Blutige Erlösung: Die Meta(pher)-Ebene

In den immer wieder aufbrechenden Diskussionen über die Frage, inwiefern die Kreuzigung Jesu von Nazareth eine Heilsbedeutung für die ganze Welt hat, geraten die Ebenen, auf denen wir diskutieren, oft durcheinander. Es geht um ein Ereignis, nämlich die Hinrichtung eines jüdischen Propheten nach einem politischen Prozess in Jerusalem zur Zeit des Passafestes (um nur ein paar wichtige Stichpunkte zu nennen), und um dessen Deutung.

Freilich kehrt sich dieser Zusammenhang für die meisten Christen insofern um, als sie eine bestimmte Deutung schon mitbringen, wenn sie die Ereignisse betrachten. Das führt dann tendenziell dazu, dass man die übernommene Deutung in den Texten wieder entdeckt und nicht auf die Idee kommt, sich noch nach alternativen Schlussfolgerungen umzusehen. Selbst dann nicht, wenn diese in der Bibel stehen, oder der Bibel ähnlich nahe stehen.

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Die bekannteste dieser Deutungen ist die vom stellvertretenden Strafleiden: Jesus erleidet am Kreuz die Strafe für die Sünden entweder der Mensch- oder zumindest der Christenheit (bzw. in der Regel noch präziser: der einzelnen Christen) und macht es damit möglich, dass Schuld aller Art vergeben werden kann. Im Umkehrschluss heißt das, dass eigentlich jeder einzelne Sünder diese grausame, zum qualvollen Tod führende Folter verdient gehabt hätte. Das andere Problem: Die einzige Instanz, die eine solche Strafe verhängen (und einen Deal zugunsten der eigentlich Schuldigen ermöglichen) könnte, ist Gott selbst. Veranlasst hier also der liebende Vater im Himmel die brutale Hinrichtung seines Sohnes? Und hätte das, wenn dieser Tod denn schon „notwendig“ war, nicht etwas humaner ausfallen können? Ist als Gewalt das Mittel der Wahl, mit dem Gott Frieden, Versöhnung und Ordnung in die Welt bringt?

Die Deutungen basieren alle auf Metaphern, also sprachlichen Bildern. Wenn wir heute zum Beispiel in den Nachrichten von einem „Dammbruch“ lesen (weil ein Gericht Sterbehilfe erlaubt, weil die Griechen einen Teil ihrer Schulden nicht zurückzahlen, weil die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte drastisch zunehmen), dann bricht da natürlich keine Mauer und kein Wall und es ergießt sich auch keine verheerende Springflut oder Schlammlawine, es werden geltende Konventionen außer Kraft gesetzt mit entsprechenden Folgen für die gesamte Gesellschaft.

[Gleichzeitig ist die Metapher vom Dammbruch auch ein Bild, das ganz bewusst darauf abzielt, aufzurütteln oder Ängste zu maximieren: Für einen Fundamentalisten ist jeder Akt der Bibelkritik ein „Dammbruch“, weil damit die „objektive“ Autorität der Schrift insgesamt einem Urteil der „subjektiven“ Vernunft unterworfen wird – wer sich also heute fragt, ob die Pastoralbriefe von Paulus geschrieben wurden, der bestreitet morgen die Gottessohnschaft Christi oder rüttelt an den ewig gültigen Fundamenten der Schöpfungsordnung im Sinne der christlichen Ehe und Familie.]

Mit Metaphern ist es wie mit Modellen. Wenn ein (sprachliches, grafisches, dreidimensionales) Modell uns hilft, das Wesentliche an einem Vorgang oder Sachverhalt besser zu verstehen, hat es seinen Zweck erreicht. Der Stadtplan ist dazu da, dass ich den Bahnhof oder das Rathaus finde. Je intuitiver das geschieht, desto besser. Wenn es aber länger dauert, den Plan zu verstehen, als den Weg selbst zurückzulegen (und mich dabei notfalls durchzufragen), dann stellt sich die Frage, wie sachdienlich und wie nützlich mein Modell ist.

Metaphern laden zu Assoziationen ein. Wenn aber die spontanen Assoziationen eher befremdlich als erhellend ausfallen, dann erfüllen sie ihren Zweck nicht. Manche Begriffe und Bilder sind entweder nichtssagend oder verbrannt. Wollen wir also beurteilen, wie nützlich unsere Metaphern sind, dann muss sich das einerseits an den geschichtlichen Ereignissen orientieren, die sie erläutern sollen, und andererseits am Verstehenshorizont der Menschen hier und heute, denen diese Erläuterung gilt. Es gibt zum Beispiel Menschen, für die etwa die Metapher von Gott als „Vater“ genau das Gegenteil dessen anklingen lässt, was sie in den Evangelien meint: eine zugängliche, lebensbejahende, zärtliche und fürsorgliche Autorität. Ich kann nun ausgiebig lamentieren, wie verkommen unsere Gesellschaft ist und wie die verqueren Vorstellungen einzelner Gott im Weg stehen. Ich kann eine teuflische List dahinter vermuten, aber ich kann auch einfach die Metapher wechseln. Vielleicht lässt sich aus einem nicht nur intellektuell, sondern auch emotional geklärten Gottesbild irgendwann auch die Anrede „Vater“ irgendwann erlösen.

Womit wir wieder beim Thema wären.

