Des Kaisers neue Kompetenzen?

Neben der unsterblichen Transrapidrede ist Edmund Stoiber ja auch durch das beliebte Schlagwort „Kompetenz“, im Stoiber-Sprech wurde daraus sogar zwischenzeitlich „Kompetenzkompetenz“. Stoiber warf die Frage auf, wer die wohl hat.

Kürzlich sprach ich mit zwei Lehrerinnen über die Ausrichtung des Lehrplanes an Kompetenzen. Erst mal leuchtet der Gedanke ja ein, dass nicht nur Wissen („totes Faktenwissen“ heißt es dann) vermittelt werden soll, sondern Schüler und Studenten tatsächlich etwas können sollten. Freilich ist es wichtiger, lesen zu können, als den Inhalt dieses oder jenes Buches aufsagen zu können. Aber ganz so einfach ist das wohl nicht, wenn man weiter denkt.

Im Laufe des Gespräches erinnerte ich mich an mein erstes Semester Theologie und einen Professor, der damals schon kritisierte, dass Bildung, die darauf abzielt, jedem ein möglichst eigenständiges Urteil zu ermöglichen, immer mehr zur Ausbildung verkommt, die Menschen dazu bringt, zu funktionieren. Ausbildung aber ist verzweckte Bildung, in der messbare Effizienz- und Nützlichkeitserwägungen andere Bildungsziele wie die freie (also ergebnisoffene) Entfaltung der Persönlichkeit oder zweckfreie Neugier, die für Aristoteles noch der Ursprung der Philosophie war, zu verdrängen drohen.

Also habe ich mich nach kritischen Gesprächspartnern umgesehen. Der Literaturwissenschaftler Jürgen Gunda schreibt etwa ganz treffend über einen Kompetenzbegriff, der das Wissen hinter das „Können“ zurückstellt:

Auf der Seite des Wissens haben wir Komplementärbegriffe wie Neugier, Erkenntnis, Interesse oder Reflexion. Auf der des Könnens aber steht die gezielte Etablierung von Wiederholungsroutinen und Kontrollmechanismen. Gewährleistet werden soll die spontane und situationsgerechte Abrufbereitschaft erworbener Kenntnisse für Entscheidungsprozesse und Handlungen.

Freilich ließe sich auch all das Vernachlässigte in Kompetenz-Sprech umformulieren, oder, netter formuliert, in einen umfassenderen Begriff von Kompetenz integrieren. Fraglich ist, ob das im aktuellen Diskurs über Kompetenz in der (Aus)Bildung gewünscht wird, oder ob dort ein reduktionistischer, ökonomisierter Kompetenzbegriff dominiert. Gunia verweist darauf, dass die im Management geforderte Kompetenz meist im Kontext von globaler Konkurrenz und dem sich verschärfenden Kampf ums Überleben erscheint und daher in der Literatur vielfach explizit militärische Paradigmen bemüht werden. Die oft wiederholte Forderung »Aus Wissen muss Können werden!« geht nämlich auf den preußischen General Clausewitz zurück:

Das Subjekt als Feldherr seiner selbst transformiert fortwährend Wissen in Können und Lernen in Üben. Dadurch versetzt es sich in die Lage, zeitnah Entscheidungen treffen und Handlungen folgen zu lassen. Seine Immunisierung gegen Kontingenz ist nicht nur defensiv, sondern offensiv, nicht nur Panzer, sondern auch Waffe. In seinen Entscheidungen und Handlungen geht Verteidigung über in Angriff. Der Gegner ist dabei nicht nur das Unabwägbare selbst. Gegner sind auch die anderen Immunisierten, gegen die man sich durch eine optimalere Panzerung einen Vorteil im Wettbewerb sichern möchte.

Neben dem „Können“ wirft die Bezugnahme der Kompetenzdefinitionen auf die „Situation“, in denen Kompetenz zur Geltung kommt, Fragen auf. Statt die Kontingenz und Komplexität der jeweiligen Situation zur Sprache zu bringen, zielen viele Konzepte von „Kompetenz“ darauf ab, beides zu eliminieren – sich von äußeren Ereignissen also nicht stören und ins Nachdenken oder gar Zweifeln bringen zu lassen, sondern sofort auf eine antrainierte Lösungsroutine zurückzugreifen:

Die ideologische Rede von der Kompetenz sieht in Situationen primär etwas, das von einem Subjekt zu bewältigen und zu kontrollieren ist. Situation verweist aber außerdem auf ein Verwickeltsein, ein Mitten-Drin, dem man zunächst nichts als ausgesetzt ist.

Als Alternative zu diesen Verengungen des Subjekt- und Bildungsbegriffs greift Gunia den Vorschlag auf, sich wieder mehr am aristotelischen Ideal der phronesis zu orientieren (vgl. Eph 1,8). Theologisch wäre der Begriff der Weisheit hier zu nennen, in dem sich Wissen und Erfahrung verbinden und mit dem sich verhindern ließe, dass „Theorie“ und „Praxis“ gegeneinander ausgespielt werden.

Weisheit ist in unserem heutigen wie im biblischen Sprachgebrauch aber eine Eigenschaft des Subjekts und keine bloße Fertigkeit (sehr weit hergeholter Nebengedanke: wäre Hans-Peter Friedrich Philosoph statt Politiker, würde er hier zu Stoibers heller Freude wohl von „Superkompetenz“ sprechen?). Sie entwickelt sich als Haltung, indem man sich als ganze Person den Fragen stellt, die Welt und Leben aufwerfen. Und in genau diese Richtung denkt auch Gunia, wenn er mit dem Soziologen Hartmut Rosa am Ende die Bedeutung von Natur, Ästhetik und Religion für das gelingende Weltverhältnis des Menschen nennt.

Die Sorge der beiden Lehrerinnen, es zukünftig vermehrt mit „Kompetenzgschmarri“ (so eine der beiden, Dialekt verleitet ja zur Ehrlichkeit) zu tun zu bekommen, ist nach diesem kurzen Blick auf die kritische Diskussion nicht ganz unbegründet. Aber vielleicht kommt ja auch alles viel besser, als man so denkt…

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