchen Stellen.
Gott sei Dank, endlich wieder ungestört in der Kirchenbank sitzen können!
Aber auch die frühe Pfingstbewegung suchte Erlebnisse der Unmittelbarkeit. Die ist ja schließlich nicht in Afrika entstanden, sondern im um 1910 schon hochtechnisierten, positivistischen Amerika und Europa. Da war geistig vielleicht auch irgendetwas unausgewogen, defizitär. Um es mit Loriot zu sagen: „Mit dem Gefühl stimmte was nicht.“
Und wenn man sich Wandervögel und Expressionismus anschaut, sieht man, dass sich auch andere so ihre Ventile suchten.
ja, das wäre ein interessante Geschichte, das mal alles nachzuarbeiten…