Brian McLaren: Anbetung – vorbei am Eigentlichen? Teil 2: Die Inhalte

Im zweiten Teil geht es um den Inhalt unserer Lieder und Liturgie. Brian verweist auf fünf biblische Themenkomplexe, die in moderner Anbetungsmusik kaum vorkommen, aber wichtig sind für eine gesunde und vor allem glaubwürdige Gemeinde.

Wenn es aber beim Liederschrieben nicht primär um eine tiefe, innige Beziehung zu Gott geht, worum sollte es dann gehen? Ich denke, wir täten gut daran, in unseren Texten die folgenden fünf biblischen Themen zu verfolgen, nicht um den Gedanken persönlicher Intimität zu ersetzen, sondern um ihn zu ergänzen, um das Thema in einem weiteren, größeren Bild ausgewogen zu platzieren.

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ESCHATOLOGIE
Ich meine nicht, dass wir den letzten apokalyptischen Roman vertonen sollten. Ich meine die biblische Vision von der Zukunft Gottes, die uns zu sich hinzieht. Viele von euch, die wie ich mit spätmodernen Eschatologien groß geworden sind, finden es überraschend, wenn sie hören, dass sich ein ganz neuer Ansatz in der Eschatologie entwickelt (angeführt von Theologen wie Walter Brueggemann, Jürgen Moltmann, Stanley Grenz und anderen „Theologen der Hoffnung“). Dieser Ansatz ergeht sich nicht in „modernen” Ablaufplänen und wackligen Vorhersagen. Vielmehr taucht er ein in die biblische Poesie des Jesaja, Jeremia, der Offenbarung – Dichtung, die, wenn sie in uns eindringt, Hoffnung sät auf eine Welt, die ganz anders und besser ist als unsere. Und wenn diese Hoffnung in uns wächst und Wurzeln schlägt, werden wir zu ihren Agenten. Wer schreibt Lieder, die die Freude ausdrücken, die wir in Jesaja 9,2-7; Jesaja 25,6-9; Jesaja 35,1-10; Jesaja 58,5-14 entdecken?

Diese Lieder müssen geschrieben werden, weil Menschen Hoffnung brauchen. Menschen brauchen die Vision einer guten Zukunft. Unsere Phantasie braucht Bilder, die den Frieden, die Gerechtigkeit und das Heilsein feiern, auf die unsere trostlose, zerstrittene, verseuchte und zerrissene Welt zusteuert. Wie ihr sehen könnt, ist das viel mehr als unsere Lieder über mich im Himmel, größer als Wolken und ätherische Bilderwelt. Songwriter, grabt in diesen poetischen Texten und lasst euer Herz inspiriert werden, um Lieder der Hoffnung, Lieder voller Vision, Lieder, die in unseren Herzen einen Traum wohnen lassen von einer Zukunft, die allzu lange vergessen wurde – den Traum von der Herrschaft Gottes, die kommt in Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Befreiung und Frieden. Von Gottes Willen, der auf Erden wie im Himmel geschieht.

MISSION
Wenn wir die postmoderne Welt betreten, glauben viele von uns, dann brauchen unsere geistlichen Lieder einen neuen, größeren Sinn für unseren Auftrag. Nicht einfach herkömmliche Mission, und nicht bloß Evangelisation, sondern Sendung. Teilnehmen an Gottes Mission, der Herrschaft Gottes, die so viel großartiger ist als unsere kleinen Pläne zur Selbsterweiterung unserer Organisationen.

Das trifft ins Herz unserer Konsumkultur, in der sich alles um mich, mich, mich dreht. Jesus kam nicht um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen – das sollte auch unsere Mission als seine Nachfolger sein. Unsere Identität als Kirche in dieser neuen, aufkommenden Theologie – die die Schrift mit neuen Augen liest – ist, dass wir Menschen sind, die wie Abraham gesegnet wurden, um ein Segen zu sein: Wir wurden gesegnet, um der Welt Segen zu bringen.

Für zu viele von uns ist die Welt für die Kirche da. Sie ist wie ein Berg, aus dem „Bekehrte“ abgebaut werden, aus denen sich die Kirche erbaut. So hat sich die moderne Kirche das wenigstens vorgestellt. In der neuen, postmodernen Theologie und Spiritualität spiegelt dieser Bergbau-Ansatz nur die buchstäbliche Vergewaltigung und Plünderung der Umwelt durch unsere Industrieunternehmen wider: Die Kirche wird ein weiterer Industriezweig, der sich zum eigenen Profit bedient.

Wie anders ist das Bild einer Kirche als apostolischer Gemeinschaft, in die Welt gesandt als Hände, Füße, Augen, Lächeln und Herz Christi. Wie anders ist ein Verständnis von Kirche, die zum Wohle der Welt existiert, von Jesus gesandt, so wie Jesus vom Vater gesandt wurde.

