Das „Tier“ ist zurück

Ist es nicht verrückt: Es gibt einen ganzen Flügel der Christenheit, der sich darauf spezialisiert hat, in allen möglichen und unmöglichen Situationen den Antichristen, das Tier aus der Offenbarung, den nächsten totalitären Herrscher aufzuspüren und davor zu warnen. Auf der Liste der Verdächtigen stehen ganz oben die EU, der Weltkirchenrat, Feministinnen (heute: „Gender Mainstream“). Ach ja, den Islam hätte ich fast vergessen.

Nun erfahren wir seit ein paar Tagen scheibchenweise (schöner Überblick und gute Diskussion z.B. gestern bei Beckmann), mit welcher Gründlichkeit und Dreistigkeit wir alle bespitzelt werden, wie gegen uns alle Material gesammelt wird, aus dem sich mit nur mäßiger krimineller Energie die wildesten Dinge konstruieren lassen. Und wie Kanzlerin und Innenminister die ganze Sache in immer neuen Verharmlosungen und Beschwichtigungen und mit abstrusem Geschwurbel über das „Supergrundrecht“ auf Sicherheit (deutsch: totale Überwachung und Kontrolle) die um ihre Grundrechte betrogenen Bürger für dumm verkaufen.

Ich habe dazu heute „Das christliche Nachrichtenportal“ nach Meldungen durchsucht und bekam zur Antwort: „Ihre Suche nach: snowden ergab 0 Treffer.“

Kann das sein – all die selbsternannten Wachhunde Gottes halten, wenn’s drauf ankommt, brav die Schnauze oder bellen am falschen Baum?

(Nachtrag: „Pixelpastor“ Jörg Dechert schrieb für „Idea Spektum“ diesen Kommentar, Jörg gehört freilich auch sonst nicht zur „Jagt-den-Antichrist“-Fraktion)

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3 Antworten auf „Das „Tier“ ist zurück“

  1. Bin zwar etwas spät dran, wollte mich aber noch kurz für die interessante Verbindung der zwei Themen bedanken, die ich so noch nicht gesehen habe.

    Ich fürchte, es wird schwer im christlichen Umfeld ernsthaften, verbreiteten Protest über diese Einschränkung unserer Grundrechte und die totalitären Tendenzen dahinter zu finden. Vielleicht noch schwerer als im Rest der Gesellschaft?

    Es wäre sicherlich einmal interessant, in diesem Zusammenhang die Verknüpfung zwischen Theologie und Staat in unserem Land zu betrachten. Mein Eindruck ist, es gibt eine gewisse Grundtendenz zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit und zur Erhaltung des Status Quo. Das ist prinzipiell gar nichts schlechtes, nur in diesem Fall kann es zur Einschätzung führen, dass man diese Aktivitäten gar nicht kritisieren darf, ja, dass eine „christliche“ Regierung notgedrungen so handeln muss (s.a. ERF-Fremdschämlink von Daniel). Und zwar durchaus nicht aus sachlichen Gründen, sondern eben aus der Grundtendenz heraus, dass unsere Obrigkeit unbedingt unterstützenswert ist.

    Du hattest neulich im Blog eine Reihe zum Thema, wie das Christentum damals „erfolgreich“ wurde bzw. sich durchgesetzt hat (habe den Titel vergessen). Ein Teil sprach davon, dass sich nach einiger Zeit die ersten Christen sicher eher aus dem „Mittelstand“ rekrutiert haben, denn aus der Schicht der Ärmsten. Das ist in Deutschland scheinbar ähnlich. Vielleicht gibt es auch ein gewisses stillschweigendes Arrangement: Themen wie Macht, Autorität, Machtmissbrauch werden vom konservativen Christentum eher ausgeklammert (stattdessen z.B. lieber Themen wie Sexualmoral angesprochen, die die Mächtigen nicht so sehr berühren) – dafür räumt die Obrigkeit den übrigen Werten des konservativen Christentums mehr Stellenwerte ein.

    Es gelingt mir nicht so ganz, den Gedanken so zu fassen, dass er nicht wie eine krude Verschwörungstheorie klingt, sondern eher wie eine Tendenz – ich hoffe, du verstehst was ich meine.

    1. Danke, Christian, ich versteh’s gut. Das Christentum der „bürgerlichen Mitte“ dürfte damit ganz treffend beschrieben sein.

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