Wieviel „Ordnung“ hatte das Paradies?

In den letzten Monaten ist mir immer wieder einmal der Begriff der „Schöpfungsordnung“ begegnet. Dabei werden Genesis 1 und 2 in erster Linie als ein (wenigstens in Annäherung zu erreichender) Idealzustand angesehen. Praktisch fällt der Begriff meistens im Blick auf Ehe und Familie sowie das Verhältnis der Geschlechter. Paulus etwa zieht in 1. Kor 11 eine steile Schlussfolgerung, die heute nur noch von wenigen befolgt wird – Christen stehen in der Kopftuchdebatte doch wohl mehrheitlich auf der Seite der Kopftuch-Kritiker.

Da man sich also leicht vergaloppiert, habe ich mich gefragt, ob „Ordnung“ im Sinne von „Vorschrift“ nicht vielleicht doch nur ein Randthema dieser Erzählung ist. Eigentlich gibt es ja nach Genesis 3 bloß eine einzige Vorschrift – und mit der Fixierung darauf fangen alle möglichen Probleme dann ja erst an.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass wir die Ordnung nur selektiv befolgen, ist die Tatsache, dass vegetarisch zu leben für Christen bestenfalls optional ist. Nach dem Buch Genesis jedoch essen die Menschen erst nach der Sintflut Fleisch (Gen 9,3); sonst hätten viele Tiere – was auch immer die dann zu sich nahmen – kaum heil die 7 Monate an Bord der Arche überstanden. Nachdenklich macht auch, dass nicht nur die Kleidung später kam, sondern auch Sex und Fortpflanzung erst nach dem Fall stattfinden.

Wie viel „Ordnung“ steckt also wirklich im Paradies? Oder welche anderen Leitmotive lassen sich finden, um diese Geschichten richtig zu verstehen?

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11 Antworten auf „Wieviel „Ordnung“ hatte das Paradies?“

  1. Immerhin, die Aufforderung zur Fortpflanzung gibt es schon vor dem Fall, und was in der Richtung probiert wurde, wird nicht erwähnt.

    Mir fällt hier auf, dass Du „Schöpfung“ weitgehend mit „Paradies“, also dem Zustand vor dem Fall, gleichsetzt. Und tatsächlich ist das meiste, was Gott uns an Ordnungen gegeben hat, erst danach gekommen. Aber auch die Ordnung, die der Schöpfer uns für die gefallene Schöpfung gegeben hat, mag doch den Namen „Schöpfungsordnung“ verdienen. Es ist, nachdem wir sie ins Chaos gestürzt haben, gar ein Akt schöpferischer Seelsorge, wenn Gott auch der gefallenen Schöpfung eine Ordnung gibt.

    Ein anderer Gedanke, der hier weiterhelfen mag, ist der der „creatio continua“: Gott ist immer noch in seiner Schöpfung schöpferisch am Werk. Entsprechend ist Schöpfungsordnung nichts, was mal war, sondern wie es auch heute im schöpferischen Sinne ist.

    Um die Verwirrung perfekt zu machen: Was heißt es, in Christus eine neue Schöpfung zu sein?

    Aber ich kann hier nur allgemein und wenig konkret antworten, weil ich die von Dir erwähnten Stimmen nicht kenne.

  2. @Andreas: Meist wird mit „Schöpfungsordnung“ eben auf Gen 1-2 Bezug genommen. Nach dem Fall gibt es dann eher eine Ordnung, die das gröbste verhindert (z.B. das Kainsmal), die hat aber eine andere Qualität. Meine Frage war ja aber eigentlich die, ob „Ordnung“ als hermeneutische Kategorie passt oder wir bessere finden können.

  3. Im Paradies kann von äußerer Ordnung keine Rede sein, da alles in Ordnung war.
    Des Menschen Tätigkeit erschöpfte sich im Erkennen der Ordnung Gottes (Schöpfungsordnung Tier > Mensch ). Sex gab es tatsächlich nicht im Paradies.

  4. „Schöpfungsordnung“ verstand ich bisher nicht primär als „Anordnung“ oder Befehl, sondern mehr als von Gott gestaltete „Einrichtung“ und Konstitution von Schöpfung und Geschöpfen, quasi als „Veranlagung“, die durch die Sünde korrumpiert wurde.