Wir brauchen Lieder, die diese Dimension der Sendung feiern – gute Lieder, und viele. Um Inspiration zu finden können wir zurückgehen auf die Propheten und die Evangelien, uns auf ihr Herz für die Armen, Bedürftigen und Zerbrochenen einlassen. Und warum sollten diese Themen nicht in Liedern vorkommen? Haben sie diese Würdigung nicht verdient?

HISTORISCHE CHRISTLICHE SPIRITUALITÄT
Wenn wir auf die eintönigen floskelhaften Texte sehen, die Millionen von Christen singen (weil es das ist, was die Songwriter schreiben) bricht einem das Herz über den vertanen Gelegenheiten. Robert Webber, Thomas Odin, Sally Morgenthaler und andere lehren uns, dass es einen Reichtum historischer geistlicher Schriften und Gebete gibt, die nach einer Übersetzung in zeitgemäße Lieder schreien. Jedes Zeitalter der Geschichte hat reiche Ressourcen zu bieten, von den Kirchenvätern über die Kelten zum Pietismus und alles dazwischen. Auf jeder Seite von Thomas a Kempis, in jedem Gebet der großen Heiligen des Mittelalters, wartet die Inspiration auf uns und möchte Eingang finden in unsere geistliche Musik.

EINFACH GOTT
Wir brauchen Lieder, in denen es einfach nur um Gott geht – Lieder die Gott ins Rampenlicht rücken, weil er Gott ist. Nicht für die Glanzleistung, die Gott darin vollbringt, dass ich mich warm, geliebt, gestreichelt oder gut fühle. Sondern einfach nur aufgrund seines Wesens und seiner Herrlichkeit. Und ebenso brauchen wir Lieder, die feiern, was Gott für die ganze Welt tut, nicht nur für mich oder für uns. Lest die Psalmen: Sie feiern so gern, was Gott für die Welt, nicht nur für das Volk Israel, tut. Ähnlich brauchen wir viele Lieder, die Gott den Schöpfer feiern – ein wichtiges Thema in der Schrift, unglücklicherweise aber nicht in den meisten Gemeinden. Weil wir in der modernen Ära einen Mangel an guter Schöpfungstheologie hatten, brauchen wir Theologen, die sich mit Songwritern und anderen Künstlern der sich entwickelnden Kultur zusammentun, um Gott als den Schöpfer zu feiern, nicht nur im Anfang (wann auch immer der war), sondern auch jetzt: der Gott, der jeden Spatz kennt, der fällt, dessen Herrlichkeit auch noch in einem Blitz aufleuchtet, dessen Freundlichkeit immer noch wie der Tau am Morgen fällt, dessen Geheimnisse in den Tiefen des Ozeans und dem weiten Firmament des Nachthimmels abgebildet sind.

KLAGE
Die Bibel ist voller Lieder, die trauern, wie der Blues – Lieder die die herzzerreißende Distanz spüren lassen zwischen dem, was wird erhoffen und was wir haben, was wir sein könnten und sind, was wir glauben uns was wir sehen und fühlen. Die Ehrlichkeit diese Klagen ist störend, und sie enden nicht immer mit einem Grußkarten-Klischee, das den Schmerz behebt. In den Klageliedern spüren wir den Schmerz der chronisch Kranken, der ausweglos Armen, der psychisch Kranken, der Einsamen, der Alten, der Vergessenen, der unterdrückten Minderheit, der Witwe und des Waisen.

Dieser Schmerz muss seinen Weg in unsere Lieder finden, und diese Lieder sollten den Weg in unsere Kirchen finden. Das Bittere wird das Süße nur süßer machen; ohne den bitteren Beigeschmack kann Süße klebrig werden – zu viele unserer Gemeinden, wage ich zu vermuten, schmecken schon längst wie ein Süßwarenladen.

Wird nicht das endlose Singen über den Jubel seine Kraft und auch Glaubwürdigkeit verlieren, wenn wir nicht auch über den Kampf singen? Ist es zu viel verlangt, dass wir ehrlicher werden im Hinblick auf den Schmerz, die Enttäuschung, den Zweifel und das Verlassensein, das Teil unseres Lebens ist? Sollten diese Klagen sich nicht in den Liedern unserer Gemeinschaften widerspiegeln?

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3 Antworten auf „Brian McLaren: Anbetung – vorbei am Eigentlichen? Teil 2: Die Inhalte“

  1. ich mag diese reihe. mir gefällt wie brian hier akzente setzt für eine kultur des lobens und nicht dabei stehen bleibt zu sagen »lobpreis ist vorbei«… danke fürs übertragen.

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