In den Gesprächen und Diskussionen mit allen möglichen Leuten tauchte in letzter Zeit immer wieder die Frage nach Mehr- und Minderheiten auf.
Mit #wirsindmehr haben sich viele Bürger gegen rechte Aufmärsche gestellt. Und deren Versuch, eine autoritäre und rassistische Politik durchzusetzen, zurückgewiesen.
Viele Christen (auch und gerade in volkskirchlichen Leitungsaufgaben) erleben, wie sie sich mit ihren Überzeugungen und Gewohnheiten immer öfter in einer Minderheitensituation wiederfinden: »Wir« werden weniger, von einzelnen Ausnahmen abgesehen. Was bedeutet das für die Kirchen in 20 Jahren? Auf was bereiten wir uns vor, worauf stellen wir uns ein? Und werden wir ob des schwindenden gesellschaftlichen Einflusses zaghafter und leiser oder mutiger und deutlicher den Mächtigen gegenüber?
Christen brauchen sich vor einer Minderheitenkirche nicht zu fürchten und Demokraten sollten sich auf ihren Mehrheiten nicht ausruhen. So zumindest würde es wohl Yuval Noah Harari sagen. In »Homo Deus« vertritt der Historiker die These, dass es in größeren sozialen Gebilden eine untergeordnete Rolle spielt, wer in der Mehrheit ist. Gut organisierte Minderheiten erreichen deutlich mehr als desorganisierte Massen:
Revolutionen werden üblicherweise von kleinen Netzwerken von Agitatoren in Gang gesetzt, nicht von den Massen. Wenn man eine Revolution anzetteln möchte, fragt man nicht; »Wie viele Menschen unterstützen meine Ideen?«, sondern: »Wie viele meiner Anhänger sind zu effektiver Zusammenarbeit fähig?« […] 1917, zu einer Zeit, da die russische Ober- und Mittelschicht mindestens drei Millionen Menschen umfasste, zählte die kommunistische Partei lediglich 23.000 Mitglieder. Trotzdem erlangten die Kommunisten die Kontrolle über das riesige russische Reich… (184f.)
Ob in Sachen Demokratie oder Kirche, und natürlich auch überall da, wo Kirche Anwältin der Demokratie ist: Es geht also darum, den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit zu fördern und zu stärken. Man muss damit freilich nicht warten, bis man zur Minderheit geschrumpft ist. Aber als Mehrheiten leisten wir uns Eitelkeiten, Exzesse und Egotrips, die den Zusammenhalt schwächen oder stören. Weil wir meinen, es zu können. An dem Punkt ließe sich sofort ansetzen.