Bußpredigt ohne Absolution

Gestern abend habe ich Hagen Rether hier in Erlangen gehört. Respekt vor der Leistung, knapp drei Stunden lang vor vollem Haus auf einem Drehsessel einen Monolog zu halten! Ein paar Besucher dachten wohl zur Pause, es sei schon Schluss. Im zweiten Abschnitt waren die Plätze links von mir leer.

Vielleicht hat Rether aber manchen nicht nur mit der Dauer der Vorstellung überfordert. Nach ein paar Witzchen über seine Heimatstadt Essen („Wer aus Essen kommt, dem gefällts überall“) und ein paar Erlangen-Siemens-Klischees ging es los mit Kopftuch und Integration. Relativ ernst plädierte er dafür, Kopftücher nicht nur als Zeichen der Unterdrückung zu betrachten. Lacher (eine Dame drei Reihen vor mir ganz besonders schrill) warf in dieser Phase nur die gelegentliche Erwähnung eines gewissen „Sarrasani“ ab. Na gut. Doch als Rether sich an genereller Religionskritik – namentlich Papst, pädophile Priester, Reinkarnation und Dalai Lama – versucht, da tobt der Saal bei jeder noch so plumpen Pointe. Man brauche keine Religion, so Rether. Nett sein reiche völlig, und wie das geht, das wisse schließlich jeder. Konkret: Ethik verbindlich für alle in der Schule, neutrale Religionskunde. Gott habe Humor, der habe schließlich Meerschweinchen erfunden, sagt Rether und mümmelt ins gluchsende Publikum.

Zugleich fällt auf, dass Rether den Islam bei der Religionskritik ausklammert (das Judentum scheint eh tabu). Fürchtet er, von der immer populärer werdenden „Islamkritik“ vereinnahmt zu werden oder gehen Christen und Buddhisten bloß mit Spöttern und groben Karikaturisten ihrer Glaubensinhalte und -gemeinschaften weniger rabiat um? In der ersten Runde bleibt vieles irgendwie schwammig. Die Politiker- und Medienschelte wirkt eher willkürlich. Einerseits versucht er, Lanzen zu brechen für Kachelmann, der „medial hingerichtet“ wurde, und (mehrfach) für Oskar Lafontaine, der allzu oft nur die richtigen Dinge zur falschen Zeit gesagt habe. Fast schon Mitleid erntet Guido Westerwelle, bissige Kritik an der Grenze der Fairness für Schäuble, Merkel dagegen ist aus der Schusslinie. Und irgendwie kommen wir alle immer wieder mal vor, die wir diesen Wahnsinn mitmachen. Joseph Ackermann wird als Blitzableiter des kollektiven Zorns dargestellt und langsam frage ich mich, warum bloß der Papst nicht ebenso in die Kategorie „Presseopfer“ fällt. Vielleicht einfach deshalb, weil Witze auf Kosten alter Männer und klerikaler Pappkameraden zum Anheizen einfach zu gut funktionieren?

Der erste Teil schließt mit einer Parodie auf Grönemeyers „Männer“. Wer frage, wann ein Mann ein Mann sei, sagt Rether, der habe wohl nichts zu tun. Im zweiten Abschnitt wird Rether zielgenauer, die Gags auf Kosten anderer seltener. Er wirft einen Blick auf die verdrängten Schattenseiten der Gesellschaft und unsere misslungenen Versuche, den geschenkten Wohlstand zu sichern. Es geht um Bildung, Energieversorgung, Integration, die fragwürdige Logik legaler und illegaler Drogen, deutsche Waffenexporte und Kriege, Energiesparlampen und Urlaubsflüge. Die Berpredigt und die zehn Gebote kommen ins Spiel – ich staune. Zwischendurch ein paar Akkorde Keith Jarrett mit demonstrativem Geseufze – den Gag hat nicht jeder kapiert, fürchte ich. Gegen Ende ein – nur zum Teil ironisches – Gebet, das in eine sarkastische Vaterunser-Persiflage mündet, die nicht etwa den christlichen Gott, sondern die heiligen Kühe der Konsumgesellschaft vorführt.

Etwas schwindlig ob der vielen und manchmal auch wirklich überraschenden Perspektivwechseln und müder nach dem verbalen Dauerbeschuss verlasse ich den Saal. Im Grunde ist Rether ein moderner Bußprediger. Und er klingt vom Akzent her ja schon ein bisschen nach Ulrich Parzany. Vergebung, so sagte er beim anfänglichen Rundumschlag gegen Religion, sei unnötig. Folglich geht das Publikum des Moralisten auch gescholten, aber ohne Absolution nach Hause. Ich frage mich auf dem Heimweg: Denkt nun tatsächlich jemand um, oder merken die meisten sich schlicht ihre Lieblingswitze und trösten sich damit, als Teilnehmer dieses Rituals kollektiver Zerknirschung zu den ernsthaften, kritischen Zeitgenossen zu gehören, wenn sie am nächsten Morgen in den alltäglichen Wahnsinn eintauchen?Könnte das allmählich angestrengte Absitzen der drei Stunden in stickiger Luft sowie die 17,50 € für die Karte nicht auch wie eine Art Ablass wirken?

Freilich wäre auch Vergebung missverstanden, wenn sie Sinneswandel und Verhaltensänderung nicht fördert, sondern verhindert. Trotzdem frage ich mich: Bringt das Kabarett die zweifellos beabsichtigte Katharsis, oder bleiben die ertappten Lacher dem überführten Publikum zwar nicht im Halse stecken, aber in vagen Vorsätzen, die man im Kreise Gleichgesinnter noch hegt, beim ersten Widerstand aber aufgibt? Hat Gott vielleicht am Ende doch noch mehr drauf als nett sein und Meerschweinchen – und kann man das Evangelium von einem Gott, der auf seine Privilegien pfeift und sich selbst verschenkt, so leichtfertig verzichten?

Share

2 Antworten auf „Bußpredigt ohne Absolution“

  1. Drei Stunden Monolog? Das ist hart.

    Wahrscheinlich verwechselt Rether mal wieder Gott und organisierte Religion.
    Wer Gott kennt, hat trotz aller Schmerzen, die wir mit ihr haben, Hoffnung für den oft trostlosen Haufen Gläubiger, die die Kirche bilden.
    Wer nur Religion erlebt hat, Gott aber nicht kennt, muss fast zwangsläufig zum ätzenden Zyniker werden.
    Was mich eigentlich interessiert: Hat sich Rether jemals die Mühe gemacht, den Gott hinter der Religion zu erkennen

Kommentare sind geschlossen.