Christen bekommen „den Durchblick“ – das legt die Vorbereitungsseite zum Start der Gebetswoche der evangelischen Allianz nahe und verweist auf unter anderem auf 1. Korinther 2,10ff. Glaube, das ist das Anliegen der Autoren, ist keine minderwertige Form des Wissens. Er ist eine intuitive Form der Gewissheit, die ihre eigene Logik hat. Die Wirklichkeit, die uns umgibt, wird plötzlich transparent, und wir erkennen ihren Grund in Gott und seiner alles umfassenden Liebe.
Freilich kann man das mit dem „Durchblick“ auch ganz anders verstehen. Dann werden Glaubende zu penetranten Besserwissern, die eine höhere Stufe der Erkenntnis für sich in Anspruch nehmen, und mit denen jedes Gespräch schwierig wird, so lange man sich ihrem Anspruch nicht unterwirft und ihre Ansichten übernimmt. Nicht mehr Menschen, die über Gott staunen, sondern solche, die das Staunen hinter sich gelassen haben. Sie haben ihre Sprache wieder gefunden und meinen, nun (fast) alles erklären zu können. Gott ist dann nicht mehr der unfassbare Grund allen Lebens, sondern er ist zumindest so fassbar, dass man ihn in Traktate packen kann.
Einerseits lese ich hier also, dass Glaube und Gewissheit ein Geschenk des Geistes Gottes ist, andererseits wird an diesem Tag für theologische Lehre und Ausbildung gebetet, natürlich mit einem starken Akzent auf „Bibeltreue“ – was immer der einzelne sich darunter vorstellen mag. Ist die rechte Erkenntnis also doch eine Frage des (Bibel-)Wissens und der Methodik, oder wie passt das zusammen?
Eher amüsant fand ich auch den Gedanken, dass Hebräer 1,1 eine „klare Definition“ liefert, was Glauben bedeutet. Ich habe den Satz mehrmals gelesen, ohne irgendeinen klare Vorstellung zu bekommen. Die bekommt man nämlich erst, wenn man das ganze Kapitel liest, in dem das Alte Testament im Schnelldurchgang nacherzählt wird. Glauben heißt, es diesen Menschen nachzumachen und sich nicht mit dem Status Quo abzufinden – ob der nun Kinderlosigkeit heißt, Zwangsarbeit oder zahlen- und kräftemäßige Unterlegenheit. Glaube heißt, das Mögliche über das Faktische zu stellen. Es heißt, sich auf einen riskanten Weg zu machen, in der Erwartung, dass Gott uns dort begegnet. Glaube heißt, die Unsicherheit dieser Stimme, die uns ruft, über die Sicherheit geordneter Verhältnisse zu stellen. Auch über die Sicherheit allzu „klarer“ (und damit enger und festgelegter) theologischer Überzeugungen und „Definitionen“.
Für alle, die das Thema noch weiter beschäftigt, hier noch ein Buchtipp. Peter Rollins aus Belfast hat das Dilemma, über Gott nicht angemessen reden zu können und doch von ihm reden zu müssen, ganz gut beleuchtet in „How not to Speak of God“.
Ähnliches geht mir manchmal durch den Kopf, wenn es um den Einsatz dafür geht, dass (möglichst) jeder Mensch eine Bibel haben soll. Es steht außer Frage, dass das an sich ein gutes Ansinnen ist, aber: Ist es denn damit getan, dass jemand eine Bibel besitzt? Wäre es nicht wichtiger, dass Christen anfangen, die Bibel wirklich zu leben? Klingt vielleicht platt oder missverständlich, aber was ich meine ist: Die richtige Lehre kann doch irgendwie nicht alles sein, oder? Naja, vielleicht rede ich mich auch gerade um Kopf und Kragen… 😉
Danke jedenfalls auch für den Buchtipp!
Danke für den Beitrag, sehr gut herausgearbeitet. Die „Besserwisserei der Glaubenden“ wird wirklich bisweilen zum Problem. Dabei hat der Glaube, bzw. dessen Definition (sofern überhaupt möglich), viele Aspekte. Hebräer 11,1 kommt bei vielen wie aus der Pistole geschossen, ist aber eben nur ein Aspekt. Der Glaube im Alltag, in der Praxis schon ein ganz anderer. Was nützt mir Wissen & Überzeugung, wenn ich es nicht tue, bzw. nicht tun will? Gerade da zeigt das 11 Kapitel eben, wie Konsequenzen in der Praxis aussehen mögen. Die Jahreslosung verweist ja 2009 auch besonders auf die Möglichkeiten. Glaube ist nicht nur Wissen, sondern Vertrauen, Glaube geht nur mit bzw. über eine Person. Das ganze auf „Wissen“ und „Überzeugung“ zu verkürzen, führt ja geradezu in die „Theoriefalle“…
@Ilona:
Sehe ich genau wie du. Es würde manchmal schon reichen, einfach mit Interessierten einfach gemeinsam Bibel zu lesen, vorurteilsfrei und einfach gemeinsam Fragen zu stellen… Ein reines „Bibelverschenken“ hilft niemand so recht. Ansonsten müßte Russland seit der Perestroika das frömmste Land der Welt sein… eher das Gegenteil ist richtig. Auch hier gilt: der Buchstabe allein tötet, es braucht liebende, lebendige (Vertrauens-) Beziehungen. Und da sind wir wieder beim Glaube im Alltag.
Glück auf, Dave 🙂
*schmunzel* *grins* sehr fein beobachtet!