Zu Beginn des Zweiten Teils von Insurrection fasst Peter Rollins sein Verständnis der Kreuzeserfahrung (und damit des Beginns des eigentlichen Glaubens) noch einmal zusammen:
Am Kreuz stirbt Gott als psychologische Krücke und eine tief empfundene dunkle Nacht der Seele bricht über uns herein. (S. 82)
Rollins beschreibt hier beim Umschalten von Dekonstruktion auf Rekonstruktion (s)eine menschliche – und damit psychische (!) – Erfahrung, vor allem macht er dabei aber auch zwei Annahmen:
- Alle Menschen beginnen mit einer falschen Gottesvorstellung und missbrauchen Gott als „Krücke“, wodurch er zum Deus-ex-Machina wird, der garantiert, dass alles bleibt, wie es ist.
- Wer die existenzielle Verlusterfahrung der dunklen Nacht nicht gemacht hat, hat das Kreuz und damit Gott und den Glauben nicht verstanden
Bei aller berechtigten Kritik am Fundamentalismus, die Rollins immer wieder übt, erinnert das auch nicht unerheblich an das Motiv des „Bußkampfes“ im Hallischen Pietismus (der war ein existenzielles Verzweifeln an der eigenen Sündhaftigkeit), nur dass statt Bußkampf hier eben nun eine andere Erfahrung zum Schlüsselerlebnis des Glaubens erklärt wird, nämlich ein existenziell empfundener Verlust der Nähe Gottes.
Zinzendorf hatte sich an diesem Punkt (des Bußkampfes) von Francke abgewandt, damit hat er den Pietismus aus der Fixierung auf ein bestimmtes Erleben befreit. Ich bin mir daher nicht sicher, ob ich Rollins bei seiner Auffassung folgen möchte. Es könnte der Weg in einen Erfahrungsfundamentalismus werden, nur eben in einer etwas anderen Färbung. Aber vielleicht relativiert Rollins das noch im weiteren Verlauf und umschifft die tückischen Klippen.
Und so schrecklich weit weg von Descartes typisch modernen Rekurs auf den radikalen Zweifel als den Ursprung neuer Gewissheiten liegt er damit auch nicht entfernt – es bleibt also spannend.
Finde es sehr interessant zu beobachten mit welch unterschiedlicher Gewichtung sich dasselbe Buch lesen und daher auch wahrnehmen lässt. Die Annahme Gottes als deus ex machina sehe ich bei Rollins weniger im Individuum, dem Menschen schlechthin, sondern vielmehr in der Religion, die in diesem Deutunngsrahmen ihre Existenzberechtigung erfährt.
Im weiteren Verlauf des Kapitels sehe ich eine Betonung des Tuns. Während er Glauben und Leben eng miteinander verbindet (und das Tun als Verkörperung des Glaubens bezeichnet), bereitet er die Betonung des sechsten Kapitels vor: Gott ist Liebe.
Naja, wenn man es so liest, dann wäre es eine sehr grob gestrickte und pauschale Religionskritik. Zum weiteren Verlauf komme ich dann ja noch…