Wie Achtsamkeit und Absichtslosigkeit zusammengehören

Gestern las ich auf Spektrum.de das hilfreiche Interview mit Thomas Joiner über die Vermarktung von Achtsamkeit. Dabei erinnerte ich mich wieder an eine Gesprächsrunde über Spiritualität vor einigen Wochen. Dort standen wir schon vor der Schwierigkeit, dass Spiritualität (die viel mit Achtsamkeit zu tun hat, aber noch mehr umfasst) eigentlich in dem Moment schon kompromittiert ist, wo ich sie als Mittel zum Zweck verstehe.

Absichtlich Absichtslos?

Absichtslosigkeit ist hier das Stichwort. Ich muss das kurz erklären. Absichtslos zu handelt, bedeutet: Ich tue, was ich tue, nicht um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Der Zweck – wenn man überhaupt davon reden will – liegt vielmehr in dem, was ich tue. Nehmen wir ein Seelsorgegespräch. Ich denke, es verläuft anders, wenn es nicht meine Absicht ist, mein Gegenüber in einer bestimmte Richtung zu lenken. Dann kann ich einfach da sein, Zeit und Aufmerksamkeit schenken. Ich muss aber hinterher meine Performance nicht bewerten und auch nicht den therapeutischen Ertrag. Beim Gebet ist es dasselbe. Statt von »Absichtslosigkeit« könnte man (mit Einschränkungen) auch von »Ergebnisoffenheit« oder (besser) von »Selbstvergessenheit« reden.

Mein Eindruck ist, dass viele der Wirkungen von Meditation eigentlich Nebenwirkungen dessen sind, dass ich mich für eine tiefere, spirituelle Wirklichkeit öffne. In dem Augenblick, wo diese Effekte nicht mehr unbeabsichtigt sind, verändert sich der Charakter dessen, was ich tue. Die biochemischen und neurologischen Wirkungen etwa von Atemübungen sind durchaus real. Aber ich bleibe dabei immer noch der Mittelpunkt meiner Realität, mein Befinden das Maß der Dinge.

Daniil Kuželev

Empfänglich werden

Ich denke, es ist völlig in Ordnung, Dinge zu tun, von denen ich merke, dass sie mir gut tun. Das an sich lässt sich mit einer absichtslosen Haltung durchaus verbinden. Spaziergänge im Grünen etwa tun mir gut. Schwierig wird es, wenn diese Spaziergänge dazu dienen, mich in anderen Bereichen und zu anderen Zeiten mit einem Lebensstil zu arrangieren, der Raubbau an meinen Ressourcen und denen der Natur bedeutet. Also draußen in der Schöpfung „aufzutanken“, um danach meiner Natur und der Natur um mich herum zu schaden. Aber es könnte ja auch sein, dass mich der Spaziergang sensibilisiert für das zarte Gleichgewicht, für die vielen verschiedenen Lebewesen und deren Bedürfnisse. Vielleicht stellt sich sogar eine Harmonie ein.

Ich bin, so betrachtet, nicht darum bemüht, eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Vielmehr werde ich empfänglich für Einwirkungen, die das Alltagsbewusstsein oft ausblendet. Manche kommen tief aus meinem Inneren, vom Grund der Seele. Andere kommen eher von außen, oder von „oben“. Räumliche Metaphern sind da etwas schwierig, aber als körperliche Wesen kommen wir kaum ohne sie aus.

Indem ich die wertende Dauerfrage des Alltagsbewusstseins („Was bringt’s mir?“) zurückstelle, schaffe ich die Möglichkeit, dass sich Unerwartetes ereignet. Absichtslose Achtsamkeit dezentriert mich also in gewisser Weise. Ich trete einen Schritt zu Seite, um zu defokussieren und den inneren Richter auszuschalten. So können andere Seiten meiner selbst und meiner Beziehungen zu dem, was mich umgibt, in den Blick kommen. Das ist dann schon etwas anderes als die von Joiner bemängelte Achtsamkeitspraxis, die im Selbstbezug stecken bleibt.

Zuletzt: Auch Gott kann sich mir dabei zeigen oder zu mir sprechen. Freilich ist  das weder machbar, noch kann ich es zur Bedingung dafür erheben, still zu werden. Kontemplation ist in erster Linie eine Haltung, keine Technik. Und Übungen können helfen, diese Haltung einzunehmen und zur Gewohnheit zu machen.

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