Keine aktuelle, sondern eher doch eine typische Szene: Ich bin auf einer Tagung, vor uns liegen mehrere Stunden Referate und Diskussion. Aber zuvor gibt es eine „Andacht“ (wahlweise werden dafür auch andere Begriffe verwendet), die neben zwei Liedern wieder aus einer Menge Text bestehen wird. Dazu hat sich einer aus der Runde große Mühe gegeben und viel Kluges zusammengetragen, das am Ende dieses langen Tages von noch mehr Klugem zugedeckt sein wird.
Das Frühstück kommt erst noch, ich spüre den niedrigen Koffeinspiegel, der Kopf hat Mühe, den gewählten Worten zu folgen. Aber Schweigen scheint keine Option zu sein, obwohl es das eine ist, was im weiteren Programm nicht auch noch vorgesehen ist. Gern Schweigen im Blick auf eine Kerze oder ein Symbol, gern mit Musik im Hintergrund. Meinetwegen ein Bibelwort, das einfach nur für sich selbst sprechen darf.
Ist das zu schlicht? Oder ist es nicht anstrengend genug? Sollte man Menschen mit Gott nicht allein lassen (würde Gott in die Ruhe hinein sprechen, hätte dann noch jemand den Nerv, sich all die schönen Referate anzuhören? Vielleicht würde er auch jedem etwas anderes sagen)? Oder haben wir vor dem Schweigen Gottes solche Angst, dass wir jede mögliche Leere und jede Pause schon vorab füllen?
Während mir diese Fragen durch den Kopf gehen, rauscht der kluge Text zur Tageslosung an mir vorbei.
Ich glaube das ist ein typisches Protestantisches Phänomen und Problem. Geht man dagegen in eine katholische Messe, kann man jede Menge mitmachen. Angefangen vom sich bekreuzigen mit Wasser aus einer Schale vor dem Gottesdienst, über die Kniebänke, bis hin zum Geruch des Weihrauches bei der Eucharistie.
Gerade weil die Predigt nicht das Wichtigste ist, ist sie manchmal sogar besser als in Evangelischen Gottesdiensten.
Auch die gesungene Liturgie, die ich in den letzten Jahren immer mehr schätzen gelernt habe (und die es vor allem im Luthertum Gott sei dank noch gibt), trägt manchmal mehr zur Gottesbegegnung bei, als intellektualisierende Andachten und Predigten.
Ich glaube, wir müssen uns aufmachen, mehr Formen und Sinnlichkeit in unsere Gottesdienste zu integrieren. Dann würden wir Protestanten vielleicht auch nicht nur Gymnasiasten ansprechen.