    Zu der Vorstellung eines ursprünglichen Idealzustandes der Schöpfung schreibt Michael Welker in einem Artikel über „Schöpfung und Endlichkeit“ zum Urzustand der Schöpfung: „Die lebensförderlich eingerichtete und insofern gute Schöpfung ist durchaus in sich konfliktträchtig und hinfällig.“ (in: Und Gott sah, dass es gut war, hg. v. Bedford-Strohm 2009, S. 18). Der Herrschaftsauftrag des Menschen etwa mache dies mit seiner Eroberungs-Semantik deutlich. Die notwendig auftretenden „Interessenkonflikte“ innerhalb der urständigen Schöpfung seien eindeutig zugunsten des Menschen entschieden worden (S. 23). Welker öffnet den Blick und zerstört eine allzu rosarote Paradiesvorstellung. Das macht theologisch durchaus Sinn.

    1. @Werner: danke für das Zitat; ja, mit einer offen gedachten Konstitution oder Veranlagung käme ich auch gut klar. Denn je rosaroter das Paradies, desto größer der Druck in der unvollkommenen Gegenwart.

  5. Peter, kannst Du einmal konkrete Beispiele nennen?
    Wenn es um das Verhältnis der Geschlechter geht, fällt mir aus der Genesis nur ein „Er soll dein Herr sein“, und das ist ja eindeutig schon „Fluchordnung“. Was Ehe und Familie angeht, lesen wir zwar von dem Auftrag zur Vermehrung, aber nichts von dessen Umsetzung.
    Oder geht es den Leuten, die Du im Blick hast, um „er schuf sie als Mann und Frau“ und entsprechende Folgerungen für die Beurteilung von Homosexualität? In dem Zusammenhang lese ich auch manchmal das Wort „Schöpfungsordnung“, allerdings ohne Bezug auf Gen 1-2, sondern als etwas, was heute auch gilt. (HS als Merkmal der gefallenen Schöpfung kam mir noch nicht unter, sie wurde immer als Verstoß gegen die Ordnung bezeichnet. Klar, wäre sie ersteres, könnte man nicht in Kategorien wie Ethik, Veränderung, Heilung argumentieren, sondern müsste sie hinnehmen, wenn nicht gar annehmen.)

    Zu Deiner Frage: Bereits die semantische Unklarheit („Alles in Ordnung“ – „klare Anordnung“) zeigt, dass „Ordung“ wohl keine brauchbare Kategorie ist. In Anlehnung an Teacher: Wo alles in Ordnung ist, braucht man keine Ordnung.
    Vielleicht kommen wir mit dem Begriff „Wille“ der Sache näher. Wo etwas nicht dem Willen des Schöpfers entspricht, ist zunächst nichts darüber gesagt, ob hier gefallene Schöpfung deutlich wird oder krankhafte Abweichung oder willentliches Verstoßen vorliegt. Gerade das könnte die Diskussionen, die ich kenne, versachlichen, weil nicht gleich die Aufforderung (oder „Chance“) zur Veränderung impliziert ist. (Vermutlich aber wird weiterhin jede Seite es besser wissen als die andere.)

  6. @Andreas: es geht mir vor allen Konkretionen (mit jeder davon würde ich hier ein dickes Fass aufmachen) um die Frage, was Gen 1-2 tatsächlich sagen möchte und welche Kategorien, wenn man sie an den Text heranträgt, zu wenig fruchtbaren Ergebnissen führen.

  7. Das Anliegen verstehe ich, Peter. Allerdings werden die Kategorien, von denen Du sprichst, fast immer im Zusammenhang mit irgendwelchen Konkretionen an den Text herangetragen. Mein Verdacht ist, dass die Kategorien eigentlich nur Hilfsmittel zur Diskussion über konkrete Fragen sind, um die es den Gesprächspartnern eigentlich geht.
    Also wer eine bestimmte Meinung vertritt, sucht sich eine passende Kategorie, die er an den Text herantragen kann, um dann aus dem Text die Meinung zu begründen, die er vorher schon hatte. Und richtig, das ist nicht sehr fruchtbar.
    Wir können also das Reden von der „Schöpfungsordnung“ nicht abstrahiert von den jeweiligen Konkretionen verstehen, sondern immer nur im Kontext des Ziels, das mit ihr erreicht werden soll. Und dann können wir gern diese Verwendung der Kategorie verurteilen.

