Man könnte meinen, diese Zeilen seien unter dem Eindruck von Prism und der erschreckend unbeholfene Haltung der Bundesregierung zu den Lauschern der NSA entstanden. Tatsächlich hat Richard Sennett das schon vor mehr als 30 Jahren formuliert, und das digitale Zeitalter hat nichts daran geändert:
Das Bedürfnis nach Autorität ist elementar. Kinder brauchen Autoritäten, die sie anleiten und die ihnen Sicherheit geben. Erwachsene erfüllen einen wesentlichen Teil ihrer Erwachsenenrolle, indem sie Autoritäten sind; es ist dies eine Form, Anteilnahme an anderen zum Ausdruck zu bringen. Immer wieder begegnet uns die Angst, dass wir dieser Erfahrung beraubt werden könnten. Die Odyssee, König Lear und Buddenbrooks – alle diese Werke handeln von der Schwächung oder vom Zusammenbruch von Autorität.
Heute allerdings verbinden sich mit der Autorität auch eine andere Angst – die Angst vor der Autorität. Wir sind dahin gelangt, den Einfluss der Autorität als Bedrohung unserer Freiheiten zu fürchten – innerhalb der Familie ebenso wie in der Gesellschaft. Und das Bedürfnis nach Autorität verdoppelt diese moderne Angst: Werden wir unsere Freiheiten aufgeben und uns in tiefste Abhängigkeit begeben, weil wir so sehr darauf aus sind, dass sich jemand um uns kümmert?