Fortsetzung folgt

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7 Antworten auf „Blutige Erlösung: Die Meta(pher)-Ebene“

  1. Das Thema des Kreuzes wirft tatsächlich – auch bei mir – viele Fragen auf. Bei der hier angerissenen methodischen Herangehensweise sehe ich aber ein Dilemma: Um Metaphern in Bezug auf Ihre Nützlichkeit einschätzen zu können, muss vorher klar sein, was der „eigentliche“ Zweck und der „eigentliche“ Sachverhalt ist. Das herauszufinden ist aber ja genau das Thema. Wenn ich davon ausgehe, dass es eine Bedeutung hat, dass Jesus besonders brutal durch eine Standard-Hinrichtungsmethode eines Besatzerstaats gestorben ist komme ich zu anderen Ergebnissen als bei einer Verkürzung auf die Formel „Jesus wurde von denjenigen denen er helfen wollte zu Unrecht zum Tode verurteilt“ und es ist mehr oder weniger Zufall/Zeitlicher Kontext wie und durch wen dies konkret passiert ist.

    1. Genau. Es ist sinnvoll, das Ereignis, auf das sich die gängigen Metaphern beziehen, zunächst ohne sie zu beschreiben, so weit das möglich ist. Das habe ich als Aufgabe gemeint, nicht als etwas schon Abgeschlossenes. Im Streit um diese oder jene Metapher jedoch geht das Ereignis selbst schnell unter.

      1. Ja. Darauf (den Blick auf das Ereignis) möchte ich mich einlassen und bin schon gespannt, was dabei an neuen Erkenntnissen kommt.

        Es könnte aber auch sein, dass am Schluss nicht das Wie des Ereignisses wichtig ist, sondern das Dass.
        Um ein Beispiel aus dem Sport zu wählen: Ein detaillierter Spielbericht zu einem Fußballspiel ist schön und interessant. Wirklich wichtig sind aber am Schluss nur die beiden durch einen Doppelpunkt getrennten Zahlen, die das Ergebnis darstellen. Wie die Tore zustande gekommen sind ist im Kontext der Bundesligatabelle grundsätzlich ganz egal und nur für das weitere Training und die nächsten Spiele relevant.
        Ich bin – wie geschrieben – schon gespannt.

  2. Noch ein zweiter Kommentar (da ein anderer Thread): Ohne es zu Ende gedacht zu haben, finde ich es nicht vollkommen abwegig, dass die Menschheit nicht Schulden „bei“ Gott hatte sondern „gegenüber“ Gott. Das würde eine dritte Instanz (eine Art „Gesetz des Universums“, ein „universelles Prinzip“ o. ä.) ins Spiel bringen und das im Artikel erwähnte Dilemma der Frage „Wer hat denn eigentlich bei wem Schulden, die durch das Kreuz beglichen werden“ auflösen.
    Mit einem (sicherlich unzulänglichen) Beispiel könnte man das Prinzip so beschreiben, dass durch menschliches Fehlverhalten eine Art Waagschale ins Ungleichgewicht geraten ist, auf deren einer Seite Gott und auf deren anderen Seite die Menschheit sitzt. Die Menschen könnten dann durch keine eigene Anstrengung die Waagschale wieder ins Gleichgewicht bringen (da sie ja auf der einen Seite sitzen, die gerade oben schwebt). Erst dadurch, dass Gott etwas tut (und damit der menschlichen Seite etwas hinzufügt) gerät alles wieder ins Gleichgewicht.
    Bei näherer Betrachtung lassen sich mit diesem Beispiel sogar noch andere Dinge schön „erklären“ – zum Beispiel die Notwendigkeit der Menschwerdung Jesu.
    Ob’s richtig ist, weiß ich nicht. Aber zumindest finde ich den Gedanken interessant.

    1. Der Gedanke kommt immer wieder mal vor, ich finde ihn aber deswegen schwierig, weil dann ein Gesetz oder Prinzip als eigenständige Größe neben oder gar über Gott zu stehen käme. C.S. Lewis macht das in gewisser Weise im König von Narnia, und Anselm natürlich auch (Dein Waagen-Beispiel – eine andere Metapher und ein ganz anderes „Gesetz“, nämöich die Schwerkraft – geht ja ganz in die Richtung von Anselm). Letztlich läuft das aber doch wieder auf eine Spaltung Gottes hinaus, wenn er unter einem Gesetz steht, das ihn von außen festlegt. Fände ich persönlich jetzt äußerst unbefriedigend, und ich sehe auch keine Aussage im Neuen Testament, die das hergibt.

      Und selbst wenn man das als Annahme so stehen lässt, inwiefern wäre es dann plausibel, dass der Tod eines einzelnen das ganze Schuldenschlamassel so vieler beendet?

      1. < inwiefern wäre es dann plausibel, dass der Tod eines einzelnen das
        < ganze Schuldenschlamassel so vieler beendet

        Nur dann, wenn die Menschen nicht ausschließlich als unabhängige Individuen betrachtet werden, sondern auch als ein gemeinsamer "Vertragspartner"/ein gemeinsames Gegenüber Gottes. Oder – mit einer biologischen Metapher gesprochen – wenn Gott die DNA aller Menschen um eine neue Eigenschaft anreichern (oder ein defekte Eigenschaft reparieren) würde, dann gilt es einmal und für alle.

        1. Ziemlich viele verschiedene Metaphern, um das klar zu machen, oder? Zum Gewicht: Könnte die Menschheit Gott je „aufwiegen“? Zur DNA wäre die Frage: Inwiefern ist der Tod dann Voraussetzung der Genmanipulation und wie pflanzt sich das fort? Da sprengst Du ja alle biologischen Kategorien, oder…?

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