Letzten Samstag am Emergent Forum hat Walter Faerber über Spiritualität als Widerstand gesprochen und kam dabei auf die Geschichte vom besessenen Gerasener zu sprechen. In der Fragerunde wollte dann jemand wissen, ob der Mann denn nun bloß ein Tourette-Syndrom hatte oder ob er (meine Worte) von einer Art immateriellem Kobold angefallen worden war, der nun seinen Schabernack mit ihm trieb – das „klassische“ Verständnis von Dämonen eben.
Diese Alternative ist meiner Meinung nach gänzlich unbefriedigend – keine Seite wird dem gerecht, was hier alles beschrieben wird. In beiden Fällen wäre es das persönliche Problem eines einzelnen: entweder ein psychischer Knacks, vielleicht aufgrund traumatischer Erfahrungen, vielleicht eines Stoffwechselproblems im Gehirn, oder es ist eben ein spiritueller Parasit, den man sich unwillkürlich, leichtfertig oder gar schuldhaft einhandelt wie Fußpilz oder Zecken.
In Wirklichkeit beleuchtet das Evangelium die sozialen Realitäten, die im Hintergrund dieser Störung der Persönlichkeit stehen, ganz deutlich: Die permanente (offene oder latente) Gewaltandrohung durch den römischen Militärapparat, die nicht minder rabiaten Rachephantasien der Unterworfenen und Ausgebeuteten, die nicht unproblematische Nachbarschaft zwischen Juden und Heiden am Nordrand des Sees, der subversive Symbolismus, wenn eine „Legion“ Schweine am Ende absäuft – vermutlich lässt sich die Liste noch beliebig fortsetzen. All das ist in dem Geschehen auf dem Friedhof sichtbare, hörbare und mit Händen zu greifende Wirklichkeit.
Denn die Wahrheit über unsere Welt, den kollektiven Wahnsinn, den niemand wahr haben will – nicht einmal die Opfer –, dürfen eben nur die Narren oder die Besessenen ungestraft aussprechen. Heute kann man dafür in der Psychiatrie landen, wie der heiß diskutierte Fall Mollath momentan zeigt, in dem, so steht zu befürchten, ein Netzwerk von Veruntreuung und Vertuschung als der Wahn eines Einzelnen abgetan wurde. Wenn das nicht „dämonisch“ ist (in dem Sinne, dass wir hier verfolgen können, wie parasitäre Bosheit unsere Institutionen so weitreichend korrumpiert, dass sie einzelne Menschen und ganze Gruppen zu zerstören), was dann?
Wenn wir hier also auf den Trick hereinfallen und zulassen, dass das Problem individualisiert und der Lichtkegel unserer Aufmerksamkeit so weit verengt wird, dass die wahren Verursacher im Dunkeln bleiben, dann werden wir zu Komplizen dieser Vertuschung und wir verstetigen das Leid. Gott bewahre uns davor, die Bibel weiterhin mit solchen Scheuklappen zu lesen!
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Genau das ist auch mein Empfinden. Das Denken in gesellschaftlichen Zusammenhängen scheint sehr aus der Mode gekommen zu sein. Es scheint geradezu ein Tabu zu sein. (Es ist klar, dass man auch nicht auf der anderen Seite vom Pferd fallen darf und eigenes Versagen als Schuld der Gesellschaft an diese abzuschieben.) Alles wird auf individueller Ebene interpretiert und zu lösen versucht. Vor der Beschäftigung mit Strukturen (Weshalb soll es da nicht gesamtgesellschaftlich Dämonien geben können, genauso, wie z. B. eine größtenteils symbiotische Beziehung zwischen Ehepartnern, z. B. bei Koabhängigkeit nicht „gesund“ ist?) scheint geradzu Angst zu herrschen. Mir wurde einmal Neid unterstellt, als ich am erfundenen Beispiel mit zwei Tischlern ohne jede moralische Wertung veranschaulichen wollte, weshalb Geld die Tendenz hat, sich konzentrieren, anders als Wärme, die sich gleichmäßig verteilen will.
Aber Bettler sind eben nicht nur deshalb arm, weil zu wenige Leute Almosen geben oder sie persönlich eben einfach Versager wären. Im Reich Gottes gibt es keine Versager, weil dort niemand zu einem gemacht wird.
Und das Evangelium zeigt auch, dass wir Umständen nicht hilflos ausgeliefert sind. Da kommt es doch wieder auf die persönliche Ebene zurück, zum Handeln des Einzelnen, aber auf andere Weise: Es kommt nicht auf Mehrheiten an, sondern auf das Handeln einzelner. „Was hat Jesus schon bewirkt?“ könnte man fragen? Ein paar Kranke geheilt, sogar Tote auferweckt, ein paar Tausend Leute sattgemacht, vonm Reich Gottes (also nicht von dieser Welt) gepredigt. Schön für die Leute, die es erlebt haben, aber was ändert das an den Zuständen in der Welt. Und doch war er für die Mächtigen eine solche Provokation, dass sie ihn aus Angst aus dem Weg räumen wollten. Vor einem Typen wie Jesus hatten die Mächtigen mit ihren Armeen und ihrem Geld Angst. Und indem sie versuchten, ihn aus dem Weg zu räumen, haben sie das Gegenteil erreicht: Sie müssen nun damit leben, dass Gott seinen Fuß in der Tür hat, dass einer Mächtiger ist als sie alle zusammen. Das ist doch ermutigend.