Auf dem Weg nach Berlin bin ich am Freitag – endlich einmal – in Wittenberg ausgestiegen und habe einen kleinen Rundgang durch die Stadt gemacht: Augustinerkloster, Stadtkirche, Schlosskirche. Zweieinhalb Stunden später kletterte ich nachdenklich in den überfüllten IC.
Im Kopf schwirrten mir die Bilder von den Gräbern in den Kirchen, Gedenktafeln an den sonnenbeschienenen Häusern, Luthergraffitis auf den Schaltkästen der Telekom, Luther Merchandise in den Schaufenstern. Allenthalben traf ich auf die verschiedensten Versuche einer Selbstinszenierung des deutschen Protestantismus, am deutlichsten vielleicht am Turm der Schlosskirche, um den herum in Riesenlettern „ein feste Burg ist unser Gott“ geschrieben steht.
Und das alles in dieser kleinen Stadt, die für ein paar Jahrzehnte Weltgeschichte schrieb und weder zuvor noch seither etwas vergleichbares erlebt hatte – wie auch? Der Schatten des großen Mannes aus Eisleben überdeckt immer noch alles und macht es zu einem großen Museum. Nett für Besucher, aber wie lebt man bloß damit, wenn man dort wohnt?