    Was Gen 1-2 tatsächlich sagen möchte? Als ob das kein dickes Fass wäre!

    1. Genau deswegen bin ich ja überzeugt davon, dass erst die Kategorien aus dem Text erhoben werden müssen. Dann wird es nämlich viel schwerer, sich die passend hinzubiegen.

  8. Das halte ich für erstrebenswert, aber kaum für möglich. Selbst wenn ich sage, der Text sei eine Erzählung, ist das meine Kategorie. Für die Juden ist er „Thora“, für die christliche Tradition „Ur-Geschichte“. Letztlich sind die meisten Kategorien Begriffe, auf die sich Texte bringen lassen. Aber wenn sich Gen 1-2 auf einen Begriff bringen ließe, warum erzählen sie dann stattdessen?
    Vielleicht ist der Wunsch nach Kategorisierungen selbst schon dem Text fremd. Das Reden über den Text wird damit nicht einfacher, darunter würden wir dann beide leiden.

    Wir kommen also m.E. nicht drumrum, den Text in unseren eigenen Kategorien zu fassen, müssen uns nur immer wieder bewusst machen, was sie am Text nicht erfassen und dass die begrenzt sind. („Sollen als Menschen von Gott reden, können dies als Menschen aber nicht, sollen gerade dies sagen und damit Gott die Ehre geben“ Barth.)

  9. ich finde es eine fatale verkürzung des begriffes „schöpfungsordnung“, wenn man ihn lediglich auf das geschlechterverhältnis und die familie bezieht. letztendlich ist der mensch an sich zwar insofern „krone“ der schöpfung als er von gott die ebenbildlichkeit zugesprochen bekommt, gleichzeitig aber nur ein winzigkleiner teil davon.

    ich assoziiere damit eher das, was naturwissenschaftler beschreiben, wenn sie immer wieder über die der natur inhärente geordnetheit sprechen. walter thirrings buch „kosmische impressionen“ setzt sich z.b. ausführlich mit der frage nach der ordnung in der schöpfung aus der sicht des physikers auseinander. wobei die physik ja auch wiederum nur ein teilbereich der naturwissenschaften ist, in anderen bereichen wird man auf anderen ebenen auf eine staunenswerte geordnetheit der schöpfung stoßen, so man sie sehen will. denn die interpretation naturwissenschaftlicher erkenntnisse ist ja immer noch eine glaubensentscheidung, egal in welcher richtung sie nun erfolgt.

    ein anderer aspekt ist folgender:

    pfarrer frank schlessmann in fürstenfeld hat in einer wunderbaren predigt zu genesis 1 folgendes gesagt: wenn, dann ist die wahrheit dieses textes im geist, der lebendig macht, und nicht im buchstaben, der tötet, zu finden. der buchstabe sagt: gott schuf in 7 tagen. die erde ist eine im urmeer vom himmelsgewölbe überdachte scheibe, die sterne sind „löcher“ im firmament. usw, usf… tödliche streitereien sind die folge, wenn wir uns allein auf den buchstaben des textes konzentrieren. der geist hingegen sagt: gott schuf die erde und das ganze universum gut. gott schuf die erde so, dass wir darin sein wesen erkennen können. die verschwenderische vielfalt und schönheit als hinweis auf seine kreativität. die alles durchziehende ordnung (schöpfungsordnung!!!) als hinweis auf seine weisheit, mit der er alle dinge miteinander in zusammenhang setzt und in gegenseitiger wechselwirkung verbindet. und so weiter…. somit offenbart sich im geist der wunderbare plan und das wunderbare wesen gottes, das hinter der schöpfung, in der wir leben, steht, und das trotz sündenfall immer noch erkennbar ist.

    ich denke, der begriff der schöpfungsordnung ist viel zu wertvoll und zu umfassend und weit, als dass man ihn allein jenen überlassen sollte, die damit ein wertekonservatives gesellschaftsbild rechtfertigen wollen.

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